Wer über keine Dauerkarte für das Fantasy Filmfest verfügt, sondern aus Zeitmangel sorgsam auswählen muss, dem kann der ein oder andere Schatz durchaus verborgen bleiben. Dazu gehört die spanische Produktion LOS ÚLTIMOS DÍAS von den Brüdern David und Àlex Pastor, die schon den Festival-Liebling CARRIERS geschrieben und inszeniert haben. Somit wahrlich Eigenverschulden, wenn besagter Film einem durch die Großbild-Lappen ging. In Deutschland ohne Kinoverleih, wie in vielen anderen Ländern auch, ist er nun für das Heimkino erhältlich. Und dieser Film enttäuscht bestimmt die wenigsten Genre-Freunde. Ein Horrorfilm, der wie ein perfekt konstruiertes Drama funktioniert. Und gleichzeitig eine psychologische Studie, die eine abgründige Gesellschaftsform herauf beschwört. Man kann noch einiges mehr in den Topf werfen, aber so richtig lässt sich THE LAST DAYS deswegen noch lange nicht kategorisieren. Und das will er auch gar nicht. Zumindest beweist auch dieser Genre-Film, dass die überraschendsten Horrorfilme immer wieder aus Spanien kommen.
Eine rätselhafte Pandemie breitet sich auf der Welt aus. Immer mehr Menschen, die sich im Freien aufhalten, werden von derartigen Panikattacken heimgesucht, dass sie innerhalb kürzester Zeit regelrecht vor Angst sterben. Sicherheit scheint nur in geschlossenen Räumen möglich. Zuerst werden nur vereinzelte Schicksale bekannt, doch dann häufen sich Opferzahlen. Das eigentlich glückliche Paar Marc und Julia überwirft sich ausgerechnet in dieser seltsamen Phase, noch dazu als es um die Frage des Nachwuchses geht. Als die Menschen in Barcelona begreifen, dass sie die Häuser nicht mehr verlassen, oder sich nur unterirdisch in der Stadt bewegen können, ist es für Marc und Julia fast zu spät. Im Streit getrennt, wird es für Marc zu einer fast unlösbaren Aufgabe, seine große Liebe in der Stadt ausfindig zu machen, um sie zurück zu gewinnen.
Ja, auch das kommt noch hinzu, dass THE LAST DAYS eine sehr intensive Erfahrung über die Liebe darstellt. Aber in erster Linie ist es ein erstaunlich perfekt durchdachtes Szenario, mit extrem spannender Inszenierung. Dabei überraschen die Pastor-Brüder mit erfrischend neuen und genialen Gedanken, die eine derartige Endzeitstimmung mit sich bringen könnte. Da ist als Beispiel der Schutzwall aus Einkaufswagen in einem Supermarkt. Kein großes Ding mag man meinen, aber es hat durchaus einen überzeugenden Aha-Effekt. Oder als sich zwei Gruppen in einem U‑Bahn-Tunnel begegnen, die einen mit Fackeln, und die anderen mit Taschenlampen. Die mit Taschenlampen sind aber Raucher, ohne Feuerzeug, da kommen Fackeln gerade recht. All diese Kleinigkeiten, welche die Brüder Pastor einfließen lassen, schaffen eine eindringliche Atmosphäre, die immer den Hauch des Realen atmet.
Ist THE LAST DAYS im eigentlichen Sinne ein Horrorfilm, spielt er erstaunlich wenig mit den obligatorischen Elementen dieses Genres. Eine Prise Drama, etwas wohlsortierte Action, ein bisschen Thriller, und fein durchdachte Psychostudie. Der Mix mag befremdlich klingen, ist aber außerordentlich gelungen und unglaublich spannend inszeniert. Trotz eines geschätzten Budgets von 5 Millionen Euro kann man fast nicht glauben, eine billige europäische Produktion zu sehen. Die äußerst gut platzierten Effekte der Außenaufnahmen der Firma Telson sind schlicht gesagt genial und werten den Film zu wirklich großem Kino auf. Aber auch Daniel Aranyòs Bilder die hauptsächlich das Geschehen in geschlossenen Räumen zeigen, besitzen die notwendige Intensität, um Handlung, Ausstattung, Sets und Inszenierung zu einem homogenen Ganzen zu führen.
Mit dem eindringlichen Spiel der, leider fast selbstverständlich, kaum bekannten Gesichter, gewinnt der Film eine zusätzliche Spannung in seinem Verlauf. Die Autoren- und Regie-Combo hat sich allerdings auch etwas ganz Besonderes für Quim Guiérrez als Marc, und Julia, gespielt von Marta Etura, ausgedacht. Dazwischen steht der skrupellose Enrique, den José Coronado mit diabolischer Undurchsichtigkeit verkörpert. Wer über den Tellerrand von bekannten apokalyptischen Szenarien und klischeebeladenen Horror-Geschichten sehen möchte, darf diesen Film nicht unbeachtet lassen. Zusammengefasst hat er eine höchst originelle Geschichte, ausgezeichnete Darsteller, perfekte visuelle Effekte, überragende Details, ein stringent dichtes Tempo, und alles in allem eine einnehmende, weil glaubhaft überzeugende Atmosphäre. Ein Horrorfilm, der eine andere Sichtweise herausfordert, welche ihn letztendlich bestätigen wird. Eine Schande, dass kein deutscher Verleiher diesen doch so offensichtlichen Schatz für das Kino heben wollte.
THE LAST DAYS – LOS ÚLTIMOS DÍAS
Darsteller: Quim Guiérrez, José Coronado, Marta Etura, Leticia Dolera, Mikel Iglesias u.a.
Regie & Drehbuch: David Pastor, Àlex Pastor
Kamera: Daniel Aranyò
Bildschnitt: Martí Roca
Musik: Fernando Velázquez
Produktionsdesign: Balter Gallart, Nuria Muni
zirka 102 Minuten
Spanien 2013
Promofotos Copyright Capelight Pictures / Warner Bros.