»Hast Du Dich jemals gefragt, wo Deine Träume herkommen? Schau Dich um! Hier werden sie gemacht!«
Heutzutage ist der Trend, dass sogar usbekische Autorenfilme vorsichtshalber mal in 3D gedreht werden, damit man die Besucher an den Kinokassen nur ja nochmal extra für die Brillen und die Dreidimensionalität abseihen kann. Ein anderer Trend – aber der ist nicht wirklich neu – sind knallebunte Effektkracher, Zuckerwerk für die Augen (wobei ich dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden habe).
Umso erstaunlicher ist es, dass der mehrfach Oscar-ausgezeichnete Scorsese-Streifen HUGO (CABRET) zwar in 3D daher kommt, sich aber dennoch weitestgehend der Effekthascherei nicht bedient, sondern eine sehr ruhige, stimmungsvoll-poetische Art des Erzählens wagt. Das Ergebnis gibt dem Regisseur recht.
Hugo Cabret ist ein Waisenjunge, der allein »in den Wänden« des Pariser Hauptbahnhofes lebt, die zahlreichen Uhren dort wartet und gleichzeitig an der Reparatur eines Uhrwerk-Automatons arbeitet – ein Vermächtnis seines verstorbenen Vaters, das dieser in einer Abstellkammer des Museums in dem er arbeitete fand.
Was sich auf den ersten Blick vielleicht nach Clockpunk anhört (aber anders als gern mal behauptet eigentlich kein Steampunk-Film ist, sich nur stellenweise an den Versatzstücken bedient), bewegt sich allerdings in eine ganz andere Richtung und wird zu einer Hommage an die Filmkunst und insbesondere die frühe Cinematografie. Ein ganz zentraler Punkt – ohne hier zuviel verraten zu wollen – ist die Arbeit des Filmpioniers Georges Méliès, bekannt durch sein Werk DIE REISE ZUM MOND (1902), der mit Ben Kingsley vom Aussehen her perfekt besetzt wurde. Dabei werden nicht nur verschiedene frühe Filmarbeiten auch anderer Künstler in Schnipseln gezeigt, sondern bisweilen sogar direkt zitiert, wie beispielsweise Harold Lloyds berühmte Uhren-Hänger-Szene. Der gesamte Film ist meiner Ansicht nach eine Verbeugung in Richtung Filmkunst und das Erzählen von insbesondere fantastischen Geschichten mittels dieses Mediums. Als Freund der Phantastik im Lichtspiel bin ich demnach fast schon gezwungen, das zu mögen …
My friends, I address you all tonight as you truly are; wizards, mermaids, travelers, adventurers, magicians… Come and dream with me. – Georges MélièsWie bereits angedeutet nimmt der Film sich viel Zeit, seine Akteure, Hintergründe und die »Bühne« einzuführen. Er tut das in einer erfreulich unaufdringlichen Weise, die, wie bereits angemerkt, auf große Effektspektakel verzichtet und sich vor allem auf die Charaktere fokussiert. Natürlich kommt auch HUGO nicht ohne ein paar 3D-Spielereien aus, die halten sich aber glücklicherweise vornehm zurück und es geht zuerst um Charaktere und Geschichte und nicht nur um austauschbare Figuren, die durch eine quasi ‑dreidimensionale Szenerie stolpern. An wenigen Stellen greift die 3D-Komposition leider etwas daneben, wenn Bildteile im Vordergrund nicht im Fokus der Kamera und damit unscharf sind, das nicht dem entspricht, was das Auge gewohnt ist und man deswegen leichte Irritationen verspürt. Im Großen und Ganzen gehört HUGO aber zu den Filmen, bei denen das Verfahren sinnvoll und in angenehmer Weise eingesetzt wurde, ohne es über Gebühr zu beanspruchen. Nicht ohne Grund erhielt die Frankfurter Firma Pixomondo, die für die 3D-Umsetzung verantwortlich war, im Jahr 2012 den Oscar für die »besten visuellen Effekte«.
Nur einmal und in einer eher kurzen Szene holt man zu einem visuellen Rundumschlag aus, als es in einem Traum zu einem Zugunglück im Bahnhof kommt, das eine reale Begebenheit aus dem Jahr 1895 nachstellt.
Scorsese inszeniert den Film sehr vorsichtig und man könnte ihm vorwerfen auch ein wenig zu lang(sam). Eine Viertelstunde weniger hätte HUGO wahrscheinlich gut getan, aber das ist Gemecker auf hohem Niveau, denn es macht einfach Spaß, den durchweg großartigen Darstellern dabei zuzuschauen, wie sich die Geschichte in der wunderbar gestalteten Umgebung und Szenerie entwickelt. Dass Asa Butterfield (Hugo) vom Fleck weg für ENDER´S GAME engagiert wurde, wundert mich nicht.
HUGO ist angesichts der heutzutage gern mal überfrachteten Filmvehikel eine erfreuliche Ausnahme, die in ihrer ruhigen Art dazu einlädt, eine wundersame Geschichte in Ruhe zu genießen, ohne dass einem alle paar Minuten was um die Ohren fliegt und ohne, dass es zu Mord und Totschlag kommt. Nicht, dass mich wer falsch versteht: für mich sind durchaus auch Filme akzeptabel, die quasi nur aus Spezialeffekten bestehen, wenn die gut gemacht sind. Ich bezahle auch gern mal Geld, um mir im Kino eine ILM-Demoreel anzusehen. Aber trotzdem bin ich doch hocherfreut, wenn ich einen phantastischen Film zu Gesicht bekomme, der mich vortrefflich unterhalten und sogar anrühren kann, ohne dass mir die Fantasie mittels CGI um die Ohren gehauen wird. Nein, auch HUGO kommt nicht ohne computergenerierte Bilder aus, ich nehme an, dass große Teile seiner Behausung in den Wänden des Hauptbahnhofs nicht real waren. Aber das sind CGI, die sich nicht aufdrängen, die Kulisse sind und nicht mehr sein wollen.
Man mag HUGO vorwerfen wollen, dass die Auflösung geradlinig ist, aber meiner Ansicht nach hat der Zuschauer genau das am Ende auch verdient.
Es gibt für mich aber abschließend gar keine Frage: diesen Film muss man gesehen haben und ich lege ihn insbesondere Personen ans Herz, die normalerweise weder auf phantastische Themen noch auf große Effektgewitter stehen. Hier erhält man ein märchenhaftes, grandios stimmungsvoll erzähltes Kleinod an Film. Man sollte vielleicht für das Ende Taschentücher bereit halten.
HUGO (CABRET)
Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley, Sacha Baron Cohen, Emily Mortimer, Christopher Lee, Helen McCrory, Michael Stuhlbarg, Ray Winstone, Jude Law u.a.
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: John Logan – nach einem Roman von Brian Selznick
Kamera: Robert Richardson
Bildschnitt: Thelma Schoonmaker
Musik: Howard Shore
Produktionsdesign: Dante Ferretti
zirka 126 Minuten
USA 2011
BlueRay 3D:
Sprache: Englisch
Untertitel: Englisch
Region: Region B/2
Bildseitenformat: 16:9 – 1.85:1
Ton: English – DTS-HD Master Audio (7.1)
Anzahl Disks: 1
Altersfreigabe: ab 6 Jahren (deutsche Fassung, englische Fassung ohne Altersbeschränkung)
Studio: ENTERTAINMENT IN VIDEO
Features:
– 2D- und 3D-Versionen des Films
– Shoot The Moon (The Making of Hugo)
– The Cinemagician, Georges Méliès
– The Mechanical Man at the Heart of Hugo
– Big Effects, Small Scale
– Sacha Baron Cohen: Role of a Lifetime
Produktionsjahr: 2011
Promofotos Copyright Paramount Pictures