REMINISCENCE – Bundesstart 26.08.2021
Es ist eine neue Generation von Filmemachern, der Lisa Joy entspringt. Haben schon früher die meisten Filmregisseure beim Fernsehen den Fuß in die Tür gesetzt, ist das heute nicht anders, nur mit einem gewaltigen Unterschied. High-Concept Serien haben mittlerweile ein Budget, bei dem einzelne Folgen mehr kosten, als alle Filmdebuts auf einem Sundance Filmfest zusammen genommen. Fast, aber kaum übertrieben. Und HBOs WESTWORLD ist definitiv etwas, das man in der Branche mittlerweile »Tentpole-TV« nennt, was vor nicht all zu langer Zeit Kino-Großprojekten vorbehalten war. Lisa Joy hat Michael Crichtons Science-Fiction-Fantasie zusammen mit Jonathan Nolan neu interpretiert. Wobei stark anzunehmen ist, dass letzterer für die Tentpole-Budgetierung ausschlaggebend gewesen sein wird. Was hat der nicht schon für Wunder mit seinem Bruder ersonnen. Dass sich Lisa Joy schließlich die kreativen Perlen an Technikern und Künstlern aus WESTWORLD für ihr Filmdebut herauspicken würde, überrascht nicht. Letztendlich sind die optischen, inhaltlichen und darstellerischen Parallelen beider Produktionen nicht zu übersehen.
In einem wegen des Klimawandels überfluteten Miami betreibt Kriegsveteran Nick Bannister ein eher schlecht gehendes Geschäft mit einer Technologie, die man »Reminiszenz« nennt. In einem speziellen Wasserbad können Kunden beliebige Ereignisse erneut erleben, die aus ihrem Gedächtnis rekonstruiert werden. Über eine holografische Projektion kann Nick die Erinnerungen sehen, um seine Kunden sicher durch ihr Gedächtnis zu geleiten. Es ergeben sich dabei viele Elemente, die wie Variationen aus anderen Filmen wirken. Der Zukunft-und-Film-Noir-Mix von BLADE RUNNER, die atmosphärische Unbestimmtheit aus Bigelows STRANGE DAYS, oder der morbide Charme der Technologie, welche THE FINAL CUT bestimmte.
Einmal versucht Nick Bannister zu erklären, was seine Technik so heikel werden lässt – Erinnerungen folgen keinen bestimmten Strömungen, sie können in zurück in die Vergangenheit gehen, oder nach vorne. Die eigentlich kryptische Aussage folgt aber genau der Struktur der Erzählung, was ihr etwas metaphysisches verleiht. Als die attraktive Mae die finsteren Art-Déco-Räumlichkeiten einer ehemaligen Bank betritt, ist es im gewohnt klassischen Noir-Stil um unseren Helden geschehen. Dabei fallen wir auf einen inszenatorischen Trick herein, der uns sofort die Frage stellen lässt, wie so viele Zufälligkeiten möglich sind, dass sich solch eine Geschichte daraus entspinnt.
Eigentlich wollte Mae nur verlorene Schlüssel wiederfinden, die Nick bei einem Rundgang durch ihr Gedächtnis lokalisieren konnte. Eigentlich, aber beide verlieben sich unsterblich. Das erste Viertel gestaltet sich als Abfolge aller bekannten Handlungsklischees, die eine originelle Dramaturgie in Frage stellen. Eines Tages verschwindet Mae spurlos und Nick wird immer obsessiver darin, sie finden zu wollen. Erst Nicks Partnerin Watts bringt die Dramaturgie ins Wanken. Sie beginnt seine Integrität in Frage zu stellen, womit auch die ersten Handlungssprünge einhergehen, die man zuerst für Kontinuitätsfehler hält. Nick verbringt Stunden im Wassertank, um sein eigenen Erinnerungen immer und immer wieder zu durchforsten, ob es einen Hinweis auf Maes Verbleib geben könnte.
REMINISCENCE stellt sich als Film heraus, der von allem das Beste bieten möchte. Lisa Joy setzt auf ein erstklassiges Ensemble, welches mit Hugh Jackman und Thandiwe Newton angeführt wird. Das dystopische Szenario der überschwemmten Küstenstadt ist hervorragend mit eher unaufdringlichen Effekten, die sehr natürlich und glaubwürdig umgesetzt sind. Die Effekte sind umso beeindruckender, weil sie nicht in den Vordergrund gedrängt werden, sondern beiläufig in die Spielszenen integriert sind. Wasser ist ein sich wiederholender Faktor in REMINISCENCE, was bei dem überfluteten Miami anfängt, sich über den Erinnerungstank fortsetzt, und eine Action-Sequenz wird von einem Aquarium mit Zitteraalen begleitet.
Das Element der Flut erfährt nur einmal in einem elementaren Höhepunkt eine wirklich übergeordnete Rolle. Als ein Klavier innerhalb eines Gebäudes im Meerwasser versinkt, nutzt Joy das erste und eigentlich einzige Mal den vollen visuellen Spielraum den Kinos. Es bleibt allerdings den ganzen Film hindurch unklar, welche Metapher das Wasser besetzen soll, obwohl es so offensichtlich immer wieder bemüht wird. Joy scheint sich darüber selbst nicht ganz im Klaren gewesen zu sein, was in ihrer Geschichte tatsächlich dem Element gegenüberstehen sollte. Interpretationsmöglichkeiten gäbe es einige. Einer der Gründe, warum es auch mit einer substanziellen Aussage in REMINISCENCE sehr dünn wird.
Womit Joy ihr Buch aufwertet, ist die sehr raffiniert und elegant verschlungene Handlung. Wir Zuschauer erfahren erst nach und nach, dass wir in die Falle einer nur vermeintlich naiven Geschichte getappt sind. Dabei schlägt die Erzählung immer wieder Haken und macht wilde Zeitsprünge. Was wir als Gegenwart wahrnehmen, entpuppt sich sehr geschickt verwoben als Blick in die Vergangenheit. Oder ein Blick in die Zukunft macht unvermittelt das Jetzt verständlich. Immer wieder gibt es den Aha-Effekt, weil wir dachten in ein Logikloch gefallen zu sein, oder ergeben nicht erklärbare Dinge plötzlich Sinn. Bannisters Worte zu seiner Technologie, das Erinnerungen keinen Strömungen folgen und in beide Richtungen gehen können, ist auch Erklärung für die Handlungsstruktur.
Im Handlungsverlauf selbst, bricht das Setting des klassischen Film Noir richtig durch. Trotz des leichten Science Fiction-Elements mit Gedankenapparatur und den sichtbaren Erinnerungen, werden die Romane von Ross Macdonald oder Dashiell Hammett spürbar. Die immer komplizierteren, ineinander greifenden Verstrickungen atmen eine herrlich nostalgische Atmosphäre. REMINISCENCE funktioniert an dieser Stelle. Wo es aber überhaupt nicht funktioniert, ist all die unterschiedlichen filmischen und inhaltlichen Komponenten zusammen zu bringen.
Der heruntergekommene Nick Bannister zeigt überhaupt keine Distanz zu Jackmans Wolverine. Die überflutete Stadt erweist sich als reines Gimmick, welches sich schnell müde gelaufen hat. Die holografischen Darstellungen (mit realen holografischen Projektionen gefilmt) werfen die Frage auf, warum man die gezeigten Gedanken nicht aus der Sicht der Erfahrenden sieht. Jeder dieser Bausteine hat seine Momente, doch REMINISCENCE schafft es nicht einmal im Ansatz, aus all diesen Element etwas wirklich Eigenständiges, etwas Neues zu schaffen. Und nebenbei geht ihm auch ein metaphorischer Überbau verloren. Philosophische Ansätze die eine bedeutungsschwangere Nachhaltigkeit herauf beschwören, welche diese Art von Film über das reine Unterhaltungsniveau heben. Wie es zum Beispiel WESTWORLD vor sich her trägt.
REMINISCENSE
Darsteller: Hugh Jackman, Thandiwe Newton, Rebecca RFerguson, Cliff Curtis, Daniel Wu, Marina de Tavira, Mojean Aria, Brett Cullen, Natalie Martinez, Angela Sarafyan u.a.
Regie & Drehbuch: Lisa Joy
Kamera: Paul Cameron
Bildschnitt: Mark Yoshikawa
Musik: Ramin Djawadi
Produktionsdesign: Howard Cummings
USA / 2021
116 Minuten
Bildrechte: WARNER BROS.