GREENLAND – Bundesstart 22.10.2020
Dieser Film hat wirklich alles, was ein altbekanntes und bewährtes Katastrophenszenario braucht: Der unbedarfte Vater, der mit gottgegebener Selbstverständlichkeit den Helden gibt. Dazugehörig die zerrüttete Beziehung zu seiner Frau, bei der die Ehe ohne Katastrophe nicht mehr zu retten gewesen wäre. Da ist natürlich auch der Sohn, welcher die ungebrochene Liebe beider Elternteile genießt. Und es gibt jenes ominöse Ziel, welches man unter schwierigsten Bedingungen erreichen muss, um dem Ende der Zivilisation zu entkommen. Nicht vergessen sind die vielen Nebencharaktere, die entweder verständnisvoll hilfsbereit sind, oder kaltherzig brutal. Nicht wie es die Figuren erfordern, sondern der dramaturgisch überspitzte Handlungsverlauf.
Als beständiger Gast des allgemeinen Mainstream-Kinos würde man aufgrund der Prämisse von GREENLAND schon von vornherein gerne abwinken. Aber das Drehbuch von Chris Sparling, dem trotz seiner genialen Vorlage zu SEA OF TREES 2015 bisher keine größere Aufmerksamkeit zu Teil wurde, hält dann bei GREENLAND doch eine Überraschung bereit. Auch die ist nicht neu, und weit weg von originell, aber sie verspricht Hoffnung und eröffnet Möglichkeiten. Die dreiköpfige Familie Garrity wurde ausgelost den vernichtenden Auswirkungen eines Kometeneinschlags zu entgehen, indem sie von der Regierung zu einer sicheren Bunkerkolonie nach Grönland gebracht werden.
Sparling setzt die Helden der Geschichte nicht ins Zentrum des Geschehens, und lässt sie vorerst auch nicht heldenhaft die Katastrophe beeinflussenden. Sie sind einfach Auserwählte. Ob sie die Militärbasis zum angegebenen Zeitpunkt der Evakuation nun erreichen oder nicht ist lediglich für die Garritys relevant. Daraus ergeben sich auch einige sehr intensive und spannende Szenen, die genüsslich mit den Versatzstücken des Spannungskinos spielen. Aber die aufgebürdete Eigenständigkeit fordert von den Figuren sehr emotionale Momente zwischen Hoffnungslosigkeit und panischer Überreaktion, welche den Film manchmal vom handelsüblichen Action-Kino abhebt. Dass die Familie auf ihrem Weg in die Sicherheit aus widrigen Umständen vollkommen voneinander getrennt wird, kann niemanden überraschen und muss man unter unvermeidlichem Klischee abhaken.
Nach dem eigentlich nicht erwähnenswerten ANGEL HAS FALLEN ist es Gerard Butler wieder einmal gegönnt, etwas Schauspiel und Darstellung in seine Rolle einzubringen. Lange nicht mehr so eindringlich wie in GESETZ DER RACHE, aber damals hat ja auch ein Schauspieler-Virtuose wie F. Gary Gray Regie geführt. Hier ist es wie bei ANGEL HAS FALLEN erneut Ric Roman Waugh, der aber diesmal mehr Motivation für seine Darsteller übrig gehabt zu haben scheint. Ebenso glaubt man zu bemerken, dass er sich auch seiner Drehbuchvorlage wesentlich bewusster war.
Szenen wie der Versuch durch die Gruppe der verständnislosen Nachbarn zu entkommen, oder die Entführung des Kindes sind sehr gute Beispiele, wie GREENLAND trotz seiner ausgereizten Versatzstücke richtig unter die Haut gehen kann. Und in weiten Teilen kann der Film mit seinen Spannungsmomente den Zuschauer durchaus bei guter Untergangsstimmung halten. Was Waugh allerdings überhaupt nicht gelingt, sind seine kläglichen Versuche von Täuschung. Immer wieder glaubt er dem Zuschauer das Gefühl von Sicherheit für seine Charaktere vorgaukeln zu können, um im allerletzten Augenblick noch einmal einen Stab zwischen die Speichen zu werfen. Das funktioniert beim ersten Mal, hat sich aber beim zweiten Mal schon totgelaufen – und wird dennoch ständig wiederholt.
Dass an charakterlicher Ausschmückung tatsächlich noch etwas gefehlt hat, fällt unweigerlich auf wenn Scott Glenn als Butlers Vater ins Spiel gebracht wird. Das ist umso bedauerlicher, weil Glenn leider an Talent und Charisma verschenkt wird. Aber selbst mit den Vorzügen des Buches allein konnte der Regisseur wenig Fingerspitzgefühl beweisen. Zum Leidwesen der Ausgangssituation bricht in Ric Roman Waugh der klassische Action- und Katastrophenregisseur durch. Das erste große Spektakel ist die Explosion eines Transporters, was wirklich beeindruckend in Szene gesetzt wurde.
Aber irgendwie reiß die große Show auch aus der Atmosphäre der auf sich gestellten Familie, die ohnehin beklemmend und schweißtreibend gelingt, ohne das überbordende Tam-Tam zu bemühen. Und auch hier, als hätte man es nicht in allen anderen Filmen genau so erlebt, ist die bedrohte Erde so klein, dass einschlagende Fragmente des Kometen in unmittelbarer Nähe der Protagonisten explodieren müssen. Vielleicht weil Waugh dem emotionalen Teil der Geschichte alleine nicht vertraute, muss er zusätzlich noch unbedingt Bilder von zerstörten Großstädten nachschieben. Selbstverständlich mit ihren jeweils in Schutt und Asche gelegten markanten Sehenswürdigkeiten.
Durch den fehlenden Informationsfluss, kämpfen sich die Figuren durch die Widrigkeiten der Isolation, was sich als empathischer Eindruck beim Zuschauer immer mehr verliert. Die überflüssigen inszenatorischen Ausreißer, um ein allgemeines Bild der Verwüstungen zu demonstrieren, lenken nur ab und führen immer wieder zum Bruch zwischen Protagonisten und Zuschauer. GREENLAND will am Ende eben doch mehr sein, was er allerdings nicht bieten kann. Zwischen Thriller-Drama und Katastrophenspektakel präsentiert sich ein durchaus unterhaltsamer Film auf einem gut gemeinten Mittelweg. Allerdings wird er keiner der beiden Seiten wirklich gerecht, und verbleibt auf diesem Weg – mittelmäßig eben.
GREENLAND
Darsteller: Gerard Butler, Morena Baccarin, Roger Dale Floyd, Scott Glenn, Randal Gonzalez, Gary Weeks u.a.
Regie: Ric Roman Waugh
Drehbuch: Chris Sparling
Kamera: Dana Gonzales
Bildschnitt: Gabriel Fleming
Musik: David Buckley
Produktionsdesign: Clay A. Griffith
119 Minuten
Großbritannien – USA 2020
Bildrechte: TOBIS Film