Die dreiköpfige Familie Harmon zieht von Boston nach Los Angeles, um extrem unschöne Zeiten und Ereignisse hinter sich zu lassen. Ihr neues Heim ist atemberaubend, und dies wie wir aus dem Vorspann erfahren im wahrsten Sinne des Wortes. Die Harmons sind nicht die einzigen Bewohner des sehr günstig erstandenen Anwesens, dafür die einzigen lebenden. „American Horror Story“ präsentiert, was dem Fernsehen lange Zeit gefehlt hat, nämlich eine Geisterhaus-Geschichte in Serienformat. Das hört sich vielversprechend an und macht Lust. Diverse Trailer versprechen noch viel mehr und machen noch mehr Lust. Doch nach den ersten Episoden bleibt der Zuschauer erst einmal etwas ratlos zurück. Was will diese Serie? Worauf könnte sie hinauslaufen? Ist sie tatsächlich so kreativ? Hinter „American Horror Story“ stecken zwei Köpfe, die mit zwei anderen Serien schon den Markt aufgeschreckt haben, die aber unterschiedlicher nicht sein könnten. „Nip/Tuck“ war eine Schicki-Micki-Lifestyle-Serie mit einem sexbesessenen Chirurgen und den schonungslosesten chirurgischen Eingriffen, die jemals im TV zu sehen waren. „Glee“ hingegen ist weichgespültes Wohlfühl-Schuldrama mit sehr vielen Musikeinlagen, und um interessant zu bleiben, besingt man sich mit populären Hitparaden-Krachern. Wenn Ryan Murphy und Brad Falchuk also eine Geisterhaus-Serie in die Welt setzen, dann sollte man sich auf etwas gefasst machen.
Der Vorspann ist leider ein misslungener Ableger von verstörenden Bildern, die durch den Vorspann zu Finchers „Sieben“ so populär wurden. Schmutzige Arztutensilien, Bilder von gruseligen Kindern, Gläser mit unzweifelhaften Extremitäten. Das Haus hat eine Geschichte, keine sehr alte Geschichte, aber was hier anfänglich geschehen ist, hat sehr hässliche Auswirkungen auf alle nachfolgenden Bewohner. Nun sind die Harmons eingezogen, und die bleiben nicht verschont. An gruseligen Momenten und ausgeklügelten Schockeffekten wird nicht gespart, und der Horrorfreund bekommt mehr, als er eigentlich von einer Fernsehserie erwarten darf. Aber Murphy und Falchuk haben eine weitere Ebene hinzugefügt, mit der sie sich ganz klar dem Serien-Einerlei entziehen möchten. Die Geister im Haus der Harmons interagieren mit den sexuellen Wunschvorstellungen von Mutter Vivien, Vater Ben und sogar der sechzehnjährigen Tochter Violet.
Es gibt aber noch die nervige Nachbarin Constance und das alternde Hausmädchen Moira. Doch am verstörendsten ist Constances am Down-Syndrom leidende Tochter Adelaide, die gerne den neuen Bewohnern oder Besucher hinterherruft, dass sie in dem Haus sterben werden. Es ist selten, dass Menschen mit Down in Filmen und erst recht in Serien besetzt werden. Mit Adelaides Charakter gehen die kreativen Köpfe der Serie einen gewaltigen Schritt weiter, zudem einen sehr provozierenden Schritt. Adelaide ist wegen ihrer Behinderung ein stetes Opfer von Übergriffen, könnte aber genauso latent aggressive Täterin sein. Dies ist soweit einer der gelungensten Aspekte von „American Horror Story“, dass politisch korrekte Plattitüden ignoriert werden, und der Umgang mit einer Down-Person ausgerechnet in einer Geisterhaus-Geschichte einfach ungeschönt aufzeigt wird.
Wie bei allen Geisterhäusern bleibt dem erstaunten Zuschauer nur die Frage, warum sie nicht einfach wieder abhauen. So berechtigt die Frage scheint, so unsinnig ist sie, weil es sonst keine Geschichte geben würde. Und als hätten die Produzenten ihre Hausaufgaben gemacht und diese Frage selbstverständlich erwartet, skandiert Mutter Vivien am Ende der zweiten Folge erbost: „Wir verkaufen dieses Haus!“ Da hat sie allerdings nicht die Rechnung mit Folge drei gemacht, wo man sich noch geschickter ins Zeug gelegt hat, um den weiteren Verbleib der Harmons im Haus zu rechtfertigen. Die Geisterhaus-Geschichte wirft dabei immer mehr Mysterien ins Rennen. Beziehungen, die anfänglich leicht nervten, finden sogar eine sehr stimmige Erklärung. So fragt man sich in den ersten zwei Episoden unablässig, warum man eine bestimmte Person nicht schlichtweg vor die Tür setzt. Folge vier hingegen hält eine Überraschung parat, die das soziale Umfeld der Harmons noch viel gruseliger, aber auch rätselhafter gestaltet.
Jede Episode beginnt mit einem schaurig schönen Rückblick in eine mörderische Vergangenheit. Dabei verlieren die Autoren und die Produzenten etwas den Bezug zur Plausibilität. Grusel und plausibel sind zwei Attribute, die nicht zwangsweise zusammenpassen müssen. Doch bei einer Serie, die sich diesen Ansprüchen aussetzt, sollte man ein klein wenig Realität erwarten können, um das Grauen intensiver zu vermitteln. Diese Rückblicke allerdings werfen zu viele Fragen auf, als dass man sich entspannt anspannen lassen könnte. Ist es wirklich möglich, dass all dies in dieser Form in jüngster Vergangenheit geschehen ist? Oder wird am Ende doch alles „plausibel“?
„American Horror Story“ ist eine Serie, mit der sich Ryan Murphy und Brad Falchuk hohe Ziele gesteckt haben. Diese Ziele werden in weiten Teilen und streckenweise sehr intensiv erreicht. Doch bleibt da noch die sexuelle Dynamik in der dem Horror hinzugefügten Ebene, dem eigentlich interessanteren Unterbau. Doch da bleibt „American Horror Story“ eine sehr amerikanische Serie und unterwirft sich gnadenlos den bigotten Zwängen einer unverständlichen Fernsehkultur. Vater Ben erscheint die alternde, jungfräulich wirkende Moira als anzügliche Mittzwanzigerin, die sich gerne einmal dabei überraschen lässt, im Wohnzimmer zu masturbieren. Mutter Vivien hat ekstatischen Sex mit einem, soweit möglich, vollkommen in Latex gekleideten Mann, den sie für den ihren hält. Und Töchterchen Violet macht den Eindruck, als ob sie ihre Unschuld an einen nicht so ganz Unschuldigen abtreten möchte, bei dem nicht wirklich klar ist, auf welcher metaphysischen Ebene er einzuordnen ist.
Es mag vielen Zuschauern reichen, Dylan McDermott von hinten zu sehen, wenn er sichtbar nackt Hand an sich legt. Aber schon „Nip/Tuck“ krankte daran, dass die Sexszenen sehr klinisch und aufgeräumt inszeniert wurden, die Frauen dabei grundsätzlich ihren BH anbehielten und der Akt mit den von den Akteuren abgegebenen Lauten als animalische Unbeherrschtheit zu werten war, aber keineswegs von ehrlicher, hingebungsvoller Leidenschaft zeugen durfte. „American Horror Story“ tappt in die gleiche Falle und verpasst damit die Chance, endgültig unsinnige Tabus zu brechen und sich gleichzeitig einen Spitzenplatz unter den bahnbrechenden Serien zu sichern. Natürlich sind Sexszenen ohne jedwede Hüllen nicht zwanghaft notwendig, aber sie sind ehrlicher, gerade wenn es ein sehr wichtiger Bestandteil des Konzepts ist. Sehr absurd aber bezeichnend ist, dass McDermotts nackter Hintern und Connie Brittons bekleidetes Geräkel der Serie eine Altersangabe von „nur mit Erwachsenen, aber nicht unter 17“ erhält, und dass Kopfschuss und Gedärm-Spektakel von „Walking Dead“ mit „nicht unter 14“ freigegeben werden.
„American Horror Story“ wird sicherlich nicht das Fernsehprogramm revolutionieren. Diese Aussage kann man getrost geben, auch wenn weder das Ende der ersten, noch der Verlauf einer weiteren Staffel abzusehen ist. Doch sie versteht so weit zu unterhalten, zu gruseln und zu schocken, dass man gerne dran bleibt. Mit dem Großteil seiner Darsteller und seinen Inszenierungen hat „American Horror Story“ genug Potenzial, nicht nur interessant zu bleiben, sondern ohne weiteres auch noch interessanter zu werden. Selbst wenn Connie Britton verhüllt bleibt.
AMERICAN HORROR STORY
Darsteller: Connie Britton, Dylan McDermott, Taissa Farmiga, Jessica Lange, Frances Conroy, Alexandra Breckenridge, Evan Peters, Denis O’Hare u.v.a
Regie: Ryan Murphy (Episode 1), Alfonso Gomez-Rejon (2), Bradley Buecker (3), David Semel (4, 5)
Drehbuch: Ryan Murphy, Brad Falchuk, Jennifer Salt (3), James Wong (4), Tim Minear (5)
Bildgestaltung: Christopher Baffa
zirka 45 Minuten pro Episode
USA 2011
FX Network
Poster und Promofotos Copyright FX Network