AMERICAN HORROR STORY ist eine untypische Horror-Story

Seit dem 9. Novem­ber läuft AMERICAN HORROR STORY in Deutsch­land wöchent­lich und im Zwei­ka­nal-Ton beim Bezahl­sen­der Fox.

Die drei­köp­fi­ge Fami­lie Har­mon zieht von Bos­ton nach Los Ange­les, um extrem unschö­ne Zei­ten und Ereig­nis­se hin­ter sich zu las­sen. Ihr neu­es Heim ist atem­be­rau­bend, und dies wie wir aus dem Vor­spann erfah­ren im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes. Die Har­mons sind nicht die ein­zi­gen Bewoh­ner des sehr güns­tig erstan­de­nen Anwe­sens, dafür die ein­zi­gen leben­den. „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ prä­sen­tiert, was dem Fern­se­hen lan­ge Zeit gefehlt hat, näm­lich eine Geis­ter­haus-Geschich­te in Seri­en­for­mat. Das hört sich viel­ver­spre­chend an und macht Lust. Diver­se Trai­ler ver­spre­chen noch viel mehr und machen noch mehr Lust. Doch nach den ers­ten Epi­so­den bleibt der Zuschau­er erst ein­mal etwas rat­los zurück. Was will die­se Serie? Wor­auf könn­te sie hin­aus­lau­fen? Ist sie tat­säch­lich so krea­tiv? Hin­ter „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ ste­cken zwei Köp­fe, die mit zwei ande­ren Seri­en schon den Markt auf­ge­schreckt haben, die aber unter­schied­li­cher nicht sein könn­ten. „Nip/Tuck“ war eine Schi­cki-Micki-Life­style-Serie mit einem sex­be­ses­se­nen Chir­ur­gen und den scho­nungs­lo­ses­ten chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen, die jemals im TV zu sehen waren. „Glee“ hin­ge­gen ist weich­ge­spül­tes Wohl­fühl-Schul­dra­ma mit sehr vie­len Musik­ein­la­gen, und um inter­es­sant zu blei­ben, besingt man sich mit popu­lä­ren Hit­pa­ra­den-Kra­chern. Wenn Ryan Mur­phy und Brad Fal­chuk also eine Geis­ter­haus-Serie in die Welt set­zen, dann soll­te man sich auf etwas gefasst machen.

Der Vor­spann ist lei­der ein miss­lun­ge­ner Able­ger von ver­stö­ren­den Bil­dern, die durch den Vor­spann zu Fin­chers „Sie­ben“ so popu­lär wur­den. Schmut­zi­ge Arztu­ten­si­li­en, Bil­der von gru­se­li­gen Kin­dern, Glä­ser mit unzwei­fel­haf­ten Extre­mi­tä­ten. Das Haus hat eine Geschich­te, kei­ne sehr alte Geschich­te, aber was hier anfäng­lich gesche­hen ist, hat sehr häss­li­che Aus­wir­kun­gen auf alle nach­fol­gen­den Bewoh­ner. Nun sind die Har­mons ein­ge­zo­gen, und die blei­ben nicht ver­schont. An gru­se­li­gen Momen­ten und aus­ge­klü­gel­ten Schock­ef­fek­ten wird nicht gespart, und der Hor­ror­freund bekommt mehr, als er eigent­lich von einer Fern­seh­se­rie erwar­ten darf. Aber Mur­phy und Fal­chuk haben eine wei­te­re Ebe­ne hin­zu­ge­fügt, mit der sie sich ganz klar dem Seri­en-Einer­lei ent­zie­hen möch­ten. Die Geis­ter im Haus der Har­mons inter­agie­ren mit den sexu­el­len Wunsch­vor­stel­lun­gen von Mut­ter Vivi­en, Vater Ben und sogar der sech­zehn­jäh­ri­gen Toch­ter Violet.

Es gibt aber noch die ner­vi­ge Nach­ba­rin Con­stance und das altern­de Haus­mäd­chen Moi­ra. Doch am ver­stö­rends­ten ist Con­stan­ces am Down-Syn­drom lei­den­de Toch­ter Ade­lai­de, die ger­ne den neu­en Bewoh­nern oder Besu­cher hin­ter­her­ruft, dass sie in dem Haus ster­ben wer­den. Es ist sel­ten, dass Men­schen mit Down in Fil­men und erst recht in Seri­en besetzt wer­den. Mit Ade­lai­des Cha­rak­ter gehen die krea­ti­ven Köp­fe der Serie einen gewal­ti­gen Schritt wei­ter, zudem einen sehr pro­vo­zie­ren­den Schritt. Ade­lai­de ist wegen ihrer Behin­de­rung ein ste­tes Opfer von Über­grif­fen, könn­te aber genau­so latent aggres­si­ve Täte­rin sein. Dies ist soweit einer der gelun­gens­ten Aspek­te von „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“, dass poli­tisch kor­rek­te Plat­ti­tü­den igno­riert wer­den, und der Umgang mit einer Down-Per­son aus­ge­rech­net in einer Geis­ter­haus-Geschich­te ein­fach unge­schönt auf­zeigt wird.

Connie Britton, Dylan McDermott, Taissa Farmiga
Con­nie Britton, Dyl­an McDer­mott, Tais­sa Farmiga

Wie bei allen Geis­ter­häu­sern bleibt dem erstaun­ten Zuschau­er nur die Fra­ge, war­um sie nicht ein­fach wie­der abhau­en. So berech­tigt die Fra­ge scheint, so unsin­nig ist sie, weil es sonst kei­ne Geschich­te geben wür­de. Und als hät­ten die Pro­du­zen­ten ihre Haus­auf­ga­ben gemacht und die­se Fra­ge selbst­ver­ständ­lich erwar­tet, skan­diert Mut­ter Vivi­en am Ende der zwei­ten Fol­ge erbost: „Wir ver­kau­fen die­ses Haus!“ Da hat sie aller­dings nicht die Rech­nung mit Fol­ge drei gemacht, wo man sich noch geschick­ter ins Zeug gelegt hat, um den wei­te­ren Ver­bleib der Har­mons im Haus zu recht­fer­ti­gen. Die Geis­ter­haus-Geschich­te wirft dabei immer mehr Mys­te­ri­en ins Ren­nen. Bezie­hun­gen, die anfäng­lich leicht nerv­ten, fin­den sogar eine sehr stim­mi­ge Erklä­rung. So fragt man sich in den ers­ten zwei Epi­so­den unab­läs­sig, war­um man eine bestimm­te Per­son nicht schlicht­weg vor die Tür setzt. Fol­ge vier hin­ge­gen hält eine Über­ra­schung parat, die das sozia­le Umfeld der Har­mons noch viel gru­se­li­ger, aber auch rät­sel­haf­ter gestaltet.

Jede Epi­so­de beginnt mit einem schau­rig schö­nen Rück­blick in eine mör­de­ri­sche Ver­gan­gen­heit. Dabei ver­lie­ren die Autoren und die Pro­du­zen­ten etwas den Bezug zur Plau­si­bi­li­tät. Gru­sel und plau­si­bel sind zwei Attri­bu­te, die nicht zwangs­wei­se zusam­men­pas­sen müs­sen. Doch bei einer Serie, die sich die­sen Ansprü­chen aus­setzt, soll­te man ein klein wenig Rea­li­tät erwar­ten kön­nen, um das Grau­en inten­si­ver zu ver­mit­teln. Die­se Rück­bli­cke aller­dings wer­fen zu vie­le Fra­gen auf, als dass man sich ent­spannt anspan­nen las­sen könn­te. Ist es wirk­lich mög­lich, dass all dies in die­ser Form in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit gesche­hen ist? Oder wird am Ende doch alles „plau­si­bel“?

Evan Peters, Jessica Lange, Frances Conroy
Evan Peters, Jes­si­ca Lan­ge, Fran­ces Conroy

Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ ist eine Serie, mit der sich Ryan Mur­phy und Brad Fal­chuk hohe Zie­le gesteckt haben. Die­se Zie­le wer­den in wei­ten Tei­len und stre­cken­wei­se sehr inten­siv erreicht. Doch bleibt da noch die sexu­el­le Dyna­mik in der dem Hor­ror hin­zu­ge­füg­ten Ebe­ne, dem eigent­lich inter­es­san­te­ren Unter­bau. Doch da bleibt „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ eine sehr ame­ri­ka­ni­sche Serie und unter­wirft sich gna­den­los den bigot­ten Zwän­gen einer unver­ständ­li­chen Fern­seh­kul­tur. Vater Ben erscheint die altern­de, jung­fräu­lich wir­ken­de Moi­ra als anzüg­li­che Mitt­zwan­zi­ge­rin, die sich ger­ne ein­mal dabei über­ra­schen lässt, im Wohn­zim­mer zu mas­tur­bie­ren. Mut­ter Vivi­en hat eksta­ti­schen Sex mit einem, soweit mög­lich, voll­kom­men in Latex geklei­de­ten Mann, den sie für den ihren hält. Und Töch­ter­chen Vio­let macht den Ein­druck, als ob sie ihre Unschuld an einen nicht so ganz Unschul­di­gen abtre­ten möch­te, bei dem nicht wirk­lich klar ist, auf wel­cher meta­phy­si­schen Ebe­ne er ein­zu­ord­nen ist.

Es mag vie­len Zuschau­ern rei­chen, Dyl­an McDer­mott von hin­ten zu sehen, wenn er sicht­bar nackt Hand an sich legt. Aber schon „Nip/Tuck“ krank­te dar­an, dass die Sex­sze­nen sehr kli­nisch und auf­ge­räumt insze­niert wur­den, die Frau­en dabei grund­sätz­lich ihren BH anbe­hiel­ten und der Akt mit den von den Akteu­ren abge­ge­be­nen Lau­ten als ani­ma­li­sche Unbe­herrscht­heit zu wer­ten war, aber kei­nes­wegs von ehr­li­cher, hin­ge­bungs­vol­ler Lei­den­schaft zeu­gen durf­te. „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ tappt in die glei­che Fal­le und ver­passt damit die Chan­ce, end­gül­tig unsin­ni­ge Tabus zu bre­chen und sich gleich­zei­tig einen Spit­zen­platz unter den bahn­bre­chen­den Seri­en zu sichern. Natür­lich sind Sex­sze­nen ohne jed­we­de Hül­len nicht zwang­haft not­wen­dig, aber sie sind ehr­li­cher, gera­de wenn es ein sehr wich­ti­ger Bestand­teil des Kon­zepts ist. Sehr absurd aber bezeich­nend ist, dass McDer­motts nack­ter Hin­tern und Con­nie Brittons beklei­de­tes Gerä­kel der Serie eine Alters­an­ga­be von „nur mit Erwach­se­nen, aber nicht unter 17“ erhält, und dass Kopf­schuss und Gedärm-Spek­ta­kel von „Wal­king Dead“ mit „nicht unter 14“ frei­ge­ge­ben werden.

Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ wird sicher­lich nicht das Fern­seh­pro­gramm revo­lu­tio­nie­ren. Die­se Aus­sa­ge kann man getrost geben, auch wenn weder das Ende der ers­ten, noch der Ver­lauf einer wei­te­ren Staf­fel abzu­se­hen ist. Doch sie ver­steht so weit zu unter­hal­ten, zu gru­seln und zu scho­cken, dass man ger­ne dran bleibt. Mit dem Groß­teil sei­ner Dar­stel­ler und sei­nen Insze­nie­run­gen hat „Ame­ri­can Hor­ror Sto­ry“ genug Poten­zi­al, nicht nur inter­es­sant zu blei­ben, son­dern ohne wei­te­res auch noch inter­es­san­ter zu wer­den. Selbst wenn Con­nie Britton ver­hüllt bleibt.

AMERICAN HORROR STORY
Dar­stel­ler: Con­nie Britton, Dyl­an McDer­mott, Tais­sa Far­mi­ga, Jes­si­ca Lan­ge, Fran­ces Con­roy, Alex­an­dra Bre­cken­ridge, Evan Peters, Denis O’Hare u.v.a
Regie: Ryan Mur­phy (Epi­so­de 1), Alfon­so Gomez-Rejon (2), Brad­ley Bue­cker (3), David Semel (4, 5)
Dreh­buch: Ryan Mur­phy, Brad Fal­chuk, Jen­ni­fer Salt (3), James Wong (4), Tim Mine­ar (5)
Bild­ge­stal­tung: Chris­to­pher Baffa
zir­ka 45 Minu­ten pro Episode
USA 2011
FX Network

 

Pos­ter und Pro­mo­fo­tos Copy­right FX Net­work

AutorIn: Bandit

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