ÆTHERMAGIE – Susanne Gerdom

Ich bin immer etwas skep­tisch, wenn man mir einen Roman unter dem Eti­kett »Jugend­buch« andie­nen möch­te. All­zu oft sind das Kin­der­bü­cher im Teen­ager-Gewand, oder spe­zi­ell auf weib­li­che Her­an­wach­sen­de gezielt – und da ich weder das eine noch das ande­re bin, also defi­ni­tiv nicht zur Ziel­grup­pe gehö­re, fin­det sol­ches in mei­nen Augen kein Gefallen.

Dabei habe ich gar nichts gegen Kin­der­bü­cher im All­ge­mei­nen, dar­un­ter fin­det man gera­de im Phan­tas­tik-Bereich oft wirk­lich Lesens­wer­tes, ich will gar nicht erst mit dem bri­ti­schen Zau­ber­lehr­ling anfan­gen, man könn­te auch noch LARKLIGHT als Bei­spiel nennen.

Natür­lich muss ich aber einen Blick auf ein Jugend­buch wer­fen, das unter Steam­punk ein­sor­tiert wird und den viel­ver­spre­chen­den Titel ÆTHERMAGIE trägt. Ange­sichts der Prak­tik gewis­ser gro­ßer Ver­la­ge, belie­bi­ge Inhal­te mit Zahn­rä­dern zu ver­se­hen (so auch hier gesche­hen), und sie dann fälsch­li­cher­wei­se als Steam­punk zu dekla­rie­ren (hier nicht gesche­hen), hat­te ich immer noch Bedenken.

Ich hät­te nicht wei­ter dane­ben lie­gen kön­nen – Susan­ne Ger­doms ÆTHERMAGIE ist ein wah­res Klein­od. Die­se Bespre­chung ent­hält mini­ma­le Spoi­ler, erläu­tert aber nichts von der Hand­lung, was den Lese­spaß beein­träch­ti­gen könnte.

Klap­pen­text:

Die jun­ge Baro­nes­se Kato von May­en­burg lebt in einer vom Krieg zer­ris­se­nen Welt, in der alles von der magi­schen Ener­gie, dem Æther, abhängt. Sie kommt dem düs­te­ren Geheim­nis der Ele­men­ta­re auf die Spur, die den Æther für die Men­schen pro­du­zie­ren müs­sen und von die­sen in unwür­di­ger Knecht­schaft gehal­ten wer­den. Auf der Flucht vor der Geheim­po­li­zei ver­schlägt es sie in die gehei­me Abtei­lung D der Kai­ser­li­chen Irren­an­stalt am Brünnlfeld. Wer ist der Draht­zie­her hin­ter den grau­sa­men Ver­su­chen an Irren­haus­in­sas­sen? Wäh­rend sie ihr altes Leben hin­ter sich lässt, begeg­net Kato den Brü­dern Milan, der kai­ser­li­chen Prin­zes­sin, einer illus­tren Geheim­ge­sell­schaft in der Kana­li­sa­ti­on unter Wien, einem zwie­lich­ti­gen Ner­ven­arzt und dem Zeit und Raum mani­pu­lie­ren­den Pro­fes­sor Tiez – der weit­aus harm­lo­ser wirkt als er in Wirk­lich­keit ist.

Eins muss ich ganz klar vor­weg sagen: Der Ueber­reu­ter-Ver­lag arbei­tet wirk­lich mit allen Mit­teln. Selbst­ver­ständ­lich habe auch ich in mei­ner Kind­heit und Jugend Bücher aus die­sem Hau­se gele­sen – lan­ge ist’s her. Als ich die Ver­pa­ckung und danach das Buch öff­ne­te, stiegt mir ein Geruch in die Nase, der mich spon­tan an viel, viel frü­her erin­ner­te, als ich ande­re Roma­ne aus dem Ver­lag las. Das habe ich bei ande­ren Hard­co­vern so noch nicht erlebt – der Ver­lag muss nicht nur eine ganz beson­de­re Papier­art und Druck­far­be ver­wen­den, son­dern die­se wohl auch seit Jahr­zehn­ten nicht gewech­selt haben. Oder sie par­fü­mie­ren ihre Bücher, um das Nost­al­gie-Odeur zu erhal­ten, und so sich erin­nern­de Erwach­se­ne zu fan­gen. Auch als eBook-Fan muss ich zuge­ben, dass man so etwas natür­lich bei einem elek­tro­ni­schen Buch nie­mals bekom­men wird. Der Ver­such der Beein­flus­sung war aber erfolg­reich: mei­ne Stim­mung gut.

Dabei wäre es gar nicht nötig gewe­sen, mei­ne Olfak­to­rik in die­ser Form anzusprechen … ;)

Denn nach dem ers­ten Kapi­tel, bei dem ich mich noch frag­te, was das soll und das kein beson­ders guter Ein­stieg war, fand ich mich in einem außer­or­dent­lich span­nen­den Sze­na­rio wie­der, bei dem ich mich immer wie­der zwin­gen muss­te, das Buch aus der Hand zu legen (bei­spiels­wei­se um solch über­flüs­si­ge Hand­lun­gen durch­zu­füh­ren wie Schla­fen, Arbei­ten oder Essen).

Susan­ne Ger­dom beleuch­tet ein Wien in den 1880er Jah­ren für den Leser, das sich aus­gie­big an der bekann­ten His­to­rie bedient, aber zugleich zahl­lo­se Ver­satz­stü­cke aus dem Steam­punk und der Phan­tas­tik ergänzt. Das Kai­ser­reich führt einen lang andau­ern­den Krieg gegen soge­nann­te »Engel«, zudem gibt es Gerät­schaf­ten und Lam­pen, die mit einem mys­te­riö­sen »Æther« betrie­ben wer­den – und auch Motor­wa­gen waren im Wien die­ser Zeit in unse­rer Welt noch nicht anzutreffen.

Das Buch hat diver­se Prot­ago­nis­ten, zen­tra­le Figur ist aber die Baro­nes­se Katha­ri­na (ali­as Kato) von May­en­burg, um die die Gescheh­nis­se und die ande­ren Figu­ren rotie­ren. Sie wird am aus­führ­lichs­ten betrach­tet, ohne dass dar­über die rest­li­chen Cha­rak­te­re ver­blas­sen. Die Autorin schafft es in ver­blüf­fen­der Form, sogar Neben­fi­gu­ren durch kur­ze treff­si­che­re Beschrei­bun­gen von Aus­se­hen und Ver­hal­ten poin­tiert zu cha­rak­te­ri­sie­ren. Den Hand­lungs­trä­gern wird deut­lich mehr Raum geboten.

Kato ist eine soge­nann­te Sen­si­ti­ve. Sie kann Ele­men­tar­we­sen sehen, wie bei­spiels­wei­se die klei­nen Æther­teu­fel­chen, die in den Lam­pen erschei­nen und eigent­lich für das Licht sor­gen, wenn man die Lam­pe anschal­tet. Per­so­nen die hier­für kei­ne »Anten­ne« haben, sehen nur eine Flamme.
Doch man darf nicht zei­gen, eine Sen­si­ti­ve zu sein, das wird für eine Geis­tes­krank­heit gehal­ten und ist der bes­te Weg ins Wie­ner Irren­haus Brünnlfeld. Kato sieht aber die Wesen nicht nur, son­dern kann sogar mit ihnen reden – und muss das geheim halten.

Susan­ne Gerdom

Susan­ne Ger­dom brei­tet ein trotz der Phan­tas­tik-Ele­men­te über­aus glaub­wür­di­ges und atmo­sphä­ri­sches Sze­na­rio vor dem Leser aus, dem man sich nicht ent­zie­hen kann. Der Mix aus Rea­li­tät und Fan­ta­sy ist groß­ar­tig gelun­gen und hebt den Roman über vie­le ande­re des Gen­res weit hin­aus. Dazu kom­men die über­aus erfeu­li­chen Fak­to­ren Sprach­wahl und Stil der Autorin: durch­mischt mit Wie­ner Lokal­ko­lo­rit und einem behut­sa­men Anteil von Pseu­do­tech­nik und ‑Magie sorgt auch der sprach­li­che Schliff dafür, dass man ÆTHERMAGIE nicht mehr aus der Hand legen kann und der Roman wie magne­ti­siert an Hän­den und Hirn haftet.

Der Steam­punk – oder viel­leicht die Steam­fan­ta­sy – sind eben­so wie die schein­ba­re Magie (die auch eine Art Tech­nik sein könn­te, oder fremd­di­men­sio­na­le Ein­flüs­se) ein ganz zen­tra­ler Punkt der Geschich­te, ohne den sie nicht funk­tio­nie­ren wür­de. Umso erstaun­li­cher ist, dass der Steam­punk sich trotz­dem nie über­mä­ßig in den Vor­der­grund drängt, son­dern eigent­lich einer von vie­len Akteu­ren auf die­ser Büh­ne bleibt – wich­tig aber nicht Selbstzweck.

ÆTHERMAGIE ist kein Blüm­chen und Elf­chen-Buch – ganz im Gegen­teil. Gro­ße Stre­cken kom­men sehr düs­ter daher. Die Beschrei­bun­gen der Behand­lun­gen der Insas­sen der Anstalt Brünnlfeld und ins­be­son­de­re der dubio­se­ren Abtei­lun­gen dort sind har­ter Tobak. Es wer­den Metho­den beschrie­ben, wie man sie zum Teil aus his­to­ri­schen Berich­ten kennt (und wie sie zum Teil auch heu­te noch Anwen­dung fin­den). Elek­tro- bzw. Æther­schocks, Rea­li­täts­ent­zug in dunk­len Wan­nen vol­ler Was­ser aber auch eine Lobo­to­mie wird beschrie­ben, letz­te­re aller­dings nicht im Detail, son­dern nur durch die Augen einer unwis­sen­den drit­ten Person.

Den­noch: gera­de die Beschrei­bun­gen der von den soge­nann­ten Wis­sen­schaft­lern in der Anstalt durch­ge­führ­ten Metho­den und die kon­kre­te Anwen­dung an Prot­ago­nis­ten ist garan­tiert nichts für Zart­be­sai­te­te. Ich hat­te gegen­über mei­ner Hol­den spon­tan gesagt, dass das Buch sicher nicht für Jugend­li­che unter 14 geeig­net ist und muss­te dann fest­stel­len, dass genau die­ses Eti­kett auch für das emp­foh­le­ne Alter Ver­wen­dung fand.
Es han­delt sich aber auch gera­de auf­grund die­ser Beschrei­bun­gen nicht wirk­lich um ein Jugend­buch, son­dern um eins, das auch von Erwach­se­nen pro­blem­los und ohne Ein­schrän­kun­gen hin­sicht­lich des Anspruchs gele­sen wer­den kann. Neben den fan­tas­ti­schen Ele­men­ten, dem Steam­punk und dem, was man heut­zu­ta­ge auch »Urban Fan­ta­sy« nen­nen könn­te, fin­den wir Anlei­hen beim Thril­ler, beim Hor­ror und bei Spio­na­ge und poli­ti­schen, sowie His­to­rien­ro­ma­nen. All das ver­mengt zu einer – um im wie­ne­ri­schen Duk­tus zu blei­ben – ganz vor­treff­li­chen Mélange.

Man wird es bis hier­her viel­leicht gemerkt haben: ich bin und weg. ÆTHERMAGIE ist so ziem­lich das Groß­ar­tigs­te, was ich seit lan­ger Zeit gele­sen habe.

Eins ist dem Buch aller­dings vor­zu­wer­fen – und da bin ich auch nicht zu Kom­pro­mis­sen bereit: es ist viel zu früh zu Ende. ;)

Und damit mei­ne ich nicht »zu schnell«, son­dern tat­säch­lich »zu früh«. Denn die Geschich­te ist nicht auf­ge­löst, sie endet »mit­ten­drin« und lässt hau­fen­wei­se Fra­gen offen. Ich kann nur hof­fen, dass eine Fort­set­zung zügig erscheint, bevor ich mir die Fin­ger­nä­gel bis zum Ellen­bo­gen abge­kaut habe, weil ich wis­sen will, wie es weitergeht.

Eine Fort­set­zung wird es mög­li­cher­wei­se nur dann geben, wenn ÆTHERMAGIE erfolg­reich ist – wir wis­sen ja alle, wie das bei den Ver­la­gen heu­te so ist: nur Ver­käu­fe zäh­len. Es ist also an euch dafür zu sor­gen: kauft das Buch – ihr wer­det nicht ent­täuscht wer­den. Und sorgt damit dafür, dass ich mei­ne Fort­set­zung bekomme. ;)

ÆTHERMAGIE kann ich jedem Phan­tas­tik- und auch jedem Steam­punk-Freund unein­ge­schränkt ans Herz legen, das Buch ist schlicht­weg groß­ar­tig – und ich konn­te – bis auf das ers­te Kapi­tel (das sich aber spä­ter erklärt) und den Schluss mit Cliff­han­ger – wirk­lich kei­ne Schwä­chen entdecken.

Nach­dem ich mit den Fün­fer-Bewer­tun­gen ange­fan­gen habe (hät­te ich mal bes­ser gelas­sen), muss ich das wohl fortführen:

Ich gebe sechs von fünf (kein Schreib­feh­ler) Ætherteufelchen.

Susan­ne Ger­dom lebt, wohnt und arbei­tet im Fami­li­en­ver­band mit vier Kat­zen und zwei Men­schen in einer klei­nen Stadt am Nie­der­rhein, bezeich­net sich selbst als »Napf­schne­cke«, die ungern ihr Haus ver­lässt, und ist wäh­rend ihrer wachen Stun­den im Inter­net zu fin­den. Wenn sie nicht gera­de schreibt. Manch­mal auch, wäh­rend sie schreibt.
Sie schreibt Fan­ta­sy für Jugend­li­che und Erwach­se­ne für die Ver­la­ge Piper, ArsE­di­ti­on und Ueber­reu­ter. Man fin­det sie dort auch unter den Pseud­ony­men Fran­ces G. Hill und Juli­an Frost.

 

ÆTHERMAGIE
Susan­ne Gerdom
Phan­tas­ti­scher Roman
Hard­co­ver mit Umschlag
19. Sep­tem­ber 2012
446 Sei­ten, EUR 16,95
emp­foh­le­nes Alter: ab 14 Jahren
ISBN-10: 3800056860
ISBN-13: 978–3800056866
Ueberreuter

Creative Commons License

Cover­ab­bil­dung und Klap­pen­text Copy­right Ueberreuter
Bild Susan­ne Ger­dom Copy­right Pic­tu­re­Peop­le, Duis­burg, benutzt mit Erlaubnis
Bio­gra­fie-Text Copy­right Susan­ne Gerdom

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AutorIn: Stefan Holzhauer

Meist harm­lo­ser Nerd mit natür­li­cher Affi­ni­tät zu Pixeln, Bytes, Buch­sta­ben und Zahn­rä­dern. Kon­su­miert zuviel SF und Fan­ta­sy und schreibt seit 1999 online darüber.

6 Kommentare for “ÆTHERMAGIE – Susanne Gerdom”

suelidia

sagt:

Vie­len Dank für die­sen Geheim-Tipp. Ich bin sehr neu­gie­rig geworden.
Was mich aller­dings sehr ärgert ist der früh­zei­ti­ge Schluss, der zwei­fels­oh­ne bewusst vom Ver­lag gewollt ist , um »dop­pelt« Geld ein­neh­men zu kön­nen, als wenn sie das Buch in einem Zug gebracht hät­ten. Die­ses Geha­be hat sich inzwi­schen der­art selbst­ver­ständ­lich bei den Ver­la­gen durch­ge­setzt, dass mir die Lust ver­geht, das Buch zu kau­fen und so das gie­ri­ge Ver­hal­ten des Ver­lags zu unterstützen.

Stefan Holzhauer

sagt:

Nein, Suel­idia, ich kann Dich beru­hi­gen, dem ist defi­ni­tiv nicht so. Ueber­reu­ter sind eher die Guten. War­um, erzäh­le ich Dir dem­nächst bei den Walis. :)

Der Zie­gel­stein hat schon 446 Sei­ten – der »frü­he Schluss« bezieht sich auf die Sto­ry, nicht den Umfang.

sagt:

HU, da muss ich mei­nen Ver­lag aber so was von in Schutz neh­men. Ich war die Böse. Ich soll­te nur einen Ein­zel­ro­man schrei­ben und der ist mir wäh­rend der »Her­stel­lung« wie so ein Hefe­teig aus­ein­an­der­ge­gan­gen. Es gab abso­lut kei­nen Weg, das Ding in ein ein­zel­nes Buch zurück­zu­ver­wan­deln … und ich bin ziem­lich dank­bar, dass Ueber­reu­ter mir des­we­gen nicht den Kopf abge­riss­sen hat!

TheFallenAngel

sagt:

dan­ke für die­se enthu­si­as­ti­sche rezi und damit lesetipp!
bin mit teil 1 inzw. fast durch und freue mich schon sehr auf teil 2, den du ja auch rezen­siert hast.

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