Es gibt Filme, die unterfliegen einfach den Radar, obwohl der Name Tom Hardy mittlerweile kein unbekannter mehr ist. Waren seine bisherigen Filme von wechselnder Qualität, war es sein Schauspiel nie. Und die Ausgangssituation von NO TURNING BACK verlangt nach einem Charakterdarsteller mit der notwendigen Präsenz. Schon Hitchcock verließ über einen gesamten Film nicht das Rettungsboot, Colin Farrell konnte nicht aus einer Telefonzelle, und Ryan Reynolds zeigte seine bisher beste Leistung allein in einem Sarg. Regisseur und Autor Steven Knight setzt Tom Hardy in einen BMW und schickt in auf den Weg von Birmingham nach London. Der Routenplaner gibt an, dass für die Strecke Birmingham / London 85 Minuten von Nöten wäre. NO TURNING BACK hat deswegen nicht von ungefähr eine Laufzeit von 85 Minuten.
Der erfolgreiche Bauleiter Ivan Locke beginnt eine Fahrt ins Ungewisse für den Zuschauer. Ivan selbst hat einen sehr konkreten Plan. Mit 255 LKWs steht auf seiner Baustelle die größte Betonschüttung Europas bevor, und für eine besonders wichtige Sportübertragung wird er von seinen Söhnen heiß begehrt zuhause erwartet. Doch Ivan fährt nicht Richtung Heimat. Über sein Autotelefon beginnt er sein Leben nicht einfach neu zu regeln, sondern vollkommen auf den Kopf stellen. In der Tat enttäuscht Tom Hardy in keiner Minute. Ein Mann, der anderen weh tun muss, der sich absolut egoistisch gibt, und doch ist er ein aufrichtiger Mensch, der zu seiner existenziellen Verantwortung steht. Hardy bleibt dafür lediglich seine Mimik und seine Stimme, und damit gibt er seinen immer wieder in Frage zu stellenden Charakter eine sehr überzeugende Tiefe.
Was weniger funktioniert, ist das Tempo. Trotz seines exzellenten Hauptdarstellers beginnt das eigentlich mutige wie erstaunliche Konzept im letzten Drittel zu ermüden. Die Handlung hält keine Überraschungen mehr bereit. Was bleibt, sind die Aufarbeitungen von Ivans Entscheidungen, was nicht grundsätzlich uninteressant zu beobachten ist, aber thematisch nichts mehr hinzufügen können. Das Packende am Ablauf der Handlung, wandelt sich zur reinen Faszination über den Darsteller, und das ist etwas zu wenig für ein in sich geschlossenes Konzept, dass eigentlich mit den Höhepunkten seinen Anfang nimmt. Was tut Ivan, warum tut er es, selbst wie es enden wird, legt Ivan bereits in der ersten Hälfte fest.
Kameramann Haris Zambarloukos hat mit seinen Bildern einen interessanten Mix zwischen Digital und filmischer Körnigkeit gefunden, der tatsächlich eine eigenständige Atmosphäre schafft. Immer wieder zieht er seine Bilder in die Unschärfe, oder aus der Unschärfe heraus, lässt die Einstellung förmlich atmen, wenn Reflexionen von Gegenverkehr und Straßenbeleuchtung gegen den Protagonisten zu arbeiten scheinen. In fünf Nächten musste Hardy jeweils zweimal die Strecke Birmingham nach London fahren, wobei das Drehbuch am Stück gespielt wurde, dabei wurde er immer von drei Kameras beobachtet. Seine im Film zu sehende, echte Erkältung, wurde einfach mit übernommen, um den Drehplan nicht ändern zu müssen. Seine nur zu hörenden Mitspieler saßen in einem Hotel, wo sie ebenfalls Live die Telefonate tätigten.
Eine sehr herausfordernde Art des Filmemachens, aber eine, die nicht nur beeindruckend, sondern auch notwendig ist. Trotz seiner inhaltlichen Schwächen, zeigt NO TURNING BACK doch wieder einmal einen neuen Ansatz Film zu gestalten und umzusetzen. Und wie es aussieht, ist Tom Hardy durchaus ein Typ, mit dem man für eine ordentliche Portion Drama und Unterhaltung nichts mehr falsch machen kann.
NOT TURNING BACK – LOCKE
Darsteller: Tom Hardy
Stimmen:
Bethan: Olivia Colman / Katharina Müller-Elmau
Katrina: Ruth Wilson / Caroline Ebner
Donal: Andrew Scott /Christian Weygand
Gareth: Ben Daniels /Charles Rettinghaus
u.a.
Regie & Drehbuch: Steven Knight
Kamera: Haris Zambarloukos
Bildschnitt: Justine Wright
Musik: Dickon Hinchliffe
85 Minuten
Großbritannien-USA 2013
Promofotos Copyright: StudioCanal