Alejandro González Iñárritu ist ein Filmemacher, der sich kaum in Geschichte und Inszenierung wiederholt. Ein äußerst abwechslungsreicher Regisseur, der dabei immer wieder zu überraschen versteht. Diese Überraschungen haben ihm nicht umsonst für BIRDMAN die vier obersten Kategorien bei den Oscars gewinnen lassen. Jetzt hat Iñárritu wieder einen komplett anderen Film gemacht, aber THE REVENANT wird der Film sein, an dem er sich zukünftig immer wird messen lassen müssen. Fast könnte man das über alle vorangegangenen Filme sagen, wie 21 GRAMS nach AMORES PERROS, oder BIUTIFUL nach BABEL. Und nun eben THE REVENANT nach BIRDMAN. Jetzt produziert Iñárritu erst einmal die Fernsehserie THE ONE PERCENT, und danach wird man sich überraschen lassen müssen. Auf keinen Fall wird es ein schlechter Film, aber an die filmische Kraft dieses Epos´ wird schwer noch einmal heranzukommen sein.
1820 wird eine Truppe von Pelzjägern und Trappern von Ureinwohnern überfallen. Unter ihnen Hugh Glass mit seinem Sohn Hawk, ein sogenanntes Halbblut. Schwer in ihrer Zahl dezimiert können die Fallensteller fliehen. Doch das nächste Unglück steht bereits an, als Glass von einem Grizzlybären angegriffen, und dabei so schwer verletzt wird, dass man ihn für tot erklärt zurück lässt. Schließlich sind die Pawnee-Indianer immer noch hinter dem Trupp her. Doch Hugh Glass hat etwas beobachtet, was ihm schier übermenschliche Kräfte verleiht. Durch eisige Fluten und verschneites, unwegsames Gelände kriecht nun ein schwer verwundeter Mann, der kaum laufen kann.
Es ist leicht zu sagen: schöne Bilder kann jeder. Aber einer Landschaft einen Charakter zu verleihen, da wird es viel schwieriger. Kein »blühende Felder«-Kitsch, oder sonnendurchflutete Täler, sondern die raue Wirklichkeit. Der unerschlossene Westen, der sehr wohl mit seinen Landschaften beeindruckt und fasziniert, der aber keinen Zweifel daran lässt, wie unbarmherzig er sein kann. Diese Stimmungen einzufangen, muss eine echte Herausforderung für Emmanuel Lubezki gewesen sein, allerdings nicht seine schwierigste. THE REVENANT ist nicht nur ein sicht‑, sondern auch spürbares Beispiel, wie die Zusammenarbeit zwischen Bildgestalter und Regisseur sein kann, gerade wenn sie mit dem gestalterischen Prozess des anderen arbeiten können. Wie ein bildliches Ereignis dabei spürbar wird, dafür gibt der Film unendlich viele Beispiel. Wie die Szene mit dem Pferd und der Tanne.
Die Menschen- und Action-Szenen drehte Lubenzki hauptsächlich mit Weitwinkel, was für einen Film dieses Formates sehr ungewöhnlich ist. Aber daraus wird ein dramaturgisches Stilmittel, weil sich die Kamera mit dieser Optik sehr schnell den Gesichtern der Figuren annähern kann, ohne den Ausschnitt verändern zu müssen. Gleichzeitig zeigt die Kamera beim Entfernen von den Figuren schnellstmöglich wieder den weitesten Ausschnitt an Landschaft und Umgebung. Das bringt Alejandro González Iñárritu dazu, Action extrem dynamisch zu inszenieren, ohne in heftige Schnittfolgen verfallen zu müssen. Viele Sequenzen sind sogar in extrem langen Einstellungen umgesetzt. Besonders auffallend in der Einstiegsszene: Die dürfte bei vielen Zuschauern Erinnerungen an die Landung in PRIVATE RYAN wecken. Nicht, dass hier kopiert worden wäre, doch auch die ersten zehn Minuten in THE REVENANT machen sofort deutlich, dass dies kein Kuschelkino wird.
Dieser Film zeigt, was Menschen und ihre jeweiligen Waffen sich antun können. Und er zeigt es sehr explizit, ohne allerdings voyeuristisch zu werden. Aber für zartbesaitete Seelen ist THE REVENANT absolut nicht zu empfehlen. Allein die Bären-Sequenz ist jetzt schon ein Klassiker, wer es denn schafft, sie durchzustehen. Nein, das hier ist schon lange nicht mehr das verklärte Pionierkino wo Richard Widmark Planwagen über eine Klippe ablässt. Ganz zu schweigen von bunter Wild-West-Romantik eines Jimmy Stewart. Wenn hier Menschen sterben, dann sterben sie leidend, qualvoll, und nie sofort. Ein ständiger Kampf an allen Fronten, bei dem man niemanden trauen darf. Dass DiCaprio diese Rolle dankbar annahm spürt man. Spielt er endlich einmal über sein jugendliches Image hinweg eine wirklich glaubhafte Erwachsenenrolle.
Doch später wird er auch ein wenig bereut haben. Als überzeugter Vegetarier musste er Bison-Leber essen, die zwei Sprachen der Arikara und der Pawnee lernen, musste wegen des Szenenaufbaus meist selbst in die eisigen Fluten der Flüsse, den Umgang mit einer Muskete und Feuer machen lernen. In einem Interview nannte DiCaprio THE REVENANT die bisher anspruchsvollste Rolle seiner Karriere. Die Bedingungen waren zudem extrem erschwert. Nicht nur, dass Alejandro González Iñárritu ein aufbrausender Regisseur sein kann, sondern sich die Dreharbeiten auch über ungewöhnliche 80 Tage hinzogen. Es wurde beschlossen, den Film in chronologischer Reihenfolge zu drehen, was die Atmosphäre bei den Protagonisten zu ihren Figuren auch steigerte. Zudem haben Lubezki und Iñárritu vereinbart, ausschließlich mit natürlichem Licht und Lichtquellen zu arbeiten. Was Verzögerungen brachte, bis man die richtige Stimmung am jeweiligen Drehort für die zugehörige Szene fand.
THE REVENANT ist erstklassiges Kino. Mit vielen ungewöhnlichen Einfällen, manch anderem Blick auf bekannte Klischees, und durchweg fantastischen schauspielerischen Leistungen, bildet er eine exzellente Überschneidung von Arthouse und Mainstream-Kino. Und beide Fraktionen werden sich absolut zufrieden zeigen. Sofern sie mit grafischer Gewalt umgehen können. Aber genau die macht auch deutlich, wie ernst und realistisch THE REVENANT zu nehmen ist.
THE REVENANT
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tom Hardy, Domhnall Gleeson, Will Poulter, Forrest Goodluck, Duane Howard, Arthur Redcloud, Paul Anderson u.a.
Regie: Alejandro González Iñárritu
Drehbuch: Mark L. Smith, Alejandro González Iñárritu
Kamera: Emmanuel Lubezki
Bildschnitt: Stephen Mirrione
Musik: Bryce Dessner, Carsten Nicolai, Ryuichi Sakamoto
Produktionsdesign: Jack Fisk
156 Minuten
USA 2015
Bildrechte: 20th Century Fox of Germany
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