Es steht außer Frage, dass auch dieser zweite Teil der Neuauflage ganz großartiges Popcorn-Kino geworden ist. Hier stimmt der Humor, die Action ist grandios, das Drama angemessen, und der Bombast überwältigend. Peter Parker hat mittlerweile Gefallen daran gefunden, dass New York ihn als Spider-Man wirklich braucht. Mehr noch, es hat sein Ego enorm gesteigert. Doch hinter jedem starken Mann, steht eine starke Frau. Das weiß Peter auch, doch mit seiner Beziehung zu Gwen Stacy hadert er immer wieder, hat er ihrem sterbenden Vater doch versprochen, sich von ihr fern zu halten, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Ausgerechnet in dieser emotional sehr schwierigen Phase, passiert dem unsicheren und von seiner Umwelt nicht wahrgenommenen Techniker Max Dillon ein dummer Unfall. Mit einem Starkstromkabel in der Hand fällt er in einen Tank mit riesigen Zitteraalen. Aus dem schüchternen Max wird Electro, ein lebender Stromgenerator. Einst hatte Spider-Man Max das Leben gerettet und ihn als Freund bezeichnet. Diese kurze Begegnung löste bei Max eine starke Obsession aus, in der sich Max als wirklichen Freund von Spider-Man sieht. Jetzt als Electro weiß er nicht wie mit ihm geschieht, und er will auch niemanden etwas. Dass er auf dem Times Square mit Blitzen um sich schießt ist eher seiner Verwirrung zuzuschreiben. Als ihn dann ausgerechnet sein eingebildeter Freund Spider-Man dingfest machen will, brennen bei Electro endgültig die Sicherungen durch (musste jetzt sein).
Es ist ein ungewöhnlicher Entschluss, innerhalb einer Reihe von digitaler Aufnahme zurück auf Film zu gehen. Aber Regisseur Marc Webbs Entscheidung scheint die richtige gewesen zu sein. Zuerst fällt der enorme Anstieg in Farbe und Kontrastumfang zum ersten Teil auf. Die Bilder wirken kräftiger und realistischer. Nichts was mit einer Digital-Kamera nicht auch möglich wäre, zudem sind die meisten Szenen sowieso am Computer nachbearbeitet. Aber als Referenzmaterial könnte der Einsatz von Film durchaus Berechtigung finden. Zudem man in der Bildgestaltung darauf geachtet hat, Spider-Mans Schwünge durch die Häuserschluchten New Yorks länger und fokussierter zu halten. Der Eindruck für den Zuschauer, die Sicht der Spinne nachzuvollziehen, wird damit um einiges verstärkt. Und für schwache Mägen ist das nicht immer einfach.
Mit 141 Minuten ist es der längste Spider-Man-Film bisher. Und das zu Recht, denn die Autoren haben ein mächtiges Netz gewoben. Nicht nur, dass Peter Parker an zwei emotionalen Fronten kämpfen muss, auf der einen Seite seine Beziehung zu Gwen, auf der anderen Seite muss er sich auch um seinen alten Freund Harry Osborn kümmern, dessen Vater erst verstorben ist. Und Harry trägt kein leichtes Schicksal, weil er glaubt, dass nur Spider-Mans Blut ihn von der tödlichen Krankheit heilen könnte, die auch seinen Vater dahin siechen ließ. Doch im Netz sind auch noch einige Figuren, welche weniger bedeutend scheinen, aber den Comic-Kenner sofort aufhorchen lassen. Die Wege für weitere Fortsetzungen sind geebnet, und scheinen auch vielversprechend. Hinzu kommt noch der Hintergrund von Peters Eltern, was sein Vater bei Oscorp überhaupt gemacht hat, und wieso sie ihn ohne Erklärung einfach alleine ließen. Und zwischendrin muss Spidey allerlei coole Sachen erledigen, und Bösewichte verdreschen. Das sind 141 Minuten, bei denen es niemandem langweilig wird.
Doch AMAZING SPIDER-MAN 2 hat nicht nur einen idiotischen deutschen Titelzusatz, der keinen Sinn ergibt, sondern auch künstlerische Schwächen. Zuerst muss man sich fragen, warum ein Film auf 64 Kanäle in Dolby Atmos abgemischt wird, um dann jede Tonatmosphäre mit Musik zu übers. Zwchallen. Zeifellos ist der Score von Magnificent Six, darunter Hans Zimmer und Regisseur Webb, sehr gelungen, weil er sich mit seinem E‑Gitarren-Klang richtig gut abhebt, schöne Themen hat und sich auch so gut hören lässt. Aber in der Mischung wird der Einsatz derart hochgedreht, dass es für ein nuanciertes Hörerlebnis überhaupt keinen Spielraum mehr gibt. Und dann ist da Marc Webbs Regie. Er inszeniert jede Szene sehr konsequent auf ihre Aussage, die Action-Sequenzen sind sehr intensiv aber nicht ausgereizt, und auf einer wirklich bemerkenswerten Kürze gehalten. Doch was Webb nicht gelingt, ist diese Szenen zu einem Fluss zusammen zu bringen. Szenenwechsel wirken immer sprunghaft. Ist Peter Parker in der einen Szene wegen seiner scheinbar scheiternden Beziehung zu Gwen noch tieftraurig, holt er nach einem Schnitt fröhlich Sprüche klopfend die Gangster ins Netz. SPIDER-MAN 2 verliert dadurch wenig von seinem Unterhaltungswert, aber ein einheitlicher Guss in der Handlung hätte aus einem sehr gelungenen Film vielleicht etwas Besonderes machen können.
Verstörend ist in der Mitte des Abspanns eine holprig und schlecht geschnittene Sequenz aus X‑MEN: DAYS OF FUTURE PAST. Centfox hatte sich dieses Cross-Promo gegenüber Sony erkauft, damit der vertraglich gebundene Marc Webb weiter an TASM ‑2 arbeiten konnte. Ein genialer Schachzug, der in seiner extrem schlechten Umsetzung nicht aufgeht. Die Filmsequenz aus DAYS OF FUTURE PAST ist belanglos geschnitten und fügt sich in keinem Moment dem Handlungsverlauf von TASM‑2 an.
So viel Spaß man auch bei SPIDER-MAN 2 haben kann, und sein optischer Fortschritt sich auch vom Vorgänger abhebt, kann er noch immer nicht den Neustart rechtfertigen. Natürlich ist die Wandlung und Selbstfindung zu einem Superhelden noch immer das spannendste Element einer Geschichte. Die Irrungen und Wirrungen, um schließlich einer Bestimmung zu folgen, das ist auch bei Peter Parker erlebenswert. Doch wie soll diese Neuauflage weitergehen, wenn auch in dieser Reihe mit dem dritten Film die Entwicklung von Peter Parker beendet sein wird? Und das wird sie, das macht nicht nur der Film deutlich, sondern auch Material, das gedreht wurde, aber keine Verwendung gefunden hat. Spannend bleibt es allemal, und diese Folge und all ihre gestreuten Hinweise, machen aus dem nächsten Teil ein unbedingtes Muss.
THE AMAZING SPIDER-MAN: RISE OF ELECTRO
Darsteller: Andrew Garfield, Emma Stone, Jamie Foxx, Dane DeHaan, Sally Field, Campbell Scott, Embeth Davidtz, Colm Feore, Paul Giamatti, Chris Zylka, Chris Cooper, Denis Leary u.v.a.
Regie: Marc Webb
Drehbuch: Alex Kurtzman, Roberto Orci, Jeff Pinkner, James Vanderbilt
Kamera: Daniel Mindel
Bildschnitt: Pietro Scalia
Musik: Hans Zimmer, Johnny Marr
Produktionsdesign: Mark Friedberg
USA / 2014
zirka 141 Minuten
Bildrechte: Sony Pictures Releasing