(Spoiler voraus!) Bereits mit seiner ersten Inszenierung, dem Video zu R.E.M.s »Losing My Religion«, setzte Tarsem Singh Dhandwar einen visuellen Stil, mit dem er später auch das Arthouse-Kino überraschte. Das war 2000 mit THE CELL, und setzte sich mit THE FALL fort. Selbst seine kommerzielleren Großproduktionen KRIEG DER GÖTTER und SPIEGLEIN, SPIEGLEIN zeigten in der Inszenierung das hauptgewichtige Interesse Tarsem Singhs, die Optik als eine wesentliche Erzählebene zu nutzen. Bereits in seinem Spielfilm-Debüt THE CELL ging es um die Manipulation des menschlichen Geistes. Ein Police-Detective will in die Gedanken eines ins Koma gefallenen Serienkiller eindringen, um dessen letztes Opfer zu finden. In SELF/LESS geht es darum, gleich das gesamte Bewusstsein eines Menschen zu überschreiben. Eine intellektuelle Herausforderung, ist diese Thematik doch bereits in diversen Filmen mehr oder weniger gelungen behandelt worden. Und ganz selten mit einer über den Menschen reflektierenden Absicht.
Damian Hale ist Immobilenmagnat in New York, und entsprechend mit einem grotesken Vermögen ausgestattet. Doch Hale hat etwas, wobei ihm all sein Geld nicht helfen kann. Er ist alt, und hat Krebs. Über seinen Anwalt und besten Freund Martin O’Neill tritt ein Professor Albright an Hale heran. Albrights Firma könnte sein Bewusstsein in einen jungen, gesunden Körper transferieren, danach müsste er allerdings alles hinter sich lassen und seine Identität wechseln. Nur wenig später wird Damien Hale als Mark Bitwell ein neues Leben beginnen. Ein junger, kräftiger, und vor allem gesunder Mann. Allerdings muss Mark darauf achten, regelmäßig seine Medikamente zu nehmen, weil er sonst von Halluzinationen heimgesucht werden wird, die sogar tödlich enden würden. Seine frisch erstarkte Männlichkeit nutzend, beginnt Mark einen Lebensstil, bei dem er des Öfteren vergisst, seine Tablette zu schlucken. Nicht nur mit unschönen Begleiterscheinungen, sondern mit einer schrecklichen Erkenntnis.
SELF/LESS funktioniert hervorragend in seinen technischen Branchen. Die Kameraarbeit ist solide, in den Action-Sequenzen aber manchmal etwas unstet, und verlässt immer wieder die packende Perspektive des Helden. Dafür ist Robert Duffys Schnitt ein grandioses Beispiel, wie man Tempo, Dramatik, und eine Menge Atmosphäre erzeugen kann, wenn man das richtige Konzept für diese oftmals unterschätzte Branche hat. Gegen Ende jedes Abschnittes auf Damien Hales alias Mark Bitwells abenteuerlichen Weg beginnt eine immer schneller werdende Schnittfolge, welche den augenblicklichen Status Quo der Situation symbolisiert. Wenn Mark sein neues Leben zu genießen beginnt sind es teilweise nur einzelne Bilder, die sich im Stakkato mit Disco-Szenen, beim Sex, oder heftigen Trinken abwechseln. Bis das Bild unvermittelt verharrt, und der Zuschauer realisiert, dass der Charakter seine dringliche Medikation vergessen hat. Das hat viel mit Handwerk zu tun, wurde hier aber zur Kunst erhoben.
Damien Hale ist gewillt, den Körper zu wechseln und als Mark Bitwell muss er feststellen, dass seine neue Erscheinung keine im Labor gezüchtete Figur ist. Von hier an bricht der Film total auseinander und geht einen vollkommenen konventionellen, schließlich vorhersehbaren Weg. Dem Protagonisten wird eine Moral aufgezwungen, die mit der eigentlichen Prämisse gar nicht mehr vereinbar ist. In der zweiten Hälfte könnte Mark Bitwell auch Joe Jedermann sein, der mit Damien Hale nichts mehr zu tun hat. Bitwells Absichten und Handeln sind logisch und nachvollziehbar, aber nur aus der Sicht seines früheren Selbst, welches sich aber überhaupt nicht seiner selbst bewusst ist. Was Bitwell tut, ist niemals mit dem dominierenden Damien Hale vereinbar. Hier wird ein eingeführter und aufgebauter Charakter unvermittelt ins Gegenteil verkehrt. David und Àlex Pastor haben beim Schreiben einfach vergessen, wo die eigentlichen Möglichkeiten liegen. Eine Auseinandersetzung mit der Dualität der zwei verschiedenen Charaktere wird schlichtweg ignoriert. Aber auch die Möglichkeiten durch die dargestellten Technologie, und die daraus resultierenden moralischen und gesellschaftlichen Aspekte, lassen die Pastor-Brüder vollkommen außer Acht.
Man könnte noch auf haufenweise Logiklöcher eingehen, viel mehr auch auf die der Handlung entgegen kommenden sonderbaren Zufälle. Und das fängt schon mit Mark Bitwells Vergangenheit an, bevor Hale von ihm Besitz ergriff. Bequemer kann man es sich als Autor nicht machen, wenn man nicht den Hintergrund der Geschichte im Auge hat, sondern diesen Hintergrund lediglich als Vehikel für ein eigentlich anderes Genre nutzen will. Das größte Versagen in der Geschichte ist eigentlich, Ben Kingsley als Damien Hale einzuführen, den Darsteller selbst aber nach den ersten zwanzig Minuten nicht mehr zu zeigen. Sang- und klanglos verschwindet Kingsley, wo es mit geschickten Kunstkniffen durchaus möglich gewesen wäre, ihn immer wieder ins Spiel zu bringen – was die Wertigkeit der Erzählung durchaus um einiges gesteigert hätte. Ein Gimmick, welches durchaus einem Künstler wie Tarsem Singh gut zu Gesicht gestanden wäre. So verkommt SELF/LESS zu einem Actionfilm, der seine vielen Möglichkeiten nicht zu nutzen versteht. Er gerät in ein Fahrwasser, das nur anderen, ähnlich gelagerten Filmen nachfolgt. SELF/LESS hat sehr viel Unterhaltungswert. Aber anspruchsvolle Unterhaltung sieht anders aus.
SELF/LESS
Darsteller: Ryan Reynolds, Ben Kingsley, Matthew Goode, Natalie Martinez, Victor Garber, Derek Luke u.a.
Regie: Tarsem Singh
Drehbuch: David Pastor, Àlex Pastor
Kamera: Brendan Galvin
Bildschnitt: Robert Duffy
Musik: Dudu Aram, Antonio Pinto
Produktionsdesign: Tom Foden
117 Minuten
USA 2015
Promofotos Copyright Concorde Filmverleih