RED TAILS – Bundesstart 15.11.2012
George Lucas hat schon vor langer Zeit betont, dass er sich nach Abschluss der jüngsten STAR-WARS-Trilogie zurückziehen wolle, um sich kleinen persönlichen Filmen widmen zu können. RED TAILS kann nicht dieser kleine persönliche Film sein. Von der ersten Minute an ist er ein reißerisches Effekte-Abenteuer, das die letzten Errungenschaften der Computeranimation in vollem Umfang ausnutzt. Der Film startet mitten in dem Versuch, ob Afro-Amerikaner tauglich wären, für die U.S.-Streitkräfte Kampfflugzeuge zu fliegen. Tatsächlich gab es eine ärztliche Studie aus den Neunzehnhundertzwanzigerjahren, in der bescheinigt wurde, dass Schwarze nicht in der Lage sind, Flugzeuge zu steuern. 1944 sitzt ein komplettes Geschwader schwarzer Piloten mit überalterten Maschinen irgendwo in Italien und wartet auf die Chance, sich zu beweisen und den rassistischen Vorurteilen entgegenzuwirken.
Über zehn Monate hat es gedauert, bis man George Lucas‘ Herzensprojekt jetzt auch in deutschen Kinos bestaunen darf. In der Tat kein kleiner, aber ein sehr persönlicher Film, mit dessen Vorproduktion der STAR WARS-Vater bereits 1988 begonnen hat. Zwischenzeitlich gab es 1995 von anderer Stelle aus einen TV-Film über die berühmten Tuskegee-Airmen, benannt nach ihrem Ausbildungscamp in Alabama. STAR WARS kam wieder dazwischen, INDIANA JONES wollte es noch einmal wissen. Und plötzlich war die Startbahn frei, eine Zeit lang wollte Lucas selbst der Pilot sein, übernahm dann doch lieber die Rolle des Fluglotsen. Für einen Film mit einem schwarzen Thema und einem schwarzen Ensemble eine weise Entscheidung. Möchte man meinen.
Anthony Hemingway war als Regisseur bisher für Fernsehserien tätig. Es muss ihm eine wahre Freude gewesen sein, die finanziellen Fesseln und optischen Einschränkungen des kleinen Formats sprengen zu dürfen. So ist RED TAILS zu einer Orgie aus überfrachteten Flugsequenzen und Luftkämpfen mutiert. Die Action ist unterhaltsam und eine echte Freude für die Augen. Wie bei allen bisherigen Fliegerfilmen gelingt es auch RED TAILS nicht, dem Zuschauer das Kampfgetümmel so zu zeigen, wie es ein Pilot in Wirklichkeit erlebt. Man muss Regisseur und Cutter eben vertrauen, dass logistisch alles tatsächlich auf der Leinwand so abläuft, wie die Dramaturgie den jeweiligen Flieger vorgesehen hat. Ein Film, bei dem man sich zurückfallen lassen kann und den Spaß an der opulenten Optik genießen darf.
Es ist ein genialer Schachzug gewesen, die zwei Handlungsabläufe auch unter den Darstellern aufzuteilen. Der eine Strang ist die psychologische Ebene unter den Piloten, ihre Beweggründe und Ziele. Die sehr private Seite der Piloten wird auch von eher unbekannten Darstellern wie Nate Parker und David Oyelowo gezeigt. Das politische Gerangel in der zweiten Ebene und die immerwährenden Versuche, das Projekt der Tuskegee-Airmen zu torpedieren, sind mit weit bekannteren Gesichtern wie Howard, Gooding Jr., McRaney und Cranston besetzt. Die Identifikation wird für den Zuschauer dabei sehr viel einfacher, aber auch intensiver gehalten. Der filmische Hintergrund von Terrence Howard und Cuba Gooding Jr. ist dabei besonders interessant. In HARTS WAR – DAS TRIBUNAL spielte Howard einen inhaftierten Tuskegee-Piloten. Gooding war als Kampftaucher auch in MEN OF HONOR ein heldenhafter Vorreiter für schwarze Interessen in der U.S.-Army, und ausgerechnet in dem 1995 entstandenen Fernsehfilm über die Tuskegee durfte er bereits einen dieser Piloten spielen.
Bei allem Bombast und wohl durchdachtem Aufbau ist RED TAILS alles andere als eine cineastische Überraschung. Die Umsetzung der sich beweisenden Helden ist ein unreflektierter Abriss mit glatter Schwarz-Weiß-Struktur. Die Geschichte bleibt eine rein fiktive Interpretation, die Guten wie die Bösen sind ganz klar bestimmt, der Ausgang von Spannungsmomenten bleibt stets absehbar, das Ende führt zurück zum geschichtlichen Ursprung. Man darf RED TAILS jedoch seinen hohen Unterhaltungswert nicht absprechen. Bei den von John B. Aronson grandios umgesetzten Bildern wundert man sich sogar, warum der Film nicht in 3‑D realisiert wurde. Optisch gibt RED TAILS alles, was man selbst bei großartigen Kino-Abenteuern selten zu sehen bekommt. Das Fehlen von Tiefgang und psychologischer Finesse ist dem Gesamteindruck natürlich abträglich. Sie hätten den Film schlagartig um Längen nach oben katapultiert.
Was bleibt, ist ein eher altmodisch erscheinendes Abenteuer, das seinen Ansprüchen dennoch durchaus gerecht wird. In seinen technischen Aspekten ist RED TAILS fantastisch. Die darstellerischen Darbietungen sind tadellos. Der Unterhaltungswert ist allererste Güte. Vergessen wir einfach den Anspruch. Was bedeutet schon Anspruch, wenn man trotz allem beste Kinounterhaltung bieten kann? Erinnert sich noch jemand an STAR WARS? Das war auch ein Film von George Lucas, der die Schwarz-Weiß-Malerei hochhielt und damit das Kino auf den Kopf stellte. Hat Lucas eigentlich dazugelernt? Die dramaturgischen Parallelen in der Fantastik von EPISODE 4 der STAR-WARS-TRILOGIE zu den geschichtlich begründeten Tuskegee-Airmen sind in ihrer filmischen Umsetzung kaum zu unterscheiden. Der visionäre Held des Unterhaltungskinos der Siebzigerjahre bleibt seinem Konzept noch 35 Jahre später treu. Das Spektakel bestimmt den Unterhaltungswert und nicht die Tiefgründigkeit. Das war einmal ein löbliches Anliegen. Es war einmal. In einer Galaxie, weit, weit von hier.
RED TAILS ist unterhaltsames Action-Kino, das zum Wohle des Zuschauers so einfach gehalten ist, dass das Interesse des Publikums auf das Wesentliche beschränkt bleibt. Nämlich auf die exzellent umgesetzten Schauwerte, aber nicht auf den gesellschaftlich politischen Ursprung. Die Tuskegee-Airmen sind allerdings ein sehr wichtiger Bestandteil des soziologischen politischen Wandels von Schwarz-Afrikanern in der amerikanischen Gesellschaft. Diesem Anspruch wird George Lucas als Produzent von RED TAILS nur geringfügig gerecht. Als reiner Unterhaltungswert ist RED TAILS ein perfekt unterhaltender Film. Nur beim Anspruch an Tiefe, am Anspruch selbst und am Aufbrechen alter Konventionen scheitert diese Produktion.
RED TAILS
Darsteller: Nate Parker, David Oyelowo, Terrence Howard, Cuba Gooding Jr., Tristan Wilds, Ne-Yo, Elijah Kelley, Marcus T. Paulk, Bryan Cranston u.v.a.
Regie: Anthony Hemingway
Drehbuch: John Ridley, Aaron McGruder
Kamera: John B. Aronson
Bildschnitt: Ben Burtt, Michael O’Halloran
Musik: Terence Blanchard
Produktionsdesign: Michael Carlin, Nick Palmer
zirka 125 Minuten
USA 2012
Promofotos Copyright 20th Century Fox & Capelight Pictures