PRISONERS verstören und bewegen

Poster Prisoners

PRISONERS – Bun­des­start 10.10.2013

Wer ein Fai­ble für exzel­len­te Thril­ler hat, der wird bei PRISONERS mit dem Bes­ten belohnt, wel­ches das Gen­re in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auf die Lein­wand los­ließ. Die­ser Film wird kei­nen sei­ner Zuschau­er unbe­rührt las­sen, die über weni­ge Logik­lö­cher hin­weg­se­hen kön­nen. PRISONERS legt dabei eine Span­nung vor, wel­che die­se Feh­ler in der Logik voll­kom­men über­de­cken. Es ist kein har­ten Ritt, son­dern ein inten­si­ver Schwe­be­zu­stand, wie in den Träu­men, wo man flie­gen kann, obwohl man sich durch­aus bewusst ist, gar nicht flie­gen zu kön­nen. Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Die Fami­li­en Dover und Birch ver­fal­len in die­sen hilf­lo­sen Zustand, einem Alp­traum, aus dem man sich nicht selbst erwe­cken kann. Nach einem gemüt­li­chen Thanks­gi­ving-Din­ner, sind die jüngs­ten Töch­ter bei­der Fami­li­en ver­schwun­den. Wie das Grau­en in die­se Fami­li­en ein­bricht, das allein ist schon so erschre­ckend real umge­setzt, und das, obwohl der Zuschau­er natür­lich längst weiß, was pas­sie­ren wird. Bis dahin. Denn was folgt, ist eine Hand­lung mit vie­len Ver­läu­fen, und allen Mög­lich­kei­ten. Doch sein stärks­tes Poten­ti­al spielt PRISONERS mit sei­nen Cha­rak­te­ren aus, und den Dar­stel­lern, die sie ver­kör­pern.

Schuld und Süh­ne, Rache und Erlö­sung. Die furcht­ein­flö­ßen­den ame­ri­ka­ni­schen The­men, die stets tief in der sonst ober­fläch­li­chen Gesell­schaft lau­ern. Vater Kel­ler Dover ist ein tief reli­giö­ser Mann, der sei­ne Fami­lie im Sin­ne der Bibel zusam­men hält. Umso bestür­zen­der reagiert er mit dem befreun­de­ten Vater Frank­lin auf die Ent­füh­rung ihrer Töch­ter. Dabei ver­schließt sich  Film  nicht der offen­sicht­li­chen Fra­ge, wie man selbst reagie­ren wür­de, wie weit man gehen muss, oder ob nicht jede Art von absei­ti­ger Hand­lung irgend­wie sei­ne Recht­fer­ti­gung fin­det. Ein Ver­däch­ti­ger ist schnell gefun­den und inhaf­tiert, ande­re Spu­ren füh­ren zu längst ver­ges­se­nen Vor­komm­nis­sen. Der über­aus enga­gier­te, aber schein­bar selbst mit einer per­sön­li­chen Last beleg­te, Detek­ti­ve Loki kommt schnell in dem Fall vor­an. Aller­dings erge­ben sich dabei soviel ande­re Wege und Wen­dun­gen, dass der Fall der Mäd­chen weit viel­schich­ti­ger zu sein scheint, als nur eine nor­ma­le Ent­füh­rung. Wobei Buch und Insze­nie­rung sehr klar her­aus­ar­bei­ten, dass kei­ne Ent­füh­rung in irgend­ei­ner Wei­se als nor­mal zu betrach­ten ist. Ganz im Gegen­teil, PRISONERS lässt sei­nem Zuschau­er schmerz­haft spü­ren, was die­ses Unge­wis­se in die­sen Situa­tio­nen bei einem Men­schen ver­ur­sacht.

PRISONERS ist nicht die Frei­tag­abend-Unter­hal­tung für ver­gnü­gungs­süch­ti­ge Kon­su­men­ten. Mit dem fan­tas­ti­schen Buch von Aaron Guz­i­kow­ski und der exzel­len­ten Insze­nie­rung des kaum bekann­ten Kana­di­ers Denis Ville­neuve, ent­stand ein sehr erwach­se­ner Thril­ler, der für eine gro­ße Stu­dio­pro­duk­ti­on unty­pi­scher­wei­se auch auf ein erwach­se­nes Publi­kum aus­ge­legt ist. Denis Ville­neuve nimmt sein Publi­kum bei der Hand. Zuerst glaubt man, er wür­de einen schüt­zend durch die Hand­lung beglei­tet, doch sehr schnell merkt man, dass er die Hand nicht los­las­sen, dass er mit eiser­nem Griff zer­ren und gna­den­los mit­rei­ßen wird. Ja, es gibt eini­ge Momen­te, die wei­ter­ge­hen­de Erklä­run­gen ertra­gen könn­ten. Kur­ze, fast unauf­fäl­li­ge Momen­te, aber kei­ne unwich­ti­gen Pas­sa­gen. Dar­an wür­den ande­re Fil­me tat­säch­lich schei­tern. Doch ohne die­se Feh­ler schön­re­den zu wol­len sind sie trotz­dem ver­schmerz­bar. Da gibt es ein fabel­haf­tes Buch, eine dra­ma­tisch inten­si­ve Insze­nie­rung, unglaub­lich anspre­chen­de Schau­spiel­kunst, und die unge­wöhn­lich dif­fe­ren­zier­te Umset­zung der tech­ni­schen Details. PRISONERS ist nicht nur für Erwach­se­ne umge­setz­tes Kino, son­dern in wahrs­ten Sin­ne  erwach­se­nes Kino.

Man darf die Leis­tun­gen der ande­ren Schau­spie­ler nicht als geschmä­lert sehen, wenn die ver­stö­ren­de Ein­dring­lich­keit von Hugh Jack­man und Jake Gyl­len­haal dem Film eine beson­ders schmerz­li­che Rea­li­tät ver­lei­hen. Dazu kommt Melis­sa Leos Cha­rak­ter der Hol­ly Jones, die ganz leicht ein durch­schau­ba­res Kli­schees sein könn­te. Hier scheint sich der Cha­rak­ter der Regie ent­zo­gen zu haben, weil ihre Figur so unbe­re­chen­bar anders ist, dass sie sich als die über­ra­schends­te Figur von PRISONERS her­aus­stellt. Nicht die ein­dring­lichs­te, nicht die über­ra­gends­te, wie Jack­man und Gyl­len­haal, aber doch inno­va­tivs­te Figur bei die­sem Film. Doch ein Film als Gesamt­kunst­werk funk­tio­niert nicht über ein­zel­ne Aspek­te. Und da ist allen vor­an Roger Dea­k­ins mit sei­nen wie­der ein­mal über­ra­schen­den und sehr aus­ge­fal­le­nen Bil­dern. Dea­k­ins setzt auf die ein­neh­men­de Inten­si­tät von natür­li­chem Licht. Ein durch­dach­ter und kal­ku­lier­ter Film wie PRISONERS muss natür­lich auf künst­li­che und insze­nier­te Licht­quel­len zurück­grei­fen. Aber wie Roger Dea­k­ins dies in einer rea­lis­ti­schen Form umsetzt, das hat man im Main­stream-Kino lan­ge nicht gese­hen. Es gibt Sze­nen, bei denen in nur zehn Pro­zent des Bil­des etwas zu erken­nen ist, und so ist es eben auch in der Rea­li­tät. Und wenn eine Stra­ßen­la­ter­ne nur Hin­ter­köp­fe beleuch­tet, dann ist das aus den Gege­ben­hei­ten eben so. Doch die­se Gege­ben­hei­ten sind selbst­ver­ständ­lich kein Zufall. Bei PRISONERS hat Roger Dea­k­ins sei­ne Sze­nen sehr genau durch­dacht und aus­ge­leuch­tet. Ein Erleb­nis, das einem in sei­ner Gestal­tung nicht sehr oft wie­der­fährt, und PRISONERS nur ein­dring­li­cher gestal­tet. Dazu gibt es Jóhann Jóhann­sons instru­men­ta­le Unter­ma­lung, die weni­ger Film­mu­sik, als viel­mehr ein epi­scher Klang­tep­pich ist, der die Atmo­sphä­re zusätz­lich inten­si­viert, und sich effek­tiv, aber inte­gral ein­zu­ord­nen ver­steht.

Wer ein Fai­ble für exzel­len­te Thril­ler hat, der lässt sich auch von unbe­deu­ten­den Unge­reimt­hei­ten nicht beir­ren, um den bes­ten Thril­ler zu erfah­ren, den das Gen­re in den letz­ten Jah­ren auf die Lein­wand los­ge­las­sen hat. Man könn­te ZODIAC – SPUR DES KILLERS als Ver­gleich her­an­zie­hen, SEVEN ist hier auch nicht so weit ent­fernt, aller­dings ohne sei­ne direk­te Bru­ta­li­tät. Es gibt eini­ge inno­va­ti­ve Thril­ler in die­ser Art, die das Gen­re  berei­cher­ten, und gleich­zei­tig als Ver­gleich für PRISONERS die­nen wür­den. Aller­dings ist PRISONERS ein ner­ven­auf­rei­ben­der Thril­ler, der kei­ne Ver­glei­che nötig hat, und sich auch ganz klar von die­sen ver­meint­li­chen Vor­bil­der abzu­he­ben ver­steht. PRISONERS besteht durch sei­ne eige­nen Inno­va­tio­nen. Dass die Ver­gan­gen­heit von Jack­mans Kel­ler Dover unver­mit­telt in die Hand­lung invol­viert wird, ist eine Über­ra­schung. Doch so ist PRISONERS ein­fach eine unab­läs­si­ge Abfol­ge von Über­ra­schun­gen, die man in die­ser Form viel zu sel­ten im Kino erlebt. Ein knall­har­ter Thril­ler, der an die Ner­ven geht, weil die Macher, mit nur klei­nen Abstri­chen, vom ers­ten Ent­wurf bis zur end­gül­ti­gen Umset­zung alles rich­tig gemacht haben. PRISONERS bewegt, for­dert her­aus, und kann mit sei­ner The­ma­tik auch zum Nach­den­ken anre­gen. Er ist ein Film­ereig­nis, dem man sich stel­len soll­te.

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PRISONERS
Dar­stel­ler: Hugh Jack­man, Jake Gyl­len­haal, Maria Bel­lo, Ter­rence Howard, Vio­la Davis, Melis­sa Leo, Paul Dano, Dylan Min­net­te, Zoe Soul, Erin Gera­si­mo­vich, Kyla Drew Sim­mons u.a.
Regie: Denis Ville­neuve
Dreh­buch: Aaron Guz­i­kow­ski
Kame­ra: Roger Dea­k­ins
Bild­schnitt: Joel Cox, Gary Roach
Musik: Jóhann Jóhann­son
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Patri­ce Ver­met­te
zir­ka 153 Minu­ten
USA 2013
Pro­mo­fo­tos Copy­right War­ner Bros. /​ Tobis Film

2 Kommentare zu „PRISONERS verstören und bewegen“

  1. Ich kann ja mit eini­gen Unge­reim­hei­ten leben.
    Aber wie zumm Teu­fel fin­det er das schwar­ze Mäd­chen?
    Ich ver­ste­he weder was die­ses »Türen abklap­pern und in Fens­ter gucken«
    mit dem Ein­bruch bei den Dovers zu tun hat, noch zu wel­chem Haus er dann fährt und das Mäd­chen fin­det. Könn­te mich da mal jemand auf­klä­ren?
    Ist dass, das Haus vor dem der Cam­per stand? Selbst nach 2 mali­gem gucken, erschließt sich mir das nicht.
    Dan­ke schon mal.

  2. Na, na, na, da pas­sen wir aber das nächs­te Mal etwas bes­ser auf.

    + + + ACHTUNG SPOILER + + +

    Das schwar­ze Mäd­chen wur­de nicht gefun­den, son­dern konn­te flie­hen. Wegen der ihr ver­ab­reich­ten Dro­gen konn­te sie aber kei­ne nähe­ren Anga­ben machen.
    Das Haus, vor wel­chem der Cam­per stand, war das Haus der Eltern des geis­tig min­der­be­mit­tel­ten Alex’. Detec­tiv Loki wuß­te, dass hier ein Kind ent­führt wur­de (Alex war ja Opfer), und da er bei sei­nen Ermitt­lun­gen alle Kin­des­miß­bräu­che- und ent­füh­run­gen ein­schloss, kam er zwangs­läuft an das Haus. Ihm blieb im Gedächt­nis, dass alle Fens­ter geschlos­sen waren. Spä­ter fällt ihm dann auf, dass bei dem ver­las­se­nen Haus ein Fens­ter offen steht.
    Loki fährt zur bösen Mut­ter, um ihr zu sagen, dass man Alex gefun­den hat, nach­dem er tage­lang von Kel­ler gefol­tert wur­de, dabei wird ihm klar, wer der Kin­der­mör­der im Kel­ler des Pries­ters war, durch­sucht das Haus und fin­det das wei­ße Mäd­chen.

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