Wer ein Faible für exzellente Thriller hat, der wird bei PRISONERS mit dem Besten belohnt, welches das Genre in den vergangenen Jahren auf die Leinwand losließ. Dieser Film wird keinen seiner Zuschauer unberührt lassen, die über wenige Logiklöcher hinwegsehen können. PRISONERS legt dabei eine Spannung vor, welche diese Fehler in der Logik vollkommen überdecken. Es ist kein harten Ritt, sondern ein intensiver Schwebezustand, wie in den Träumen, wo man fliegen kann, obwohl man sich durchaus bewusst ist, gar nicht fliegen zu können. Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Die Familien Dover und Birch verfallen in diesen hilflosen Zustand, einem Alptraum, aus dem man sich nicht selbst erwecken kann. Nach einem gemütlichen Thanksgiving-Dinner, sind die jüngsten Töchter beider Familien verschwunden. Wie das Grauen in diese Familien einbricht, das allein ist schon so erschreckend real umgesetzt, und das, obwohl der Zuschauer natürlich längst weiß, was passieren wird. Bis dahin. Denn was folgt, ist eine Handlung mit vielen Verläufen, und allen Möglichkeiten. Doch sein stärkstes Potential spielt PRISONERS mit seinen Charakteren aus, und den Darstellern, die sie verkörpern.
Schuld und Sühne, Rache und Erlösung. Die furchteinflößenden amerikanischen Themen, die stets tief in der sonst oberflächlichen Gesellschaft lauern. Vater Keller Dover ist ein tief religiöser Mann, der seine Familie im Sinne der Bibel zusammen hält. Umso bestürzender reagiert er mit dem befreundeten Vater Franklin auf die Entführung ihrer Töchter. Dabei verschließt sich Film nicht der offensichtlichen Frage, wie man selbst reagieren würde, wie weit man gehen muss, oder ob nicht jede Art von abseitiger Handlung irgendwie seine Rechtfertigung findet. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden und inhaftiert, andere Spuren führen zu längst vergessenen Vorkommnissen. Der überaus engagierte, aber scheinbar selbst mit einer persönlichen Last belegte, Detektive Loki kommt schnell in dem Fall voran. Allerdings ergeben sich dabei soviel andere Wege und Wendungen, dass der Fall der Mädchen weit vielschichtiger zu sein scheint, als nur eine normale Entführung. Wobei Buch und Inszenierung sehr klar herausarbeiten, dass keine Entführung in irgendeiner Weise als normal zu betrachten ist. Ganz im Gegenteil, PRISONERS lässt seinem Zuschauer schmerzhaft spüren, was dieses Ungewisse in diesen Situationen bei einem Menschen verursacht.
PRISONERS ist nicht die Freitagabend-Unterhaltung für vergnügungssüchtige Konsumenten. Mit dem fantastischen Buch von Aaron Guzikowski und der exzellenten Inszenierung des kaum bekannten Kanadiers Denis Villeneuve, entstand ein sehr erwachsener Thriller, der für eine große Studioproduktion untypischerweise auch auf ein erwachsenes Publikum ausgelegt ist. Denis Villeneuve nimmt sein Publikum bei der Hand. Zuerst glaubt man, er würde einen schützend durch die Handlung begleitet, doch sehr schnell merkt man, dass er die Hand nicht loslassen, dass er mit eisernem Griff zerren und gnadenlos mitreißen wird. Ja, es gibt einige Momente, die weitergehende Erklärungen ertragen könnten. Kurze, fast unauffällige Momente, aber keine unwichtigen Passagen. Daran würden andere Filme tatsächlich scheitern. Doch ohne diese Fehler schönreden zu wollen sind sie trotzdem verschmerzbar. Da gibt es ein fabelhaftes Buch, eine dramatisch intensive Inszenierung, unglaublich ansprechende Schauspielkunst, und die ungewöhnlich differenzierte Umsetzung der technischen Details. PRISONERS ist nicht nur für Erwachsene umgesetztes Kino, sondern in wahrsten Sinne erwachsenes Kino.
Man darf die Leistungen der anderen Schauspieler nicht als geschmälert sehen, wenn die verstörende Eindringlichkeit von Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal dem Film eine besonders schmerzliche Realität verleihen. Dazu kommt Melissa Leos Charakter der Holly Jones, die ganz leicht ein durchschaubares Klischees sein könnte. Hier scheint sich der Charakter der Regie entzogen zu haben, weil ihre Figur so unberechenbar anders ist, dass sie sich als die überraschendste Figur von PRISONERS herausstellt. Nicht die eindringlichste, nicht die überragendste, wie Jackman und Gyllenhaal, aber doch innovativste Figur bei diesem Film. Doch ein Film als Gesamtkunstwerk funktioniert nicht über einzelne Aspekte. Und da ist allen voran Roger Deakins mit seinen wieder einmal überraschenden und sehr ausgefallenen Bildern. Deakins setzt auf die einnehmende Intensität von natürlichem Licht. Ein durchdachter und kalkulierter Film wie PRISONERS muss natürlich auf künstliche und inszenierte Lichtquellen zurückgreifen. Aber wie Roger Deakins dies in einer realistischen Form umsetzt, das hat man im Mainstream-Kino lange nicht gesehen. Es gibt Szenen, bei denen in nur zehn Prozent des Bildes etwas zu erkennen ist, und so ist es eben auch in der Realität. Und wenn eine Straßenlaterne nur Hinterköpfe beleuchtet, dann ist das aus den Gegebenheiten eben so. Doch diese Gegebenheiten sind selbstverständlich kein Zufall. Bei PRISONERS hat Roger Deakins seine Szenen sehr genau durchdacht und ausgeleuchtet. Ein Erlebnis, das einem in seiner Gestaltung nicht sehr oft wiederfährt, und PRISONERS nur eindringlicher gestaltet. Dazu gibt es Jóhann Jóhannsons instrumentale Untermalung, die weniger Filmmusik, als vielmehr ein epischer Klangteppich ist, der die Atmosphäre zusätzlich intensiviert, und sich effektiv, aber integral einzuordnen versteht.
Wer ein Faible für exzellente Thriller hat, der lässt sich auch von unbedeutenden Ungereimtheiten nicht beirren, um den besten Thriller zu erfahren, den das Genre in den letzten Jahren auf die Leinwand losgelassen hat. Man könnte ZODIAC – SPUR DES KILLERS als Vergleich heranziehen, SEVEN ist hier auch nicht so weit entfernt, allerdings ohne seine direkte Brutalität. Es gibt einige innovative Thriller in dieser Art, die das Genre bereicherten, und gleichzeitig als Vergleich für PRISONERS dienen würden. Allerdings ist PRISONERS ein nervenaufreibender Thriller, der keine Vergleiche nötig hat, und sich auch ganz klar von diesen vermeintlichen Vorbilder abzuheben versteht. PRISONERS besteht durch seine eigenen Innovationen. Dass die Vergangenheit von Jackmans Keller Dover unvermittelt in die Handlung involviert wird, ist eine Überraschung. Doch so ist PRISONERS einfach eine unablässige Abfolge von Überraschungen, die man in dieser Form viel zu selten im Kino erlebt. Ein knallharter Thriller, der an die Nerven geht, weil die Macher, mit nur kleinen Abstrichen, vom ersten Entwurf bis zur endgültigen Umsetzung alles richtig gemacht haben. PRISONERS bewegt, fordert heraus, und kann mit seiner Thematik auch zum Nachdenken anregen. Er ist ein Filmereignis, dem man sich stellen sollte.
PRISONERS
Darsteller: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Maria Bello, Terrence Howard, Viola Davis, Melissa Leo, Paul Dano, Dylan Minnette, Zoe Soul, Erin Gerasimovich, Kyla Drew Simmons u.a.
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Aaron Guzikowski
Kamera: Roger Deakins
Bildschnitt: Joel Cox, Gary Roach
Musik: Jóhann Jóhannson
Produktionsdesign: Patrice Vermette
zirka 153 Minuten
USA 2013
Promofotos Copyright Warner Bros. / Tobis Film
Ich kann ja mit einigen Ungereimheiten leben.
Aber wie zumm Teufel findet er das schwarze Mädchen?
Ich verstehe weder was dieses »Türen abklappern und in Fenster gucken«
mit dem Einbruch bei den Dovers zu tun hat, noch zu welchem Haus er dann fährt und das Mädchen findet. Könnte mich da mal jemand aufklären?
Ist dass, das Haus vor dem der Camper stand? Selbst nach 2 maligem gucken, erschließt sich mir das nicht.
Danke schon mal.
Na, na, na, da passen wir aber das nächste Mal etwas besser auf.
+ + + ACHTUNG SPOILER + + +
Das schwarze Mädchen wurde nicht gefunden, sondern konnte fliehen. Wegen der ihr verabreichten Drogen konnte sie aber keine näheren Angaben machen.
Das Haus, vor welchem der Camper stand, war das Haus der Eltern des geistig minderbemittelten Alex’. Detectiv Loki wußte, dass hier ein Kind entführt wurde (Alex war ja Opfer), und da er bei seinen Ermittlungen alle Kindesmißbräuche- und entführungen einschloss, kam er zwangsläuft an das Haus. Ihm blieb im Gedächtnis, dass alle Fenster geschlossen waren. Später fällt ihm dann auf, dass bei dem verlassenen Haus ein Fenster offen steht.
Loki fährt zur bösen Mutter, um ihr zu sagen, dass man Alex gefunden hat, nachdem er tagelang von Keller gefoltert wurde, dabei wird ihm klar, wer der Kindermörder im Keller des Priesters war, durchsucht das Haus und findet das weiße Mädchen.