MORGEN HÖR ICH AUF – SCHÖNER SCHEIN

Promofoto "Morgen hör ich auf"

Als Dr. Nor­bert Himm­ler, der Pro­gramm­chef des ZDF, mit der Aus­sa­ge »Wir machen ein deut­sches BREAKING BAD« aus der ver­staub­ten öffent­lich-recht­li­chen Höh­le kam, blieb dem Fern­seh­zu­schau­er, der US- und bri­ti­sche Seri­en kennt eigent­lich nur eins: mit­lei­di­ges Hohn­la­chen. Denn deut­sche Pro­duk­tio­nen gera­de bei den öffent­lich-recht­li­chen Sen­dern zeich­nen sich durch alles aus, aber garan­tiert nicht durch Ori­gi­na­li­tät, Cool­ness und fri­sche Ideen. Eher durch abge­dro­sche­ne The­men, tau­send­fach kopier­te Kli­schee-Cha­rak­te­re und in den meis­ten Fäl­len gäh­nen­de Lan­ge­wei­le, also alles kom­plett anders als bei den auf­wän­dig pro­du­zier­ten und von Kri­ti­kern wie Fans gelob­ten aus­län­di­schen Seri­en. Es ist mir auch völ­lig schlei­er­haft, wie jemand in einer sol­chen Posi­ti­on eine der­art dum­me Aus­sa­ge machen kann, von der jeder weiß, dass sie in kei­nem Fall ein­ge­hal­ten wer­den kann, auch wenn natür­lich der Wer­be­ef­fekt eines sol­chen mar­ki­gen Spru­ches nicht unter­schätzt wer­den darf. Damit wird aber natür­lich eine Erwar­tungs­hal­tung und ein Druck auf die Krea­ti­ven erzeugt, die völ­lig unfair sind, denn hier­zu­lan­de ste­hen übli­cher­wei­se weder die tech­ni­schen noch die finan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung wie eben bei­spiels­wei­se für BREAKING BAD. Ich glau­be inten­siv, dass es mehr als genug Krea­ti­ve gibt, die so etwas den­noch schaf­fen könn­ten, aber die wer­den von den Ver­ant­wort­li­chen bei den Sen­dern ent­we­der igno­riert oder an einer ganz kur­zen Ket­te gehal­ten.

Und so hab ich mir die Pilo­t­epi­so­de von MORGEN HÖR ICH AUF dann mal ange­se­hen, ohne all­zu viel zu erwar­ten – aber meckern soll man eben erst, wenn man etwas gese­hen hat, nicht vor­her.

Gleich zu Anfang fiel mir auf, dass sich eins der Grund­pro­ble­me deut­scher Pro­duk­tio­nen auch hier wie­der­hol­te: Das war alles viel zu lang­sam insze­niert, immer waren Ein­stel­lun­gen einen Tick zu lang – abge­se­hen von Sequen­zen, die offen­bar an CSI & Co. gemah­nen soll­ten, bei­spiels­wei­se wenn Leh­mann sei­ne Blü­ten druckt. Der Rest des Schnitts und damit des Timings pass­te nicht zu die­sen immer wie­der mal ein­ge­füg­ten dyna­mi­schen Schnitt­fol­gen und bra­chen für mich damit auch die Dra­ma­tur­gie. Die ers­te Epi­so­de mit dem pas­sen­den Titel SCHÖNER SCHEIN hat­te eine Län­ge von einer Stun­de, 45 bis 50 Minu­ten hät­ten dem Inhalt bes­ser zu Gesicht gestan­den. Dabei gefiel mir die Kame­ra­füh­rung eigent­lich ganz gut, denn die hat auch mal neue Blick­win­kel und Fahr­ten gewagt, wie man sie sonst aus deut­schen Pro­duk­tio­nen nicht kennt. Wenn Sze­nen­län­gen und Schnitt noch dazu gepasst hät­ten …

mhia02

Inhalt­lich war das im Prin­zip die­sel­be Kri­mi­kost, die man auch anders­wo in ähn­li­chen Pro­duk­tio­nen fin­det – kein Wun­der, die Dreh­buch­au­to­ren kom­men unter ande­rem vom Tat­ort – den­noch in mei­nen Augen zumin­dest ein wenig anspre­chen­der und kurz­wei­li­ger dar­ge­bo­ten, als man das sonst so kennt (der­je­ni­ge, des­sen Fern­seh-Ereig­nis­ho­ri­zont sich aus­schließ­lich zwi­schen Tat­ort, Fern­seh­gar­ten, Dege­to und Rosa­mun­de Pilcher auf­spannt, dürf­te MORGEN HÖR ICH AUF tat­säch­lich für inno­va­tiv gemacht hal­ten). Aber lei­der ist die Ver­än­de­rung eben nur mar­gi­nal, an trau­te sich offen­sicht­lich weder an mehr Gewalt noch an mehr Span­nung so wirk­lich her­an. Wie lei­der so oft war SCHÖNER SCHEIN zu nah an der Rea­li­tät und zu wenig »over the top«, um letzt­end­lich über­zeu­gen zu kön­nen. Ja, das ist ein Schritt in eine rich­ti­ge Rich­tung, aber eben nur der ers­te. Wenn deut­sche Sen­der wirk­lich auch nur ansatz­wei­se mit aus­län­di­schen Top-Seri­en mit­hal­ten wol­len, dann muss man sich von deut­schem Spie­ßer­tum und deut­schen Bie­der­mann-Dreh­bü­chern lösen und sich deut­lich mehr trau­en, als bis­her in MORGEN HÖR ICH AUF bis­her zu sehen war. Es wird den­noch span­nend wer­den, was in den nun fol­gen­den Epi­so­den noch gesche­hen wird und ob es viel­leicht mal mehr Action, Dra­ma­tik und auch Gewalt geben wird, als sonst bei den öffent­lich-recht­li­chen Sen­de­an­stal­ten üblich.

Was alles mög­lich gewe­sen wäre, zeigt eine Sze­ne, in der Leh­mann in einen Raum ein­ge­sperrt wird und sich mit einem Gas­zy­lin­der oder Feu­er­lö­scher (weiß ich nicht mehr genau) durch eine Wand den Weg nach außen bricht, gefolgt von einer Ver­fol­gungs­jagd zu Fuß. Davon bit­te mehr, aber könn­te ja tat­säch­lich in wei­te­ren Fol­gen alles noch kom­men …

Das Gan­ze wird frag­los getra­gen von einem wirk­lich ansehn­lich spie­len­den Bas­ti­an Pas­tew­ka, der den in finan­zi­el­le Not gera­te­nen und dabei immer leicht lin­kisch wir­ken­den Dru­cke­rei­chef und Fami­li­en­va­ter abso­lut glaub­wür­dig und nach­voll­zieh­bar zu ver­kör­pern ver­mag und dabei eine fast schon rüh­rend zu nen­nen­de Tra­gi­ko­mik an den Tag legt. An des­sen Per­for­mance fand ich abso­lut nichts aus­zu­set­zen und die vor­ab von man­chen Hatern geäu­ßer­ten Beden­ken »der kann doch nur Kla­mauk« waren eben nur Vor­abrum­schlau­e­rei­en ohne irgend­ei­ne Basis. Wie will man auch eine schau­spie­le­ri­sche Lei­tung beur­tei­len, die man noch gar nicht gese­hen hat? Eben: gar nicht. Pas­tew­kas Dar­stel­lung der Figur ist sicher­lich für mich der wich­tigs­te Grund, dass ich mir davon mehr anschau­en wer­de.

mhia03

Die rest­li­chen Schau­spie­ler ver­sack­ten dabei für mich aller­dings in Bedeu­tungs­lo­sig­keit. Das mag dar­an gele­gen haben, dass Pas­tew­ka den Fern­seh­film ein­deu­tig domi­nier­te, das mag aber auch dar­an lie­gen, dass der weit­aus größ­te Teil der Figu­ren nicht beson­ders kan­tig waren, son­dern dem übli­chen Pro­blem deut­scher Pro­duk­tio­nen unter­la­gen: viel zu nor­ma­le, weich­ge­spül­te Cha­rak­te­re, die unin­ter­es­san­te Din­ge tun.

Gestört hat mich, dass Leh­mann die fal­schen Fünf­zi­ger mal eben druckt, ohne dass dar­auf ein­ge­gan­gen wird, wie Metall­strei­fen und Holo­gramm auf die fal­schen Schei­ne kom­men. Der Aspekt des schie­ren hand­werk­li­chen Geschicks, der ja eigent­lich einen zen­tra­len Punkt der Hand­lung dar­stel­len soll­te, wur­de ein­fach unter den fal­len Tisch gelas­sen, was umso ärger­li­cher ist, als spä­ter the­ma­ti­siert wird, wie erstaun­lich gut die Blü­ten gelun­gen sind. Dass der Vor­gang der Her­stel­lung das aus­läßt, ist ein ärger­li­cher Insze­nie­rungs­pat­zer. Eben­so wie die Tat­sa­che, dass Frau Leh­mann offen­bar nur über eine ein­zi­ge Blu­se ver­füg­te. Fällt sowas kei­nem auf? Denn auch wenn kein Geld da war, es soll­te doch mehr als ein Hemd im Klei­der­schrank lie­gen.

Und die Musik? Lei­der greift man, abge­se­hen vom eigent­li­chen für die Serie geschrie­be­nen Sound­track, nicht auf eher unbe­kann­te, noch nicht tot­ge­nu­del­te Songs zurück, son­dern auf sol­che, die nun wirk­lich jeder schon tau­send­mal gehört hat. Auch das eher typisch für deut­sche Pro­duk­tio­nen und lei­der unkrea­tiv.

Als Fazit muss ich trotz aller Kri­tik­punk­te aber dann doch sagen, dass ich mich von MORGEN HÖR ICH AUF deut­lich bes­ser unter­hal­ten fühl­te, als erwar­tet. Da ist eine Men­ge Luft nach oben, aber es han­del­te sich eben auch um die ers­te Epi­so­de. Wie das wei­ter­geht möch­te ich schon wis­sen, aller­dings müs­sen sie in den nächs­ten Fol­gen noch deut­lich eine Schüp­pe drauf­le­gen, um mich dau­er­haft bei der Stan­ge zu hal­ten. Ansons­ten hör ich mor­gen näm­lich auf.

Und es bleibt natür­lich zu sagen: Ja, das ist ganz unter­halt­sam, ja, es ist ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. Aber für des Pro­gramm­chefs Ver­gleich mit BREAKING BAD oder ande­ren US‑, ITV- oder BBC-Seri­en habe ich immer noch nur Hohn­la­chen übrig. Um wirk­lich Inno­va­ti­ves zu schaf­fen, müss­ten erst der Filz und die jahr­zehn­te­lang gewach­se­nen Inkom­pe­ten­zen und das Kom­pe­tenz­ge­ran­gel inner­halb der Redak­tio­nen und zwi­schen den Sen­dern besei­tigt wer­den. Man müss­te den Krea­ti­ven mit wirk­lich coo­len Ideen mal eine Chan­ce geben, statt ihre Pit­ches weg­zu­bo­xen oder bis zu Unkennt­lich­keit zu ent­stel­len. Man muss sich drin­gend von dem ner­vi­gen Kri­mi-Fetisch lösen. Und man muss auf­hö­ren, sich bei Seri­en und Fern­seh­fil­men aus­schließ­lich auf die über 60-jäh­ri­ge Ziel­grup­pe von ARD und ZDF zu kon­zen­trie­ren. Vor­her wird das nichts.

p.s.: Jetzt wer­de ich mir ver­mut­lich in einem aku­ten Anfall von Maso­chis­mus mal den letz­ten Schwei­ger-Tat­ort anse­hen. Da wird immer­hin gebal­lert.

mhia01

MORGEN HÖR ICH AUF – Fol­ge 1 – SCHÖNER SCHEIN
Beset­zung:
Jochen Leh­mann: Bas­ti­an Pas­tew­ka
Julia Leh­mann: Susan­ne Wolff
Lau­ra Leh­mann: Jani­na Fautz
Vin­cent Leh­mann: Moritz Jahn
Nadi­ne Leh­mann: Katha­ri­na Kron
Damir Decker: Georg Fried­rich
Rolf »The Wolf« Dan­ne­berg: Tor­ben Liebrecht
Sun­ny Pala­tz­ky: Mar­ga­ri­ta Broich
Wer­ner Tau­chert: Uwe Preuss
Rai­ner Fell­baum: Wolf­gang Rüter
Enno Wevel: Ste­phan Gross­mann
Andre­as Ger­lach: André Jung
Dana: Marie Ben­dig
Tobi­as: Den­nis Mojen
Utz Becker: Jan Pohl
Haupt­kom­mis­sar Rie­mers: Cor­ne­li­us Obonya
Haupt­kom­mis­sar Schna­bel­bach: Alex­an­der Scheer
Blasch­ko: Simon Schwarz
Pudel­mann: Gode Bene­dix
Gerichts­voll­zie­her: Rai­ner Gal­ke
Frau Tau­chert: Nico­la Tho­mas
Kas­sie­rer Tank­stel­le: Sahin Ery­il­maz
Leh­re­rin Nadi­ne /​ Saskia: Bar­ba­ra Phil­ipp
Pro­sti­tu­ier­te: Mary­lu-Saskia Pool­man
Stab:
Buch: Mar­tin Eig­ler, Sön­ke Lars Neu­wöh­ner, Sven S. Poser
Regie: Mar­tin Eig­ler
Kame­ra: Chris­toph Chas­sée
Musik: Manu Kurz, Alex­an­der Maschke
Musi­ka­li­sche Lei­tung: Hans­jörg Koh­li
Schnitt: Julia Oeh­ring, Jörg Kro­schel
Sze­nen­bild: Ruth Bar­ba­ra Wil­bert
Pro­duk­ti­on: Net­work Movie, Film- und Fern­seh­pro­duk­ti­on GmbH & Co. KG, Köln
Pro­du­zen­ten: Bet­ti­na Wen­te, Wolf­gang Cime­ra
Pro­du­ce­rin: Nina Güde
Redak­ti­on: Elke Mül­ler

Alle Bil­der: © Hono­rar­frei – nur für die­se Sen­dung bei Nen­nung ZDF und Mar­tin Valen­tin Men­ke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies und von eingebundenen Skripten Dritter zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest (Navigation) oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst Du Dich damit einverstanden. Dann können auch Cookies von Drittanbietern wie Amazon, Youtube oder Google gesetzt werden. Wenn Du das nicht willst, solltest Du entweder nicht auf "Akzeptieren" klicken und die Seite nicht weiter nutzen, oder Deinen Browser im Inkognito-Modus betreiben, und/oder Anti-Tracking- und Scriptblocker-Plugins nutzen.

Mit einem Klick auf "Akzeptieren" werden zudem extern gehostete Javascripte freigeschaltet, die weitere Informationen, wie beispielsweise die IP-Adresse an Dritte weitergeben können. Welche Informationen das genau sind liegt nicht im Einflussbereich des Betreibers dieser Seite, das bitte bei den Anbietern (jQuery, Google, Youtube, Amazon, Twitter *) erfragen. Wer das nicht möchte, klickt nicht auf "akzeptieren" und verlässt die Seite.

Wer wer seine Identität im Web schützen will, nutzt Browser-Erweiterungen wie beispielsweise uBlock Origin oder ScriptBlock und kann dann Skripte und Tracking gezielt zulassen oder eben unterbinden.

* genauer: eingebettete Tweets, eingebundene jQuery-Bibliotheken, Amazon Artikel-Widgets, Youtube-Videos, Vimeo-Videos

Schließen