MELANCHOLIA wird seinem Titel gerecht

Dass Roland Emme­rich einen Film über Shake­speare macht ist genau­so absurd, als wür­de Lars von Trier einen Film über den Welt­un­ter­gang dre­hen. Und doch, MELANCHOLIA ist nun ange­lau­fen und gibt vor, eine brei­te­re Mas­se anzu­spre­chen. Es ist sozu­sa­gen ein mas­sen­ver­träg­li­cher Lars von Trier. Für jeman­den, der Dog­ma ins Leben rufen woll­te oder auf den Boden einer Thea­ter­büh­ne gemal­te Lini­en als Film­ku­lis­se ver­kauf­te, wirkt MELANCHOLIA tat­säch­lich gemä­ßig­ter, ver­nünf­ti­ger, ver­ständ­li­cher. Doch wer die ers­ten acht Minu­ten von MELANCHOLIA durch­hält, ohne vom Sitz auf­zu­sprin­gen und fre­ne­tisch zu jubeln, der bekommt sei­nen Lars von Trier, wie er das Main­stream-Publi­kum zu ver­schre­cken ver­steht. Hor­ror hat er schon gedreht, jetzt zeigt er sei­ne Varia­ti­on von Sci­ence Fic­tion. Oder ist doch alles nur eine intel­lek­tu­ell über­zo­ge­ne Irrationalität?

Ohne Vor­war­nung taucht hin­ter der Son­ne der bis­her unbe­kann­te Pla­net MELANCHOLIA auf und bewegt sich auf die Erde zu. Die Wis­sen­schaft defi­niert es als ein spek­ta­ku­lä­res Ereig­nis, weil Melan­cho­lia an der Erde vor­bei­zie­hen wird. In die­ser Zeit fei­ert die men­tal labi­le Jus­ti­ne ihre Hoch­zeit, aus­ge­rich­tet von ihrer boden­stän­dig pedan­ti­schen Schwes­ter Clai­re. Zwei Per­so­nen als Sinn­bil­der einer Welt, in die man sich hin­ein­ar­bei­ten muss.

Mit viel Abstand und sehr aus­ge­dünnt betrach­tet ist MELANCHOLIA tat­säch­lich der klas­si­sche Kata­stro­phen­strei­fen. Vie­le unter­schied­li­che Figu­ren fun­gie­ren als Stell­ver­tre­ter bestimm­ter Men­schen­grup­pen und Cha­rak­te­re inner­halb des geschlos­se­nen Kos­mos des Unglücks. Nur bie­tet der Autor und Regis­seur kei­nen geschlos­se­nen Kos­mos. Es ist der offe­ne Kos­mos per­sön­lich, der die Erde in ihrer Gän­ze ver­schlin­gen wird. Und das beginnt mit einer acht­mi­nü­ti­gen Eröff­nungs­se­quenz, die sprach­los macht. Die Bil­der sind abs­trak­te Vor­weg­nah­men der nach­fol­gen­den Hand­lung. Gleich­zei­tig ist die nach­fol­gen­de Hand­lung immer ein Resul­tat der vor­an­ge­gan­ge­nen Vor­aus­schau. Ver­wir­rend? Was hast du erwartet?

Der Eröff­nungs­dia­log ist eine Abfol­ge von Inter­pre­ta­tio­nen, die nur in ihrer Dar­stel­lung Bezug auf die Ereig­nis­se neh­men, die­se aber nicht dop­peln. Zu den schwer­mü­ti­gen Klän­gen von TRISTAN UND ISOL­DEs Vor­spiel steht die­se gewal­ti­ge Bild­fol­ge in kei­nem erkenn­ba­ren Zusam­men­hang. Das könn­te inso­fern Sinn machen, da Richard Wag­ner beim Schrei­ben sei­ner Oper eben­falls ein unüber­schau­ba­res Sam­mel­su­ri­um von Hel­den­sa­gen und Mythen ein­flie­ßen ließ. Die­se acht Minu­ten sind ein sti­lis­ti­scher Hoch­glanz, mit extrem ver­lang­sam­ten Auf­nah­men und exzes­si­ver Nach­be­ar­bei­tung, die einen vor Begeis­te­rung frös­teln lassen.


Dass Manu­el Alber­to Cla­ro nach dem ful­mi­nan­ten Auf­takt die Kame­ra schließ­lich auf die Schul­ter packt, erklärt sich fast schon als dog­ma­ti­sche Selbst­ver­ständ­lich­keit. Sie folgt den Figu­ren in pein­li­cher Genau­ig­keit, zitiert ihre Gedan­ken allein durch das Spiel und por­trä­tiert Ver­hal­tens­mus­ter, die einen sehr unan­ge­nehm berüh­ren. Dass die unter­schied­li­chen Natio­na­li­tä­ten von Schau­spie­lern in ihrem Akzent blei­ben, stört den Regis­seur über­haupt nicht. Es ver­stärkt sogar die Wir­kung der gegen­sei­ti­gen Ent­frem­dung unter den Figu­ren. Es ist kein schö­ner Film mehr, aber er fas­zi­niert. Man will nicht hin­se­hen, bleibt aber dran. Die Welt, wie wir sie ken­nen, zer­stört sich selbst. Der Pla­net Melan­cho­lia wird zum Sinn­bild des Unver­mö­gens, die Zivi­li­sa­ti­on aufrechtzuerhalten.

Lei­der bleibt der Autoren­fil­mer in sei­nen Zuwei­sun­gen zu unspe­zi­fisch und scheint sich nicht fest­le­gen zu wol­len. Ist Jus­ti­ne am Ende die Hoff­nung der Welt, oder sym­bo­li­siert Clai­re das Gewis­sen unse­res Lebens? Die Welt, ver­tre­ten durch Kie­fer Suther­land, Stel­lan Skars­gard und Char­lot­te Ram­pling, will ihr bevor­ste­hen­des Ende nicht wahr­ha­ben. Die bipo­la­re Jus­ti­ne hin­ge­gen wan­delt sich zu einer aus­ge­gli­che­nen See­le, wäh­rend sich die beherrsch­te Clai­re im Lau­fe des Films ihrer Ängs­te nicht mehr erweh­ren kann. Die unglei­chen Schwes­tern ver­schmel­zen in ihrer gegen­läu­fi­gen Ent­wick­lung zu einer Ein­heit. Mensch­wer­dung im Welt­un­ter­gang ist in den Augen eines däni­schen Fil­me­ma­chers kei­ne leich­te Geburt.

Kirsten Dunst nackt

So gegen­läu­fig sich die Ent­wick­lung der Cha­rak­te­re zeigt, prä­sen­tiert sich auch die Optik des Films. Der über­wäl­ti­gen­de Anfang steht kon­trär zur Erzäh­lung sei­ner eigent­li­chen Geschich­te. Dass in des­sen Ver­lauf der Gebrauch des musi­ka­li­schen The­mas von Wag­ners TRIS­TAN-Vor­spiel extrem über­stra­pa­ziert wird, ist lei­der eine kras­se Fehl­ent­schei­dung bei der Fer­tig­stel­lung von MELANCHOLIA. Aller­dings dürf­te dies für den Zuschau­er eines der gerings­ten Pro­ble­me sein, um sich in einer Welt zurecht­zu­fin­den, die schon im rich­ti­gen Leben nicht leicht zu ver­ste­hen ist. Ganz zu schwei­gen von der Gedan­ken­welt eines kon­tro­ver­sen, eigen­wil­li­gen, däni­schen Regisseurs.

Wäh­rend des Films wie­der­holt Manu­el Alber­to Cla­ro die opti­sche Bril­lanz sei­nes Anfangs nur weni­ge Male, als Erin­ne­rung dar­an, in wel­chem Glanz die Erde unter­ge­hen wird. Nach einem ent­täu­schen­den Hoch­zeits­tag mit sämt­li­chen erdenk­li­chen Kata­stro­phen in Form von mensch­li­chen Befind­lich­kei­ten steht Jus­ti­ne ihrem frisch ange­trau­ten Ehe­mann gegen­über und flüs­tert ent­schul­di­gend: »Was hast du erwartet?«

Gleich­sam könn­te die­se Fra­ge vom Regis­seur an sein Publi­kum gerich­tet sein. Eine intel­lek­tu­el­le Kampf­an­sa­ge an Zuschau­er, die glau­ben, dass ihnen Lars von Trier zu viel ver­spro­chen hat. Dies hat er aller­dings nicht, son­dern es wird ihm nur so aus­ge­legt, weil der Macher dies in sei­ner künst­le­ri­schen Umset­zung gera­de­wegs her­aus­ge­for­dert hat. Sci­ence-Fic­tion oder intel­lek­tu­ell über­zo­ge­ne Irrea­li­tät? Das Ende der Welt in Form von mensch­li­chen Unzu­läng­lich­kei­ten. »Was hast du erwartet?«

MELANCHOLIA
Dar­stel­ler: Kirs­ten Dunst, Char­lot­te Gain­s­bourg, Alex­an­der Skars­gard, Bra­dy Cor­bet, Came­ron Spur, Char­lot­te Ram­pling, Jesper Chris­ten­sen, John Hurt, Stel­lan Skars­gard, Udo Kier, Kie­fer Sutherland
Regie & Dreh­buch: Lars von Trier
Kame­ra: Manu­el Alber­to Claro
Bild­schnitt: Mol­ly Male­ne Stensgaard
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Jet­te Lehmann
Däne­mark – Schwe­den – Deutsch­land – Frank­reich 2011
zir­ka 135 Minuten
Zen­tro­pa Enter­tain­ment u.v.m., Con­cor­de Filmverleih

 

Pro­mo­fo­tos Copy­right 2011 Zen­tro­pa Enter­tain­ment & Con­cor­de Filmverleih

AutorIn: Bandit

3 Kommentare for “MELANCHOLIA wird seinem Titel gerecht”

sagt:

Was habe ich erwartet?
Eines jeden­falls nicht: dass ich mich 130 Minu­ten lang gelang­weilt habe; eine Lan­ge­wei­le, die auch nicht durch die »bild­ge­wal­ti­gen« Momen­te aus­ge­gli­chen wer­den konn­te. Sor­ry, aber für »Otto Nor­mal­ki­no­ge­her« ist die­ser Film ein abso­lu­ter Schrott (Mit­ki­no­gän­ger waren kon­se­quent genug und sind noch wäh­rend des ers­ten Teils gegangen).
Wahr­schein­lich muss man pro­fes­sio­nel­ler Film­kri­ti­ker sein oder Psy­cho­lo­gie stu­diert haben, um dem Film die in der Bespre­chung genann­ten posi­ti­ven Eigen­schaf­ten abge­win­nen zu kön­nen. Ich konn­te es nicht! Sorry!

Bandit

sagt:

-
Lie­ber Peter Emmerich,
was ich als Bespre­cher des Fil­mes ver­mis­se, ist eine Wei­ter­füh­rung Dei­nes eige­nen Ein­gangs­sat­zes: Was hast Du erwar­tet? Das hast Du nicht beant­wor­tet. Die­ser Film ist nicht abso­lu­ter Schrott. Er ist viel­leicht in ‘Dei­nen’ Augen abso­lu­ter Schrott, aber Du darfst das nicht ver­all­ge­mei­nern, weil Du sonst jedem Kino­gän­ger mit ande­rer Mei­nung das Recht absprichst, die­se eige­ne Mei­nung zu haben.
Lass mich die­se Fra­ge stel­len: Was hast Du tat­säch­lich erwar­tet, wenn Du für einen Film von Lars von Trier Geld ausgibst?
Ich bin weder pro­fe­sio­nel­ler (bezahl­ter) Film­kri­ti­ker, aber auch kein Psy­cho­lo­ge, und habe MELANCHOLIA den­noch als das ver­stan­den, was er aus­drü­cken woll­te. Fin­de ich ihn des­we­gen rich­tig gut? Glau­be ich wirk­lich ein Meis­ter­werk gese­hen zu haben? Steht in mei­ner Bespre­chung nicht auch, wie wider­sprüch­lich der Film in sei­nem Kon­zep­ti­on ist?
Soll­test Du, lie­ber Peter Emme­rich, wegen die­ser Film­be­spre­chung ins Kino gegan­gen sein, dann weisst Du wenigs­tens die zukünf­ti­gen Rezen­sio­nen rich­tig ein­zu­schät­zen. Aber so im genaue­rern Nach­den­ken bezweif­le ich das, denn ich kann nicht nach­voll­zie­hen, wo Dein Kri­tik­punkt an der Rezen­si­on wirk­lich liegt. Der von Dir gestell­te Satz »um dem Film die in der Be­spre­chung ge­nann­ten po­si­ti­ven Ei­gen­schaf­ten ab­ge­win­nen zu kön­nen« ist sehr miss­ver­ständ­lich. Für mei­ne eige­ne Erfah­rung wür­de ich ger­ne wis­sen, was in die­ser Bespre­chung der Anreiz zum Kon­sum die­ses Fil­mes gewe­sen sein soll.
Es ist ein Film von Lars von Trier. Wer geht denn in einen Film von Lars von Trier ohne erah­nen zu kön­nen was ihn erwar­tet? Wie kommt ein ‘Otto Nor­mal­ki­no­gän­ger’ dar­auf, sich einen Film eines däni­schen Dog­ma-Regis­seurs anzu­se­hen, und sich im Nach­hin­ein zu beschwe­ren. Bin ich in Erklä­rungs­not, oder Du?
Bit­te ant­wor­te, denn ich bin einem kon­struk­ti­ven Dia­log sehr wohl angetan.

sagt:

Ich bin in den Film gegan­gen, weil ich a) natür­lich eine Inhalts­an­ga­be gele­sen hat­te und b) einen Trai­ler sah, der sich sehr viel­ver­spre­chend prä­sen­tier­te. Es war also nicht Dei­ne obi­ge Rezen­si­on, die mich zum Besuch des Films animierte.
Was habe ich also erwar­tet? Das ist in einem Satz gesagt: Ich woll­te unter­hal­ten werden!
»Unter­hal­tung« heißt vür mich nicht immer nur durch rei­nes »Pop­corn­ki­no«, durch­aus auch mal anspruchs­vol­ler. Ich nen­ne mal zwei Fil­me: »Von Men­schen und Göt­tern« als Bei­spiel für wirk­lich »schwe­ren Tobak« oder auch »The King’s speech«, dem zwei­fels­frei zusätz­lich ein enor­mer Unter­hal­tungs­wert zuge­spro­chen wer­den kann.
Zurück zu »Melan­cho­lia«: Hier kann ich Dir – was die ers­ten acht Minu­ten betrifft – abso­lut zustim­men. Zu die­sem Zeit­punkt war ich auch noch sehr neu­gie­rig. Aber dann ging es los mit dem ers­ten Teil; ein über­lan­ges Auto ver­sucht das Braut­paar über eine enge Schot­ter­stras­se zu den Hoch­zeit­fei­er­lich­kei­ten zu trans­por­tie­ren. Ich fra­ge mich ehr­lich, was sol­len die­se 10 Minu­ten? Das war für die Hand­lung ein­fach nicht not­wen­dig. Dann die Fei­er­lich­kei­ten selbst, gefilmt mit einer Hand­ka­me­ra, dass ich Kopf­weh bekam. Und das, was zur Hand­lung nötig gewe­sen wäre, hät­te man in fünf bis zehn Minu­ten erzäh­len kön­nen. Aber nein, end­los und sinn­los und lang­wei­lig. Ok, ich gebe noch fünf Minu­ten hin­zu, in wel­cher vor allem die Bezie­hun­gen der zwei Schwes­tern zuein­an­der hät­ten her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den können.
Der zwei­te Teil: Ok, da war ansatz­wei­se so etwas wie eine »End­zeit­stim­mung« zu spü­ren (der Hams­ter­kauf, die »Selbst­mord-Tablet­ten«, der Strom­aus­fall u.s.w.); auch wur­den die Bezie­hun­gen der weni­gen »han­deln­den« Per­so­nen unter­ein­an­der mehr aus­ge­ar­bei­tet. Aber auch hier war das alles viel zu lang­at­mig und mit Hand­lungs­strän­gen ver­se­hen, deren »Wich­tig­keit« für den Film zumin­dest ich nicht nach­voll­zie­hen kann (z.B.: Was soll­te die Geschich­te mit den zwei Aus­rit­ten der Geschwis­ter, wobei das Pferd von Jus­ti­ne immer an der Brü­cke scheute?)
Zuge­ge­ben, das Ende des Films, als Jus­ti­ne noch ihr Ver­spre­chen erfüll­te, eine Hüt­te für Leo, Clai­res Sohn, zu bau­en um dar­in auf das Ende der Welt zu war­ten, hat­te etwas für sich.
Aber wie schon gesagt, die­se sel­te­nen Augen­bli­cke waren ein­fach zu wenig, um mir die Lan­ge­wei­le zu neh­men – ich kann den Film wirk­lich nicht empfehlen.

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