Sie ist die Ikone des Bösen aus der gezeichneten Welt von Disney. Und selbst nach fast 60 Jahren hat sie nichts von ihrer Wirkung verloren. Maleficent. Was so viel wie Böse bedeutet, und wie wir erfahren, hieß sie schon in jungen Jahren so, wo die Fee der Moore noch eine wirklich Gute war. Doch über diesen Zustand hüllt sich der Film in Schweigen. Letztendlich ist es auch nicht wichtig, weil es den Film deswegen nicht schlechter macht. Die Vermarktung des Films gaukelt einen vor, man würde wissen, was uns die Geschichte erzählen will, doch da irrt sich der geneigte Zuschauer gewaltig. Tatsächlich ist die eigentliche Stärke des Films, dass er sich vollkommen gegen die Erwartungshaltung entwickelt. Ähnlich wie es Schriftsteller Gregory Maguire mit WICKED ersonnen hatte, in der er die Vorgeschichte der Hexen aus ZAUBERER VON OZ erzählte, und dann parallel zur bekannten Geschichte laufen lässt, so zeigt auch MALEFICENT einen unerwarteten Hintergrund zum Märchen Dornröschen. Und wie bei WICKED, verdreht dieser Hintergrund das Wesen der Figuren und den Kern der Geschichte gegen das vermeintlich Bekannte. Ohne sich allerdings gegen die Vorlage zu stellen.
Dass das moderne Kino altbekannte Märchen für sich entdeckt, um sie für ein erwachsenes Publikum aufzupeppen, ist keine sonderlich neue Idee. Seit Jacksons HERR DER RINGE allerdings ist die Suche nach geeigneten Fantasy-Stoffen drastisch ausgeweitet worden. Und was könnte näher an Fantasy heran reichen, als eine gute alte Erzählung der Grimm-Brüder. Die Geschichten sind bekannt, was die Neugierde nur erhöht. Zudem muss man nicht auf weniger bekannte Romane zurück greifen, und Gefahr laufen wegen Desinteresses ein finanzielles Desaster zu erleben. Und Original-Geschichten sind gerade bei Großprojekten bekanntlich lange unten durch. Dass die märchenhafte Rechnung aufgehen kann wurde bewiesen, als man Kirsten Stewart als Snow White in Szene setzte. Natürlich mit hinzu gedichtetem Schlachtengemälde, weil diese ebenfalls seit HERR DER RINGE zum guten Ton der verfilmten Fantasy gehören.
Auch MALEFICENT hat seine große am Computer kräftig bearbeitete Schlacht. Aber: auch hier überrascht der Film, setzt das Drehbuch diesen Kampf sehr früh an, damit der Massengeschmack befriedigt ist, und sich die Geschichte auf das Wesentliche konzentrieren kann. Das Wesentliche ist natürlich die Beziehung der bösen Fee Maleficent zu der »schlafenden Schönheit« Aurora, welche mit einem Fluch belegt wird, aus der sie nur der wahren Liebe erster Kuss erretten kann. Bis dahin hält der Film einige Überraschungen bereit, inklusive einer herausragenden Wendung im Handlungsverlauf.
Diese Märchenstunde funktioniert rundherum. Nicht nur wegen Angelina Jolies alles einnehmendem Charisma, welches von Regisseur Robert Stromberg in jeder ihrer Szenen voll ausgenutzt wird. Sondern in erster Linie, weil er aus einer hinlänglich bekannten Geschichte, ein vollkommen neues Abenteuer zu zaubern versteht. MALEFICENT macht Spaß und ist spannende Unterhaltung in einem. Man könnte dem Film einige nicht ganz dem aktuellen Standard entsprechende Computer-Effekte ankreiden, wie zum Beispiel die Miniaturen der drei Feen, die Dornröschen aufziehen. Aber dass perfekte Effekte mit einer einnehmenden Geschichte hinfällig werden, ist eine weitere Überraschung, mit der MALEFICENT zu überzeugen versteht.
Als Clyde Geronimi 1959 für Walt Disney THE SLEEPING BEAUTY / DORNRÖSCHEN inszenierte, hat er bestimmt nicht daran gedacht, mit dem Charakter von Maleficent den einprägsamsten aller Bösewichter im Disney-Universum fotografiert zu haben. 55 Jahre später zahlt sich das aus, indem sich das Maus-Haus nicht einfach eine weitere Fortsetzung aus den Fingern saugte, sondern zwei Schritte weiter ging. Von Animation zu Live-Action, und eine Neuinterpretation. SNOW WHITE AND THE HUNTSMAN hat gezeigt, dass es funktioniert. MALEFICENT wird nun Vorreiter einer ganze Welle von all diesen Auswüchsen, die Hollywood gerne generiert. Remakes, Neuinterpretationen, Reboots. Auf Original-Geschichten wird man weiterhin vergeblich warten. Aber nur weil MALEFICENT einfach ein viel zu guter, unterhaltender Film geworden ist. Eine gute Entschuldigung eben. Darüber hinaus wurde Angelina Jolies Ausstrahlung bisher niemals so effektiv ausgenutzt. Einfach märchenhaft.
MALEFICENT
Darsteller: Angelina Jolie, Elle Fanning, Sharlto Copley, Lesley Manville, Imelda Staunton, Juno Temple, Sam Riley, Brenton Thwaites, Kenneth Cranham u.a.
Regie: Robert Stromberg
Drehbuch: Linda Woolverton, nach dem Disney-Film von 1959
Kamera: Dean Semler
Bildschnitt: Chris Lebenzon, Richard Pearson
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: Dylan Cole, Gary Freeman
97 Minuten
USA 2014
Promofotos Copyright Walt Disney Studios Motion Pictures