LEVIATHAN WAKES spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der sich die Menschheit bereits seit einiger Zeit über das Sonnensystem ausgebreitet hat. Der Mars ist eine seit langem etablierte, starke und unabhängige Kolonie, die Terraforming betreibt; im Asteroidengürtel wohnen auf verschiedenen Klein- und Kleinstplaneten die sogenannten »Belter«, die sich kulturell und auch körperlich (aufgrund der Gravitationsverhältnisse) bereits vom Erdenmenschen entfernt haben. Zwischen den Fraktionen herrscht nicht unbedingt Friede, Freude Eierkuchen, denn auf der einen Seite scheinen Mars und Erde trotz vorhandener Spannungen zusammenzuarbeiten, auf der anderen Seite hält man die Belter in Abhängigkeit von lebensnotwendigen Ressourcen, etwa so grundlegendem wie Atemluft oder Wasser.
Das ist ganz grob und kurz der Hintergrund der Reihe, allerdings ist das Geflecht an Politik und Abhängigkeiten dann doch noch etwas komplexer, als hier auf die Schnelle dargestellt. Die Beschreibung der Technik kann man unter »Hard Science« einsortieren, wie sie vielleicht ein Arthur C. Clarke oder Paul Preuss geschrieben hätte, die Raumschiffe bewegen sich physikalisch nachvollziehbar und Gravitation gibt es nur dann, wenn man beschleunigt. Wenn man schnell fliegen muss, erzeugt das auch schon Mal mehr Gravitation, als einem lieb ist. Dennoch: Trotz der durchaus nicht unwissenschaftlichen Herangehensweise an Raumflug und Lebensbedingungen im Belt ist das durchaus keine trockene SF, sondern tendiert durchaus in Richtung Space Opera, nur halt nicht solche mit Bombast, Raumschlachten und intergalaktischen Kriegen, sondern ein wenig gebremst im Sonnensystem und ohne allzu hanebüchene Beschreibungen. Wobei ich bei SF gar nichts gegen hanebüchene Beschreibungen gigantischer Schiffe oder Raumschlachten habe, ich finde nur bemerkenswert, wie die Autoren es schaffen, ein Space Opera-Gefühl mit vergleichsweise minimalen technischen Mitteln hinzubekommen.
Und es kommt noch etwas hinzu: Das eigentliche Problem in diesem Roman sind nicht die Konflikte zwischen den verschiedenen menschlichen Fraktionen, sondern etwas ganz anderes, viel Größeres, über das ich hier nichts erzähle, weil ich nicht Spoilern und einem potentiellen Leser damit den Spaß nehmen möchte. Dass im Sonnensystem etwas ganz und gar nicht stimmt, wird dem Leser schon im ersten Kapitel vor die Füße geworfen, aber danach lassen die Autoren einen mächtig lange zappeln, bis man dann zu einem Aha-Erlebnis kommt und denkt: »Das machen die nicht wirklich?«
Die Hauptcharaktere, ein Raumkapitän und ein glückloser Belter-Cop, sind vielschichtig und knorrig beschrieben. Man mag nicht immer mit ihnen einer Meinung sein, aber die Autoren verstehen es äußerst geschickt, die Beweggründe für ihre Handlungen nachvollziehbar zu machen. Handwerklich wurde das dadurch gelöst, dass die Kapitel abwechselnd aus der Sicht des Captains (Holden) und des Cops (Miller) erläutert wird. Die meisten anderen Charaktere bleiben dagegen leider etwas farblos, werden aber dennoch durch gezielt eingesetzte Beschreibungen und Details hinreichend kategorisiert. Man merkt aber schon recht deutlich, dass die beiden Hauptpersonen im Fokus des Geschehens stehen sollen. Gefallen hat mir zudem, dass bei den Hauptprotagonisten eine Entwicklung stattfindet, die durch die Geschehnisse begründet wird. Auch wenn sie sich immer wieder dagegen sträuben, weil sie eine gewisse Weltsicht und ein Bild von sich selbst und anderen haben, konfrontieren die Autoren die Charaktere ständig damit, ihre Sichtweisen hinterfragen zu müssen. Das ist sehr erfrischend zu lesen und verleiht den Figuren in meinen Augen Tiefe.
Die Handlung weist etliche überraschende Wendungen auf, und wenn es zu einem Krieg zwischen den Fraktionen zu kommen scheint, beginnt man, mit den Beltern zu fiebern, denn die haben am meisten zu verlieren. Zumindest anfangs. Später zeigt sich dann, dass es hier um nichts weniger geht, als den Fortbestand der Menschheit – und die macht trotzdem kaum Anstalten, ihre Konflikte deswegen aufzugeben, wie man sich das angesichts der auf unserem Planeten aktuellen Krisen und Machtspielchen leider allzu gut vorstellen kann.
LEVIATHAN WAKES ist ein wenig zu lang. Etwas Kürzung und Straffung im Lektorat hätte dem Roman gut getan, auf der anderen Seite kommt wahrlich keine Langeweile auf, deswegen will ich das mal nicht zu kritisch betrachten. Im Prinzip geht die Länge in Ordnung, insbesondere auch aufgrund der kurzweiligen und originellen Story. Ich bin gespannt, ob das Autorenteam das in den Folgebänden so aufrechterhalten kann.
Auch auf die Umsetzung in eine Fernsehserie bin ich jetzt äußerst gespannt. Das sollte gut funktionieren, denn die vergleichsweise Lowtech der Schiffe sollte sich ebenso ganz gut und vergleichsweise preiswert in Sets umsetzen lassen, wie die Interieurs der Raumstationen im Belt. Was dann nur noch her muss, sind coole Drehbücher, die auf gewisse Längen im Roman verzichten.
Allen SF-Fans kann ich LEVIATHAN WAKES uneingeschränkt ans Herz legen, es handelt sich um eine intelligente und dennoch kurzweilige Hard-Science-Fiction Geschichte im Space Opera-Gewand mit deutlichen, aber nicht übertriebenen Horror-Einschlägen. Eine grandiose Mischung, die allein aufgrund ihrer Länge bisweilen etwas klobig im Magen liegt. Wer nicht gern in englischer Sprache liest, greift zur deutschen Übersetzung, die ist bei im April 2012 bei Heyne erschienen, aber wie immer deutlich teurer als die US-Version.
Ich vergebe neun von zehn Protomolekülen und habe zwei Sorgen, dass die Nachfolgebände nicht dünner sind und dass die Miniserie durch zu starke inhaltliche Änderungen aufgrund von Budgetproblemen versaut wird.
LEVIATHAN WAKES
James S. A. Corey
SF-Roman
Taschenbuch und eBook
Juni 2011, 561 Seiten
Taschenbuch: ca. zehn Euro
ISBN-10: 1841499889
ISBN-13: 978–1841499888
eBook (Kindle): ca. acht Euro
ISBN-10: 1841499889
ISBN-13: 978–1841499888
ASIN: B004XCGKYQ
Little, Brown Book Group
Coverabbildung Copyright Little, Brown Book Group
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@PhantaNews Die Nachfolgebände sind nicht dünner. Aber in meinen Augen noch besser…
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