Die Rede ist selbstverständlich von TRON.
Jetzt, nur schlappe zweieinhalb Dekaden später, schuf Disney eine Fortsetzung namens TRON LEGACY; einer der Produzenten war der Regisseur des ersten Teils Steven Lisberger. »Ernsthafte« Kritiker sind entsetzt, Fans voll des Lobes. Falls ihn jemand noch nicht gesehen haben sollte, möchte ich ein paar Hinweise zur Nutzung geben…
ALICE IM WUNDERLAND
Mal im Ernst und vorneweg: Im ersten Film wie in der Fortsetzung wird eine nicht existierende Welt erschaffen, denn wie wir alle wissen gibt es keine intelligenten humanoiden Programme in unseren heimischen Computern oder in Mainframe-Rechnern. TRON ist eine Analogie, ein digitales Märchen und eben nicht die neueste Ausgabe einer Microsoft-Doku. Wenn man ein anderes Werk als Inspiration heran ziehen möchte, dann fällt zumindest mir als allererstes ALICE IM WUNDERLAND ein, in der die Protagonistin in ein wundersames – passender wäre wohl: völlig abgefahrenes – Fantasieland verschlagen wird und es mit allerlei obskuren Figuren zu tun bekommt. Genau dasselbe geschieht bei TRON und in TRON LEGACY. Wir wissen alle, dass es dieses Land im Computer nicht gibt – aber das macht eben einen großen Teil der Faszination aus.
Wer das von Anfang an für vollständigen Mumpitz hält, der darf das selbstverständlich gern tun, soll aber – BITTE! – dann auch zu Hause bleiben und sich auf der Suche nach einem nebulösen »Anspruch« weiter usbekische Autorenfilme ansehen.
TRON LEGACY ist Popcornkino reinsten Wassers und bemüht sich auch nicht, sich darüber erheben zu wollen. Ziel des Films ist es (neben der Generierung von Einnahmen selbstverständlich), den Kinobesucher zu unterhalten – pur und einfach für zwei Stunden in eine andere Welt zu versetzen und das unter Aufbietung maximalen Overloads der Augen des Betrachters zu tun.
Gebrauchsanleitung Punkt eins: Spielverderber und Wichtigtuer bleiben zu Hause.
MIT DEN AUGEN VON DAMALS
TRON LEGACY ist wie der Vorgänger technisch auf dem Stand der Dinge. Das Innere des Computers ist fast schon überstilisiert und führt die Ansätze von damals sehenswert fort. Vor dem staunenden Zuschauer wird erneut eine digitale Welt ausgebreitet, die aber erheblich glatter und durchgestylter aussieht als »damals«. Alles andere würde auch keinen Sinn machen, denn die Welt hat sich in beiden Universen weiterentwickelt.
Wenn man sich den Film ansieht, dann muss man versuchen, sich darauf einzulassen, versuchen, die bei TRON gefühlte kindliche Freude erneut verspüren zu wollen. TRON LEGACY ist Zuckerwerk für die Augen, ist ein purer visueller Overkill in der Tradition des Vorgängers nur portiert ins Heute. Staunen ist angesagt und nicht etwa Analyse oder die Frage nach dem »Warum?«.
Alles was man im Computer an Szenerie sieht, ist bis zum Exzess durchgestyled, manch einer kreidet dem Film das an, ich finde diese Konsequenz nur angemessen. Gute und Böse erkennt man ohne große Probleme an ihren Farben – blau und rot – genau wie im ersten Teil (passend zum binären Ursprung wirken die Akteure schablonenhaft schwarz oder weiß – oder hellblau und rot). Die digitale Welt wirkt aber düsterer als zu Zeiten des Master Control Programs, auch werden die Neonstreifen sparsamer eingesetzt, sowohl an den Akteuren als auch in der Umgebung.
Gebrauchsanleitung Punkt zwei: Schalte vor dem Betrachten entweder in einen Kind- oder Geek-Modus. Spaß an Fetisch-Outfits mit Neonstreifen kann ebenfalls nicht schaden… :o)
PLATTE DREIDIMENSIONALITÄT
TRON LEGACY ist einer der derzeit zahlreichen Film in 3D. Wäre das wirklich zwingend notwendig gewesen? Meiner Ansicht nach nicht, durch die Tatsache, dass die gesamte Optik bis ins letzte konsequent und stimmig durchkonstruiert wurde, hätte man auf diese technische Spielerei verzichten können, weniger Spaß hätte ich deswegen nicht gehabt.
Dennoch: mir hat ausgesprochen gut gefallen, dass man bei der Verwendung der 3D-Effekte extrem sparsam vorgegangen ist. Angesichts der rein digitalen Szenerie wäre es denkbar gewesen, dass die Render-Spezialisten hier alles gegeben und uns die Brechreiz-erregenden plastischen Bits und Bytes nur so um die Augen gehauen hätten – darauf wurde zugunsten eines spärlichen aber gezielten Einsatzes der 3D-Technologie glücklicherweise verzichtet. Der zustande gekommenen Effekt hat mir außergewöhnlich gut gefallen und meiner Ansicht nach unterstreicht der in weiten Teilen sparsame Einsatz der Technologie die Stilistik des Films, statt das Augenmerk auf 3D an sich zwingen zu wollen. Ein geschickter Postproduktions-Schachzug der Regie und des Schnitts, der natürlich leider dazu führt, dass viele Kinobesucher sich dahingehend äußern, dass man bei diesem Film auf 3D auch hätte verzichten können. Ich sehe das anders.
Geschickt auch der Schachzug, das Stilmittel, die Szenen in der »realen« Welt durchgehend in 2D zu präsentieren. Dadurch fällt der Unterschied zu den »Render-Kulissen« im Computer eben doch auf, auch wenn nur sparsam auf die neue Technik gesetzt wird. Witzig fand ich allerdings die Einblendung vor dem Filmstart, dass die 2D-Szenen ein gezielt eingesetztes stilistisches Mittel seine und kein Fehler. Da hatte man offenbar Angst vor dummen Kinobesuchern und Beschwerden.
Gebrauchsanleitung Punkt drei: einem großen Teil der Zuschauer dürfte 2D auch genügen, ich empfehle allerdings 3D.
Einschub: Nachdem ich bisher nur TANGLED (RAPUNZEL – FRISCH VERFÖHNT) in 3D sah und dort das Verfahren RealD zur Anwendung kam, konnte ich mir diesmal einen Eindruck über das Konkurrenzprodukt Digital 3D verschaffen. Letzteres funktioniert im Gegensatz zum anderen System (das mit klaren Polfilterbrillen arbeitet) mit aktiven Shutterbrillen. Die Gläser sind deutlich abgedunkelt und werden über externe Impulse getaktet geschaltet, um den 3D-Effekt zu erzeugen.
Für mich ist klar: nie wieder Digital 3D. Die getönte Brille nimmt dem Film deutlich an Helligkeit, sie ist viel zu klobig und schwer und passt nicht vernünftig vor eine bereits vorhandene Brille. RealD ist die qualitativ wie ergonomisch eindeutig vorzuziehende Variante.
Gebrauchsanleitung DreiPunktFünf: Gehe in ein RealD-Kino! Vermeide Digital 3D!
KOMM´ MIR NICHT MIT HANDLUNG…
Was ich weiter oben bereits zur »Realität« des Computermärchens sagte, muss man selbstverständlich auch auf den Plot übertragen. Ja, es gibt keine intelligenten Programme im Computer, die auf ein Spielraster gescheucht werden, um dort Gladiatorenkämpfe zu bestehen. Na und?
Der Rest der Handlung ist im Prinzip zweitrangig und wird sicherlich keinen Preis für Originalität gewinnen, mich hat das aber nicht gestört. Schade fand ich, dass Konfliktszenen zwischen Flynn senior und Flynn junior verschenkt wurden, allzu schnell hatte Sam die zwanzigjährige Trennung überwunden und hingenommen, hier hätte ich mir etwas mehr gewünscht. Auch die philosophischen Ansätze wirkten stellenweise etwas aufgesetzt und zwei, drei Dialoge hätte man sich auch sparen oder vielleicht etwas mehr in Richtung Matrix anlegen können, aber na gut.
Gestört hat mich die etwas lineare und vorhersehbare Handlung allerdings nicht wirklich, denn es hätte viel schlimmer kommen können und insbesondere im Zusammenspiel mit der optischen Opulenz war die Aufmerksamkeit ohnehin nicht so sehr auf Handlung und Dialoge gerichtet wie in anderen Filmen. Zusammenfassend hat mich nichts wirklich gestört oder geärgert.
Jeff Bridges hält sich in einer Mischung aus depressivem Gefangenen seiner eigenen Kreation, Zen-Meister und Obi-Wan Kenobi merklich zurück und hat kein Problem damit, Garrett Hedlund und Olivia Wilde – und damit der nächsten Generation – die Arena zu überlassen.
In der Nachschau hätte ich mir allerdings deutlich mehr Humor gewünscht, die wurde im direkten Vergleich mit TRON leider zu spärlich eingesetzt und der zugegeben schräge CASTOR war hier kein Ausgleich. Das hätte aber wahrscheinlich nicht zur deutlich düstereren Grundstimmung von LEGACY gepasst. Brilliant allerdings unter anderem ein paar der Namen und das alte Light Cycle in Flynns virtuellem Appartement, insbesondere mit Quorras Anmerkung »Vintage«… :o)
Gebrauchsanleitung Punkt vier: Sei Dir darüber im Klaren, dass es hier primär um die Bilder geht. So richtig schlecht ist die Handlung aber auch nicht.
IST DAS DER C.L.U.?
Höchst gespannt war ich auf die digitale Verjüngung von Jeff Bridges, was man in den Trailern bereits sehen konnte, war ja beeindruckend. Auf der großen Leinwand war der Effekt immer noch verblüffend, man konnte allerdings deutlich erkennen, dass hier gerendert wurde, auch wenn Gesicht und Mimik mittels Motion-Capturing direkt vom Schauspieler selbst kamen. Die Idee, eine digitale Fassung des Helden als Gegenspieler zu nutzen ist natürlich brilliant und es ist anzunehmen, dass die Technik entweder noch verbessert werden wird – oder dass sie schon besser ist und man die Darstellung mit Absicht ein wenig verschlechtert hat, um die Künstlichkeit des Charakters C.L.U. zu unterstreichen. Möglich wär’s.
Gebrauchsanleitung Punkt fünf: fällt wegen Irrelevanz aus.
SYNTHETISCHE SZENARIEN, SYNTHETISCHE MUSIK
Ich hatte vor dem Kinobesuch etwas Angst wegen der Filmmusik, denn Daft Punkt ist eigentlich so gar nicht meins, ich stehe bei Filmen eher auf den üblichen Orchester-Bombast, alternativ auf Rockmusik. Dabei bin ich guter elektronischer Musik gegenüber gar nicht abgeneigt, ich hatte eine Menge Jean Michel Jarre als Langrille im Schrank stehen und habe in meiner Jugend der Sendung »Schwingungen« im WDR-Radio gelauscht, in der Neues aus der elektronischen Musik vorgestellt wurde – Tangerine Dream und so, ihr versteht?
Moderne elektronische Musik ist mir aber zu oft stumpfes »Umpf Umpf« statt fein gewobener Klangteppich und trifft nicht meinen Geschmack.
Was jedoch schon für TRON galt gilt auch für TRON LEGACY: es passt selbstverständlich nur elektronische Musik zum Thema und Daft Punkt haben sich alle Mühe gegeben, nicht ein weiteres Album abzuliefern, sondern einen Film-Soundtrack. Das war auch erfolgreich, denn ich muss zugeben, dass mir der teils orchestrale, teils treibende Sound gut gefiel und auch prima zu den Bildern passte. Als besonderer Gag wurde das französische Duo dann auch folgerichtig als DJs in CASTORs »End Of Line-Club« eingesetzt… Meine Sorgen waren unbegründet und der Soundtrack steht auf der Kaufliste.
Gebrauchsanleitung Punkt sechs: Coole und sehr passende Mucke, auch wenn man sonst nicht auf Daft Punk steht…
GEBRAUCHSANLEITUNG FAZIT
Ich könnte noch so Einiges schreiben, aber dann würde der Artikel die ergonomische Länge im Netz deutlich überschreiten. Als Fazit für mich: trotz kleiner Handlungsschwächen absolut sehenswerter Film, den ich mit großer Sicherheit nochmal im Kino goutieren und ganz bestimmt auch auf Silberscheibe kaufen werde. Aber ich bin auch ein Geek und Fan des ersten Teils seit ich ihn damals im Kino und noch diverse Male von Konserve sah. Wer das ebenfalls ist, wird übrigens haufenweise Ostereier in TRON LEGACY finden..
Zwingend muss man sich auf ein ultra-stilisiertes, knallbuntes Computermärchen-Spektakel, eine digitale ALICE-Variante auf Acid, einlassen, wer dazu nicht bereit ist, seine Fantasie nicht spielen lassen möchte oder vielleicht sogar verzweifelt nach Anspruch oder erhobenem Zeigefinger suchen will, der sollte das lieber bleiben lassen und das Kino in diesem Fall meiden statt zum Spielverderber zu werden.
Alle anderen bekommen ein perfekt durchgestyltes digitales Abenteuer, das man sich im Kino keinesfalls entgehen lassen darf, und abweichend davon was manch anderer schreibt, bin ich sogar der Ansicht, man sollte ihn in 3D sehen – eben WEIL er im Gegensatz zu anderen Vertretern gekonnt sparsam Gebrauch von der Technik der plastischen Bilder macht.
TRON LEGACY
Regie: Joseph Kosinski
Produzenten: Sean Bailey, Jeffrey Silver und Steven Lisberger
Drehbuch: Adam Horowitz und Edward Kitsis
Story von Adam Horowitz, Edward Kitsis, Brian Klugman und Lee Sternthal, basierend auf Charakteren von Steven Lisberger und Bonnie MacBird
Besetzung: Jeff Bridges, Garrett Hedlund, Bruce Boxleitner, Olivia Wilde, Michael Sheen, James Frain, Beau Garrett u.v.a.
Musik: Daft Punk
Cinematografie: Claudio Miranda
Schnitt: James Haygood
Studio: LivePlanet, Sean Bailey Productions
Distribution: Walt Disney Pictures
USA 2010
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