Relativ selten besuchte ich jedoch reine SF-Cons, abgesehen von einmal SF-Tage NRW (oder so ähnlich) in Düsseldorf – aber das war in grauer Vorzeit, ich erinnere mich an ein Vorführung des nagelneuen MOON 44 (1990) und dass Terry Pratchett ein brillianter Gaststar war. Vor ungefähr zwei oder drei Jahren war ich dann erstmalig auf einem ColoniaCon, wenngleich dort nach meinem Eindruck eher der Heftroman zentrales Thema ist, denn die »reine Lehre der SF«. :o) Bei schönstem Wetter machte ich mich aus der Diaspora in Remscheid auf den Weg gen Dortmund, im dortigen Fritz Henssler-Haus – kaum zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt – sollte das Ganze stattfinden. Schwer zu finden war die Lokation tatsächlich nicht.
An der Kasse nahm man mir dankenswerterweise ab, dass ich Newbie bin, und konnte deswegen eine vergünstigte Noob-Karte erwerben.
Schon vorher traf ich allerdings erstmal an der Ampel vorm Conlokal André Wiesler mit dem ich gern später noch ein paar Worte gewechselt hätte, aber irgendwie kam es dann aufgrund des vollen Programms und diverser andere Gespräche nicht dazu. Am Eingang fand ich nämlich schon Manfred Müller (samt Söhne) vom Fandom Observer, den ich auch bereits gefühlte hundert Jahre aus Follow kenne. Kurz darauf stolperten auch schon Susanne und Sean O’Connell über mich – endlich haben wir und mal persönlich getroffen – noch einen Moment später fand uns an diesem Tisch auch Ju Honisch.
Der erste Blick im Eingangsbereich fiel auf reichlich vorhandene Möglichkeiten, seine schwer verdienten Credits in Lesestoff (und SF-Devotionalien jeglicher Couleur) umzuwandeln; nur aufgrund einer schier unmenschlichen Willensanstrengung zu der ansonsten nur hochrangige Psioniker in der Lage sind, konnte ich mich zurück halten und nichts erwerben. Zudem spukte mir die Tatsache deutlich im Hinterkopf herum, wie viele unbedingt zu goutierende Rezensionsexemplare sich hier auf der Brücke der U.S.S. PhantaNews noch stapeln und wie viele PERRY RHODAN-Romane ich im Rückstand bin… Also Finger weg!
Gut dass ich mir zuvor am heimischen Computer noch eine Programmübersicht ausgedruckt hatte, denn in der im SF-Fandom offenbar obligatorischen Contasche fand ich gleich noch eine. Auch ein Raumplan war vorhanden, der verortete allerdings Räume an anderen Stellen, als sie sich physikalisch befanden, wahrscheinlich eine üble 5D-Raumverkrümmung oder eine unerwartete Versetzung in ein Paralleluniversum, das hätte man mir aber am Eingang sagen können… ;o)Überhaupt ist anzumerken, dass bestimmte Räume besser hätten ausgeschildert werden können, aber vielleicht ist das nur Gemaule eines Uneingeweihten und der Großteil der Besucher fand sich gewohnheitsmäßig zurecht. Für Neulinge sollten die Veranstalter aber tatsächlich insbesondere die Ausschilderung der Räume nochmal überdenken. Das »Filk«-Zimmer errang ob seiner abgelegenen Lage fast schon den mystischen Status einer Legende… :)
Der Samstag war vollgestopft mit Programmpunkten, die in drei Räumen gleichzeitig stattfanden: Im Kinosaal, dem direkt daneben liegenden »Nebenraum« (Subraum – Hyperraum – Nebenraum?) und im Raum 112, der eine Etage höher zu finden war. Hier sollten auch die für mich interessanten Veranstaltungen ihren Lauf nehmen.
Mein zusammengestelltes Programm startete dann auch nach einem Kaffee gleich in 112 mit der Lesung Sean O’Connells, der aus seinem Roman und Hörbuch TIR NA NOG vortrug. Wer damit nichts anfangen kann, der sei auf meine Artikel zu diesem Buch ebenso verwiesen, wie auf die Rezension und das Interview mit Sean. Ich kannte das was gelesen wurde also schon, aber es ist doch immer nochmal was anderes, wenn so etwas vom Autoren selbst vorgetragen wird.Zur Auffrischung oder für diejenigen die bis dato unbeleckt sind hier nochmal ein Klappentext:
Meister Aki und sein junger Schüler Cornelis begeben sich auf die Suche nach den letzten Geheimnissen der Welt. Sie treffen auf kleine schwarze Puppen, die den Verstand ihrer Wirte beherrschen, auf Metamorphen, die die Gestalt ihrer Opfer annehmen, auf eine furchtbare Kreatur sowie auf eine Gruppe Unsterblicher, die vor dem Untergang der Erde Zuflucht am ungewöhnlichsten Ort des Universums gefunden hat:
Auf der geheimnisvollen Insel Tír na nÓg.
Gleichzeitig fand im Kino die Lesung André Wieslers statt, der ich ebenfalls gern beigewohnt hätte, ein Problem, das mich an diesem Tag noch öfter treffen sollte. Eventuell sollten die Veranstalter darüber nachdenken, das Programm etwas zu straffen, damit man sich nicht zu jeder Zeit zwischen drei möglichen Programmpunkten entscheiden muss. Das ist nämlich sehr schade und auch ein wenig unfair gegenüber denjenigen, die sich mit ihren Vorträgen eine Menge Mühe geben und nur von Teilen des Publikums gesehen werden können. Auf der anderen Seite sind viele Programmpunkte natürlich auch was Feines, vielleicht kann man den Con auf ein verlängertes Wochenende legen oder die Lesungen auf eine halbe Stunde verkürzen, um mehr Publikum zu erreichen.
Gleich nach Sean übernahm Ju Honisch die … äh … »Bühne«, die aus ihrem jüngst bei Feder & Schwert erschienenen Werk JENSEITS DES KARUSSELLS las. … Moment, »las« wird dem Vortrag nicht ansatzweise gerecht, eigentlich sollte man diese Lesung eher als »Performance« bezeichnen«, denn Ju liest nicht, sie rezitiert in Form eines Hörbuches, verleiht jedem Charakter eine eigene Persönlichkeit und stellt den Inhalt des Buches dar. Ich kann nur jedem ans Herz legen, sich das mal anzusehen, wenn die Gelegenheit besteht!Klappentext zu JENSEITS DES KARUSSELLS:
München 1867. Wenn man siebzehn ist, sollte das Leben weitaus mehr Spaß machen als das Cattys. Statt Bälle und Romanzen bestimmen Alpträume und Verfolgung ihr Dasein. Niemand außer ihr ahnt die Gefahr. Niemand hört ihr zu – und sie selbst ist möglicherweise längst nicht mehr zu retten. Sehr viel angenehmer ist das Dasein Thorolf Treynsterns, eines jungen Künstlers und Bohemiens mit interessanten Freunden, der sich um nichts Sorgen machen muss – denkt er. Doch dann tritt das Grauen in sein Leben, und mit einem Mal ist nichts mehr, wie es war. Nicht er selbst, nicht die Welt, wie er sie kannte und auch nicht das Mädchen, das er retten wollte. Zusammen mit seinem Mitbewohner Ian McMullen, einem Studenten des Arkanen, wird Thorolf Teil eines Schachspiels zwischen Mächten, die weit über das menschliche Fassungsvermögen hinausgehen.
Nach der eigentlichen Lesung folgte noch eine unterhaltsame Fragestunde, in der die Zuhörer mehr über Recherche, historisches Fleckensalz und zuerst in englischer Sprache verfasste Romane erfahren konnten. Zudem erzählte Ju über die Unmöglichkeit, als deutscher Autor Romane ins englischsprachige Ausland zu verkaufen. Darüber muss ich mit ihr nochmal reden…
Dann musste ich mich erneut entscheiden, denn sowohl Leo Lukas wollte ich aufgrund von Erzählungen unbedingt sehen, aber auch der Vortrag zum deutschen Independent-SF-Spektakel NYDENION interessierte mich eigentlich sehr. Nach kurzer Überlegung gewann dann aber aufgrund der Einsicht, dass ich NYDENION immer noch sehen und Informationen auch anderswo bekommen konnte, Leo Lukas. Ein sehr smarte Entscheidung, wie sich herausstellte.Lukas ist nicht nur PERRY RHODAN-Autor, sondern auch Kabarettist. Das merkt man auch zu jeder Zeit seines Vortrags, auch hier bekommt man nicht einfach nur eine Lesung geboten, es gab auch Schüttelreime, Aphorismen und Philosophisches. Dazwischen fand sich aber tatsächlich auch noch Zeit für zwei SF-Shortstories, beide Lukas-typisch ein wenig schräg und höchst unterhaltsam. Und so unterschiedlich wie Tag und Nacht.
Auch hier der unbedingte Rat: Man sollte sich eine Performance des Österreichers auf gar keinen Fall entgehen lassen, wenn man die Möglichkeit dazu hat – es lohnt sich.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt kam mir dann die Idee, mir ein Messingschild mit meinem Namen auf dem Stuhl anbringen zu lassen, denn ein schneller Blick ins Programm belehrte mich, dass ich mich noch ein wenig länger und öfter im Raum 112 aufhalten würde. Gleich nach Leo Lukas folgte hier nämlich schon wieder ein Programmpunkt, an dem ich teilhaben wollte: mehrere Autoren-Lesungen aus der von Susanne O’Connell herausgegebenen Kurzgeschichtensammlung AVATARE, ROBOTER UND ANDERE STELLVERTRETER.
Logischerweise steht auch diese Anthologie unter dem Oberthema Phantastik, aber die Bandbreite der darin vertretenen Genres ist groß – ebenso groß wie die der Phantastik eben. SF, Horror, Historie, Fantasy und auch schwer einzuordnende Facetten werden darin geboten und auch die vorgetragenen Texte stellten einen Querschnitt durch (Sub-)Genres und Stile dar.Das Geheimnis einer rätselhaften Truhe, Puppenmonster, ein Kelpie an der schottischen Küste, Kalkis Vernichtungszug, das Schicksal eines Inquisitors, ein Mythos-Virus, Nietzsches Krähen…
31 Geschichten rund um Roboter, Klone und Avatare – die Stellvertreter verschiedenster Wesen, vor allem aber einer wahrlich bedrohten Lebensform: des Menschen.
So unterschiedlich wie die Stories waren auch die vortragenden Verfasser, nur als »gutes Marketing« kann man bezeichnen, dass die Lesungen in aller Regel vor der Pointe abgebrochen wurden und man auf das Buch hinwies. ;o)
Glücklicherweise hatte ich nach diesem Programmpunkt erst einmal eine Stunde Zeit und war in der Lage den Raum 112 (mit dem ich wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt bereits ein symbiotisches Verhältnis eingegangen war) zu verlassen und mich ein wenig umzusehen (und endlich mal einen Happen zu essen). Natürlich verflog diese Stunde Zeit mit Schwätzchen und Fachsimpelei wie im Fluge und nach gefühlten Minuten ging es schon wieder die Treppe rauf, denn es stand Miriam Pharos Lesung aus den »Near Future«-Krimis SCHLANGENFUTTER und SCHATTENSPIELE unter dem Titel »Leben und Sterben in der Megacity« an (der dritteAuszug Klappentext SCHLANGENFUTTER:
Die Europäische Föderation im Jahr 2066: Die einstigen blühenden Hansestädte im Norden existieren nicht mehr. Hamburg ist ein Nobelbezirk von Hanseapolis einer Megacity mit über 20 Millionen Einwohnern, die Lübecker Region eine riesige Industriezone. Dass die Cops 72 Stunden und mehr am Stück Dienst tun, ist keine Seltenheit. Denn Hanseapolis schläft nie.
An einem heißen Februarmorgen wird im Sumpf außerhalb der Stadt eine verstümmelte Leiche gefunden. Louann Marino, neu im Morddezernat von Hanseapolis, und ihr zynischer Partner Elias Kosloff nehmen die Ermittlungen auf. Die Spuren führen das ungleiche Paar in die stillgelegten U‑Bahn-Schächte unterhalb der glitzernden Metropole. Zur selben Zeit erhält Cedric Dunn, Reporter des Yahoogle Investigation Network, kurz YIN genannt, einen heißen Tipp: Ein Informant will über Korruption und illegale Prostitution auspacken. Ein Nummernkonto aus Singapur ist der Schlüssel, doch der heimliche Zugriff auf die gesperrten Daten bleibt nicht unbemerkt. Ein Wettrennen gegen die Zeit beginnt…
Der gelesene Querschnitt durch verschiedene Kapitel der beiden Romane war dann auch sehr erhellend und verursachte definitiv Lust auf mehr. An die Lesung schloss sich eine kleine, kurzweilige Fragerunde an, in der geklärt wurde, dass es sich eigentlich gar nicht – wie von mir angenommen – um »Cyberpunk« in dem Sinne handelt, wie real semipermeables Aluminium tatsächlich ist oder was Frédéric Chopins PRELÚDES mit den Romanen zu tun haben…
Nach diesem Vortrag endlich erneut die Zeit nutzen, um Schwätzchen zu halten und allgemein herumzusozialisieren. ;) Die sogenannte »Abend-Show« war dann aufgrund der drögen Conferénce und der unverständlichen Hintergrundgeschichte (Sonntag 16:00 Uhr geht die Welt unter) – na sagen wir mal vorsichtig »ein wenig spröde« – und meiner Meinung nach hätte diesem Programmpunkt mehr Vorbereitung und weniger Improvisation gut getan. Highlight waren hier eindeutig die Filk-Einlagen von Ju Honisch, Katy Dröge-McDonald und Co. Leider verschwand die Filk-Crew kurz darauf erst einmal zum ausgedehnten Abendessen zum Australier und wollte erst danach im legendären Filk-Raum wieder loslegen, ich ahnte allerdings schon, dass ich bis dahin nicht mehr anwesend sein würde, zumal mein Plan war, mir zumindest den Anfang des für 20:00 Uhr angekündigten Poetry Slams unter der Leitung der Wuppertaler Wortpiraten André Wiesler und David Grashoff (Veranstalter des Wortex-Slam in der Wuppertaler Börse) ansehen zu wollen. Das war dann auch ein weiteres Highlight des Tages, insbesondere der Opener außer Konkurrenz von David »Grasi« Grashoff unter dem Titel »aus dem Tagebuch von Darth Vader« war ein echter Knüller. Weitere Beiträge die ich danach von noch von verschiedenen Vortragenden sehen konnte schwankten zwischen hörenswert, ganz witzig und »naja«. Es reicht eben nicht, seinen Slam-Text mit Gewalt auf ein SF-Publikum zu drillen, das wirkt aufgesetzt, egal wie hoch die Penisdichte ist… :o)Dann musste ich allerdings leider schon wieder los, denn ich kenne die Zuverlässigkeit der Deutschen Bahn hier in der Gegend und hatte etwas Sorge, die Nacht auf einer unbequemen Bank auf irgendeinem abgelegenen Bahnhof verbringen zu müssen, wenn ich noch bliebe.
In der Rückschau hat sich der Besuch gelohnt, denn der Con war ganz unterhaltsam, wenngleich er stellenweise ein klein wenig angestaubt wirkte (aber das ist wohl im SF-Fandom so, wie mir berichtet wurde) und die Nerd-Dichte sehr hoch war – aber das widerum ist zu erwarten. :o) Die von mir besuchten Lesungen und Vorträge waren aber prima und besonders gefreut hat mich, Susanne und Sean O’Connell endlich mal persönlich kennen zu lernen. Ich hoffe, wir können das beizeiten mal wiederholen, dann aber mit deutlich mehr Zeit zum Schwatzen. Bis dahin müssen wir halt weiter Twitter und Facebook quälen.
Zum nächsten Termin (in 2013) werde ich wohl wieder gen Dortmund reisen – dann vielleicht auch mit einer Bleibe vor Ort, um zusammen mit Freunden an den abendlichen Verlustierungen teilhaben zu können (wenn ich das Filk-Zimmer finden sollte). :o)
ENDE
Links zu den oben besprochenen Werken:
JENSEITS DES KARUSSELLS – Ju Honisch
AVATARE, ROBOTER UND ANDERE STELLVERTRETER – herausgegeben von Susanne O’Connell
SCHLANGENFUTTER und SCHATTENSPIELE von Miriam Pharo
Nachtrag: Hier ein Bericht von muellermanfred auf FandomObserver.de
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Ein sehr schöner Bericht! :) Ich habe nur eine kleine Anmerkung: Der drittel Teil meiner Hanseapolis-Reihe wird nicht der letzte sein.
I stand corrected! :)
Finde den Bericht – wie so viele deiner Berichte – ebenfalls klasse und wollte nur ergänzen, dass die Storys nicht aus Marketinggründen vor der Pointe abgebrochen wurden, sondern weil uns die Veranstalter nochmals eindringlich darauf hingewiesen hatten, dass wir die 45 Minuten des Zeitpanels nicht überschreiten sollten. Aber du hast Recht, manch einer von uns hat dies dann genutzt um darauf hinzuweisen, dass die ganze Story im Buch zu lesen sei :)
Na klar, das war auch nicht so ernst gemeint, deswegen der Smilie am Ende des Satzes. Ich habe jetzt zusätzlich noch das Marketing mit Anführungszeichen versehen. Zusammen mit diesen beiden Kommentaren sollte dem unvorbereiteten Leser dann alles klar sein!
Lieber Stefan, ich wollte nur darauf hinweisen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich das bei meinen Begrüßungsworten erwähnt hatte. Aber so oder so danke für die Anführungszeichen :)