Gerade einmal zwei Seiten kurz ist James Thurbers Geschichte um den Tagträumer Walter Mitty, die 1939 im New Yorker erschien. Und Thurber war alles andere als erfreut über das, was acht Jahre später als Verfilmung auf den Markt kam. Seine eher düstere Geschichte wurde zu einer beschwingten Hollywood-Komödie. James Thurber hätte sicherlich auch keinen Gefallen daran gefunden, was Steve Conrad unter dem Titel THE SECRET LIFE OF WALTER MITTY als Drehbuch verfasst hat. Ähnlich der Verfilmung von 1947 sind lediglich der Titel und Charaktername geblieben. Und natürlich die Tagträume. Der schüchterne und introvertierte Junggeselle, der sich die Abenteuer seines Lebens erträumen muss, und wegen seiner ständig abwesenden Art noch weniger ernst genommen wird. Sieht man sich den gewaltigen Leidensweg dieser Verfilmung an, bei der über lange Jahre viele verschiedene Darsteller in die engere Wahl fielen, sich mindestens fünf Regisseure für das Projekt interessierten, und Drehbücher etliche Male umgeschrieben wurden, hätte jeweils ein ganz anderer Film entstehen können. Zum Glück ist es dann so gekommen, wie das Endresultat nun aussieht und erzählt wird.
Das Life Magazin wurde verkauft, in wenigen Wochen soll die letzte Printausgabe erscheinen. Star-Fotograf Sean O´Connell hat für dieses letzte Heft ein ganz besonderes Bild vorgeschlagen, das er seine »Essenz« nennt. Doch Walter Mitty als Leiter des Negativ-Archivs kann das als »Nummer 25« bezeichnete Negativ nicht finden. Mit Unterstützung von Cheryl, die von Walter heimlich verehrt wird, versucht der Archivar mit Sean O´Connell Kontakt aufzunehmen, um an das Negativ zu gelangen. Doch der Fotograf ist schon wieder außer Landes, und Walter Mitty bleibt nichts anderes übrig, als seine vertraute Umgebung hinter sich zu lassen. Von da an braucht sich der Tagträumer keine Abenteuer mehr ausdenken.
Ben Stiller hat sich längst als renommierter Regisseur bewiesen und kann diesen Ruf mit WALTER MITTY noch steigern. Es ist weder ein Remake, aber auch keine wirkliche Neuinterpretation der Geschichte oder des Films geworden. WALTER MITTY atmet so viel unverbrauchte Luft, dass er vollkommen für sich alleine steht, und sich sogar im Genre der Komödie einen ganz eigenen Stand schafft. Das liegt selbstverständlich nicht alleine an Stillers sicherem und gefühlvollem Inszenierungsstil. Zuerst einmal ist es das überaus raffinierte Drehbuch von Steve Conrad, welches sehr zeitgeistig unsere moderne Medienlandschaft behandelt, ohne allerdings mit platter Kritik intelligent wirken zu wollen. Und das macht ihn erst im eigentlichen Sinne wirklich intelligent. In Zeiten des Internets, wo selbst Blätter wie das Life Magazin auf Online umstellen, ist es diese eine Negativ 25, welches beweist, dass das Internet noch lange nicht alles ersetzen kann. Aber der Film vermeidet strikt, für eine bestimmte Seite zu tendieren. Warum auch. Natürlich hat es etwas herrlich Romantisches, wenn Sean O´Connell der letzte Star-Fotograf ist, der noch mit Negativfilm arbeitet. Aber darum geht es im Drehbuch nicht, und erst recht nicht in Stillers Inszenierung.
Wir müssen Mensch bleiben, meint Stiller, wir dürfen nicht den Blick für unsere Mitmenschen verlieren. Der Mann beim Telefon-Support von Walters Partnervermittlungsseite kann dem zurückhaltenden Tagträumer erst wirklich helfen, als sich beide leibhaftig gegenüberstehen. Dass Stiller die Komik nicht überstrapaziert fokussiert den Zuschauer verstärkt auf die Figuren. Selbst dass die neue Führungsriege des frisch gegründeten Life-Online alle die selbe Gesichtsbehaarung tragen, ist ein Witz, der erst nach und nach auffällt, also nicht mit dem Holzhammer präsentiert wird. Walters Träumereien sind flott und übersteigert inszenierte Actionsequenzen, die auffallend am Computer generiert wurden, um den Kontrast zur Wirklichkeit zu verdeutlichen. Sie sind kurz und prägnant, und nehmen sehr wenig Zeit von der eigentlichen Geschichte, um dann vollständig zu verschwinden, wenn Walter seine Hetzjagd um den halben Globus beginnt. Hier setzt auch die eigentlich größte Überraschung dieses Films ein, der mit seinen abenteuerlichen Geschehnissen, sehr viel Poesie entwickelt. Das hat allerdings nichts mit Kitsch und Tränen zu tun. Aber der Zuschauer hat zu diesem Zeitpunkt alles über Walter Mitty verstanden, der nie ein überzeichneter Spinner war, dafür ein liebenswerter Sonderling, mit dem man fühlt.
Am Ende wird Walter Mitty kein anderer Mensch sein. Nicht in dem Sinne, wie andere Komödien diese Entwicklung umgesetzt hätten. Vom Duckmäuser zum gefestigten Helden. Nein, das hätte aus WALTER MITTY einen ganz anderen Film gemacht. Und hätte auch diese unverkrampfte, unaufgesetzte Poesie nicht rechtfertigen können, mit der Ben Stiller dennoch die Komödie nicht aus den Augen verloren hat, mit all den wunderbaren Abenteuern, die Walter Mitty sich nicht erträumen könnte.
DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES WALTER MITTY – THE SECRET LIFE OF WALTER MITTY
Darsteller: Ben Stiller, Kristen Wiig, Jon Daly, Kathryn Hahn, Shirley MacLaine, Patton Oswald, Terence Bernie Hines, Adam Scott, Sean Penn, Ólafur Darri Ólafsson u.v.a.
Regie: Ben Stiller
Drehbuch: Steve Conrad, nach der Geschichte von James Thurber
Kamera: Stuart Dryburgh
Bildschnitt: Greg Hayden
Musik: Theodore Shapiro
Produktionsdesign: Jeff Mann
zirka 114 Minuten
USA 2013
Bildrechte: Twentieth Century Fox