TÍR NA NÓG war ein erfrischender Fund: ein Crossgenre-Mix, der sich den bei den Publikumsverlagen so beliebten Schubladen erfreulicherweise verschloss und trotz seiner zahllosen Versatzstücke aus diversen Genre-Spielarten dennoch homogen wirkte und nicht nur höchst lesbar sondern auch äußerst unterhaltsam war.
Umso gespannter war ich auf die Fortsetzung TÚATHA DÉ DANANN, leider fehlte mir allerdings die Zeit mich sofort ans Lesen zu begeben, als der erste Band des Zweiteilers erschienen war. Das hatte allerdings den Vorteil, dass ich nun beide gleich am Stück lesen konnte.
Warnung: diese Rezension enthält Spoiler. Ich versuche so etwas üblicherweise zu vermeiden, hier lässt sich das allerdings nicht ganz umgehen.
In TÚATHA DÉ DANANN verlagert sich die Handlung um Cornelis, Raggah und ihre Begleiter auf den Südkontinent, dorthin fliehen auch viele Bewohner der Nordländer auf der Flucht vor der Entropie, die das Land immer zerstört – und letztendlich auch die Südländer vernichten wird, sollte sich kein Weg finden, das zu unterbinden.
Zudem steht die Wiedergeburt des Gottes Cu Chulainn und damit die Rückkehr der TÚATHA DÉ DANANN unmittelbar bevor. Und hier ergibt sich einer der unerwarteten Twists der Handlung, denn man muss erkennen, dass die »Schöpfungskuhle«, in der die Länder der Romane sich befinden, keinesfalls von den Älteren – eben ehemaligen Wissenschaftlern von der Erde – erschaffen wurde, um die Menschen der von einer Katastrophe epischen Ausmaßes bedrohten Erde zu retten, sondern bereits vorher existierte. Es handelt sich um eine parallele Welt, die offenbar identisch ist mit dem mythologischen sidhe, in das die Túatha Dé Danann gemäß der keltischen Überlieferungen verbannt worden waren. Als die flüchtende Menschheit in diesen parallelen Raum kam (und die Älteren ihn nach ihren Vorstellungen gestalteten), wurde das alte Volk vertrieben und bereitet sich nun auf die Rückkehr vor.
Das war für mich tatsächlich eine unerwartete Wendung, den bisher war ich nach den Erläuterungen des Vorromans davon ausgegangen, dass die Älteren, allen voran Juri-Hiro Ramnarough, tatsächlich in der »Schöpfungskuhle« eine neue Welt nach ihren Vorstellungen geschaffen hatten. Tatsächlich handelt es sich aber nur um einen Teil des Multiversums, der bereits vorhanden war und »nur« umgestaltet wurde. Grandiose Idee.
Der erste Band spielt zum großen Teil in Sternenheim, einem riesigen Stadtmoloch in einem See, der deutliche Parallelen zum heutigen New York aufweist. Dort stehen zum einen Wahlen an, die witzigerweise mit einem schwarzen Hosenanzug bekleidete Kanzlerin bereitet sich auf die Wiederwahl vor, die Bestie Ereschkigal saugt Bewohnern ihren Geist aus und gleichzeitig soll hier Cu Chulainn neu erstehen.
Die Beschreibungen um Sternenheim sind äußerst dicht und trotz der heftigen Diskrepanzen zwischen Low-Tech Schrottmännern, LED-Beleuchtung und Polizisten mit Hightech-Waffen wirkt das Ganze nie zusammen gestückelt, sondern bedrohlich real, es wird eine überaus dichte und bedrückende Atmosphäre aufgebaut, die ihre Plastizität aus den zahllosen Detailbeschreibungen bezieht. Eindrücklich wird hier klar gemacht, dass der größte Teil der Menschen kaum mehr als Spielbälle im Wirken weit größerer Mächte sind.
Etwas gestört hat mich die Tatsache, dass die Handlung sich auf viele Protagonisten und Antagonisten aufteilt und ebenso viele Handlungebenen besprochen werden. Mir war das fast zuviel, auf der anderen Seite sorgte das natürlich dafür, dass nie Langeweile aufkam.
Meiner Ansicht nach ist Band eins – STERNENHEIM – erzählerisch der stärkere der beiden Abschlussromane. Das liegt aber in der Sache, da in Band zwei zum Abschluss gekommen werden muss und viele – fast schon zu viele – lose Fäden zusammengefügt werden müssen.
Im letzten Roman verschiebt sich die Handlung in die Nekropole Bella Constanzia, hier kommt es zur abschließenden Schlacht zwischen den menschlichen Flüchtlinge, den Älteren sowie selbstverständlich Raggah – und Cornelis, dem Auserwählten – gegen die Tùatha de Dànann. Sean verpasst uns noch ein paar Augenöffner, was Charaktere und Entitäten angeht, persönlich muss ich zugeben, dass es fast zu viele dei ex machina waren, die eingesetzt wurden, um die Story zu einem Ende zu bringen.
Als Fazit ist zu sagen, dass weiterhin kurzweilige, anspruchsvolle Unterhaltung geboten wird, die sich insbesondere ob ihrer Breitbandigkeit weit über vieles erhebt, was uns die Publikumsverlage als Phantastik verkaufen wollen. Das Spiel mit uralter Mystik verknüpft mit Wissenschaft und der Frage, wie weit der Mensch mit eigenen Schöpfungen gehen kann, weiss zu faszinieren und wirft zudem etliche ethische und psychologische Fragen auf.
Ich muss allerdings zugeben, dass mich der letzte Roman auch stellenweise leider etwas ratlos zurücklässt. Denn zum einen verändert sich der Fokus unerwartet erheblich und aus dem exakt abgegrenzten Gebiet der Schöpfungskuhle als Handlungsort wird plötzlich ein multiversaler Ansatz. Und in diesem Universum agieren zwei polare Kräfte, die Gestalter und die Entropen, wie sie uns unter anderen Namen auch anderswo im Genre bereits begegnet sind: Ordnung und Chaos oder Kosmokraten und Chaotarchen, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Das geht allerdings noch völlig in Ordnung, denn diese Fokusverschiebung ist unerwartet und sorgt dafür, dass die Romane frisch und interessant bleiben.Was mich allerdings wirklich gestört hat, ist dass nicht genauer beleuchtet wurde, wass denn nun genau vor 1000 Jahren passiert ist, was die Katastrophe war, die die Erde zwerstört hat und wie die Menschen in die Schöpfungskuhle gelangten.
Nachdem es in TÍR NA NÓG immer wieder mal kleine Einschübe gab, in denen auf Geschehnisse vor dem Kataklysmus eingegangen wurde, hätte ich es mir gewünscht, dass in solchem Rahmen auch die damaligen Geschehnisse nochmals beleuchtet worden wären. Doch da gibt es nur Andeutungen – und das finde ich überaus schade, denn ich gehe davon aus, dass die Forschungen der Älteren auf der Erde für die Katastrophe überhaupt erst verantwortlich waren.
Ein weiterer Kritikpunkt ist für mich die Art und Weise, wie Sean sich diverser Handlungsträger entledigt hat. Die hatten zwar meistens »wichtige Dinge« zu tun, wurden aber dennoch leider gefühlt »im Vorbeigehen« getötet. Hier hätte ich mir mehr Raum für diese Protagonisten und deren Abtreten gewünscht. Auf der anderen Seite musste sich das Geschehen natürlich insbesondere auf den Auserwählten Cornelis konzentrieren. Ein paar Seiten mehr hätten dem letzten Band aber gut getan …
Abschließend möchte ich auch die beiden TÚATHA DÉ DANANN-Romane jedem Phantastik-Freund unbedingt ans Herz legen. Dass insbesondere der letzte in meinen Augen nicht mehr ganz so gelungen ist wie TÍR NA NÓG, mag daran liegen, dass der Reiz des Neuen verflogen ist, und man die Welt, die Figuren und die Rahmenbedingungen bereits kennt. Aber auch mit nach meiner Ansicht kleineren Schwächen im Abschluss bleibt das Gesamtwerk herausragend und muss sich unter den zahllosen deutschsprachigen Phantastik-Büchern keinesfalls verstecken; im Gegenteil ragt die Erzählung aus dem Sumpf gleichgeschalteter und immer wieder bekannt anmutender Phantastik weit heraus. Das ändern auch die oben angesprochenen minimalen Schwächen am Ende nicht.
Es bleibt also nach wie vor der Rat: lesen! Allerdings zuerst TÍR NA NÓG, denn es ist nun einmal eine Quadrologie, deren letzte beide Teil nicht für sich allein gelesen werden können und auch gar nicht verständlich wären.
Ich gebe vier von fünf Singularitäten. :)
p.s.: ich möchte an dieser Stelle übrigens mal anmerken, dass ich es ganz großartig finde, was der Acabus-Verlag im Bereich Phantastik so alles heraus bringt. Demnächst werde ich mir endlich mal die STADT-Romane von Andreas Dresen vornehmen.
[one_half]TÚATHA DÉ DANANN – STERNENHEIM
Sean O’Connell
phantastischer Roman
Taschenbuch, broschiert
235 Seiten, EUR 13,90
Juli 2012
ISBN-10: 3862821803
ISBN-13: 978–3862821808
Acabus-Verlag[/one_half][one_half_last]TÚATHA DÉ DANANN – NEKROPOLIS
Sean O’Connell
phantastischer Roman
Taschenbuch, broschiert
185 Seiten
Oktober 2012
ISBN-10: 3862822044
ISBN-13: 978–3862822041
Acabus-Verlag[/one_half_last]
[cc]
Cover STERNENHEIM und NEKROPOLIS Copyright Acabus-Verlag, Foto Sean O’Connell Copyright Sean O’Connell
[aartikel]3862820394[/aartikel][aartikel]3862821463[/aartikel][aartikel]3862821803[/aartikel][aartikel]3862822044[/aartikel]
»Was mich allerdings wirklich gestört hat, ist dass nicht genauer beleuchtet wurde, wass denn nun genau vor 1000 Jahren passiert ist, was die Katastrophe war, die die Erde zwerstört hat und wie die Menschen in die Schöpfungskuhle gelangten. … denn ich gehe davon aus, dass die Forschungen der Älteren auf der Erde für die Katastrophe überhaupt erst verantwortlich waren.«
Davon gehe ich auch aus. Der stärkste Hinweis darauf war wohl die Sache mit Juri-Hiro Ramnarough und seinem Experiment mit diesem »Nektar« … hmmm, wo war das, Tír na nÓg, Teil 2? Das war eigentlich ziemlich deutlich.