Das Ende der Saga: Sean O’Connells TÚATHA DÉ DANANN

Vor eini­ger Zeit habe ich TÍR NA NÓG abge­fei­ert, den Phan­tas­tik-Roman von Sean O’Con­nell, der sowohl (und zuerst) als Hör­buch im Action-Ver­lag erschien und danach in zwei Bücher geteilt beim Aca­bus-Ver­lag.
TÍR NA NÓG war ein erfri­schen­der Fund: ein Cross­gen­re-Mix, der sich den bei den Publi­kums­ver­la­gen so belieb­ten Schub­la­den erfreu­li­cher­wei­se ver­schloss und trotz sei­ner zahl­lo­sen Ver­satz­stü­cke aus diver­sen Gen­re-Spiel­ar­ten den­noch homo­gen wirk­te und nicht nur höchst les­bar son­dern auch äußerst unter­halt­sam war.

Umso gespann­ter war ich auf die Fort­set­zung TÚATHA DÉ DANANN, lei­der fehl­te mir aller­dings die Zeit mich sofort ans Lesen zu bege­ben, als der ers­te Band des Zwei­tei­lers erschie­nen war. Das hat­te aller­dings den Vor­teil, dass ich nun bei­de gleich am Stück lesen konn­te.

War­nung: die­se Rezen­si­on ent­hält Spoi­ler. Ich ver­su­che so etwas übli­cher­wei­se zu ver­mei­den, hier lässt sich das aller­dings nicht ganz umge­hen.
In TÚATHA DÉ DANANN ver­la­gert sich die Hand­lung um Cor­ne­lis, Rag­gah und ihre Beglei­ter auf den Süd­kon­ti­nent, dort­hin flie­hen auch vie­le Bewoh­ner der Nord­län­der auf der Flucht vor der Entro­pie, die das Land immer zer­stört – und letzt­end­lich auch die Süd­län­der ver­nich­ten wird, soll­te sich kein Weg fin­den, das zu unter­bin­den.

Zudem steht die Wie­der­ge­burt des Got­tes Cu Chul­ainn und damit die Rück­kehr der TÚATHA DÉ DANANN unmit­tel­bar bevor. Und hier ergibt sich einer der uner­war­te­ten Twists der Hand­lung, denn man muss erken­nen, dass die »Schöp­fungs­kuh­le«, in der die Län­der der Roma­ne sich befin­den, kei­nes­falls von den Älte­ren – eben ehe­ma­li­gen Wis­sen­schaft­lern von der Erde – erschaf­fen wur­de, um die Men­schen der von einer Kata­stro­phe epi­schen Aus­ma­ßes bedroh­ten Erde zu ret­ten, son­dern bereits vor­her exis­tier­te. Es han­delt sich um eine par­al­le­le Welt, die offen­bar iden­tisch ist mit dem mytho­lo­gi­schen sid­he, in das die Túa­tha Dé Danann gemäß der kel­ti­schen Über­lie­fe­run­gen ver­bannt wor­den waren. Als die flüch­ten­de Mensch­heit in die­sen par­al­le­len Raum kam (und die Älte­ren ihn nach ihren Vor­stel­lun­gen gestal­te­ten), wur­de das alte Volk ver­trie­ben und berei­tet sich nun auf die Rück­kehr vor.

Sean O’Con­nell

Das war für mich tat­säch­lich eine uner­war­te­te Wen­dung, den bis­her war ich nach den Erläu­te­run­gen des Vor­ro­mans davon aus­ge­gan­gen, dass die Älte­ren, allen vor­an Juri-Hiro Ram­na­rough, tat­säch­lich in der »Schöp­fungs­kuh­le« eine neue Welt nach ihren Vor­stel­lun­gen geschaf­fen hat­ten. Tat­säch­lich han­delt es sich aber nur um einen Teil des Mul­ti­ver­sums, der bereits vor­han­den war und »nur« umge­stal­tet wur­de. Gran­dio­se Idee.

Der ers­te Band spielt zum gro­ßen Teil in Ster­nen­heim, einem rie­si­gen Stadt­mo­loch in einem See, der deut­li­che Par­al­le­len zum heu­ti­gen New York auf­weist. Dort ste­hen zum einen Wah­len an, die wit­zi­ger­wei­se mit einem schwar­zen Hosen­an­zug beklei­de­te Kanz­le­rin berei­tet sich auf die Wie­der­wahl vor, die Bes­tie Eresch­ki­gal saugt Bewoh­nern ihren Geist aus und gleich­zei­tig soll hier Cu Chul­ainn neu erste­hen.
Die Beschrei­bun­gen um Ster­nen­heim sind äußerst dicht und trotz der hef­ti­gen Dis­kre­pan­zen zwi­schen Low-Tech Schrott­män­nern, LED-Beleuch­tung und Poli­zis­ten mit High­tech-Waf­fen wirkt das Gan­ze nie zusam­men gestü­ckelt, son­dern bedroh­lich real, es wird eine über­aus dich­te und bedrü­cken­de Atmo­sphä­re auf­ge­baut, die ihre Plas­ti­zi­tät aus den zahl­lo­sen Detail­be­schrei­bun­gen bezieht. Ein­drück­lich wird hier klar gemacht, dass der größ­te Teil der Men­schen kaum mehr als Spiel­bäl­le im Wir­ken weit grö­ße­rer Mäch­te sind.

Etwas gestört hat mich die Tat­sa­che, dass die Hand­lung sich auf vie­le Prot­ago­nis­ten und Ant­ago­nis­ten auf­teilt und eben­so vie­le Hand­lun­ge­be­nen bespro­chen wer­den. Mir war das fast zuviel, auf der ande­ren Sei­te sorg­te das natür­lich dafür, dass nie Lan­ge­wei­le auf­kam.

Mei­ner Ansicht nach ist Band eins – STERNENHEIM – erzäh­le­risch der stär­ke­re der bei­den Abschluss­ro­ma­ne. Das liegt aber in der Sache, da in Band zwei zum Abschluss gekom­men wer­den muss und vie­le – fast schon zu vie­le – lose Fäden zusam­men­ge­fügt wer­den müs­sen.

Im letz­ten Roman ver­schiebt sich die Hand­lung in die Nekro­po­le Bel­la Con­stan­zia, hier kommt es zur abschlie­ßen­den Schlacht zwi­schen den mensch­li­chen Flücht­lin­ge, den Älte­ren sowie selbst­ver­ständ­lich Rag­gah – und Cor­ne­lis, dem Aus­er­wähl­ten – gegen die Tùa­tha de Dànann. Sean ver­passt uns noch ein paar Augen­öff­ner, was Cha­rak­te­re und Enti­tä­ten angeht, per­sön­lich muss ich zuge­ben, dass es fast zu vie­le dei ex machi­na waren, die ein­ge­setzt wur­den, um die Sto­ry zu einem Ende zu brin­gen.

Als Fazit ist zu sagen, dass wei­ter­hin kurz­wei­li­ge, anspruchs­vol­le Unter­hal­tung gebo­ten wird, die sich ins­be­son­de­re ob ihrer Breit­ban­dig­keit weit über vie­les erhebt, was uns die Publi­kums­ver­la­ge als Phan­tas­tik ver­kau­fen wol­len. Das Spiel mit uralter Mys­tik ver­knüpft mit Wis­sen­schaft und der Fra­ge, wie weit der Mensch mit eige­nen Schöp­fun­gen gehen kann, weiss zu fas­zi­nie­ren und wirft zudem etli­che ethi­sche und psy­cho­lo­gi­sche Fra­gen auf.

Ich muss aller­dings zuge­ben, dass mich der letz­te Roman auch stel­len­wei­se lei­der etwas rat­los zurück­lässt. Denn zum einen ver­än­dert sich der Fokus uner­war­tet erheb­lich und aus dem exakt abge­grenz­ten Gebiet der Schöp­fungs­kuh­le als Hand­lungs­ort wird plötz­lich ein mul­ti­ver­sa­ler Ansatz. Und in die­sem Uni­ver­sum agie­ren zwei pola­re Kräf­te, die Gestal­ter und die Entro­pen, wie sie uns unter ande­ren Namen auch anders­wo im Gen­re bereits begeg­net sind: Ord­nung und Cha­os oder Kos­mo­kra­ten und Chaot­ar­chen, um nur mal zwei Bei­spie­le zu nen­nen. Das geht aller­dings noch völ­lig in Ord­nung, denn die­se Fokus­ver­schie­bung ist uner­war­tet und sorgt dafür, dass die Roma­ne frisch und inter­es­sant blei­ben.

Was mich aller­dings wirk­lich gestört hat, ist dass nicht genau­er beleuch­tet wur­de, wass denn nun genau vor 1000 Jah­ren pas­siert ist, was die Kata­stro­phe war, die die Erde zwer­stört hat und wie die Men­schen in die Schöp­fungs­kuh­le gelang­ten.
Nach­dem es in TÍR NA NÓG immer wie­der mal klei­ne Ein­schü­be gab, in denen auf Gescheh­nis­se vor dem Katak­lys­mus ein­ge­gan­gen wur­de, hät­te ich es mir gewünscht, dass in sol­chem Rah­men auch die dama­li­gen Gescheh­nis­se noch­mals beleuch­tet wor­den wären. Doch da gibt es nur Andeu­tun­gen – und das fin­de ich über­aus scha­de, denn ich gehe davon aus, dass die For­schun­gen der Älte­ren auf der Erde für die Kata­stro­phe über­haupt erst ver­ant­wort­lich waren.
Ein wei­te­rer Kri­tik­punkt ist für mich die Art und Wei­se, wie Sean sich diver­ser Hand­lungs­trä­ger ent­le­digt hat. Die hat­ten zwar meis­tens »wich­ti­ge Din­ge« zu tun, wur­den aber den­noch lei­der gefühlt »im Vor­bei­ge­hen« getö­tet. Hier hät­te ich mir mehr Raum für die­se Prot­ago­nis­ten und deren Abtre­ten gewünscht. Auf der ande­ren Sei­te muss­te sich das Gesche­hen natür­lich ins­be­son­de­re auf den Aus­er­wähl­ten Cor­ne­lis kon­zen­trie­ren. Ein paar Sei­ten mehr hät­ten dem letz­ten Band aber gut getan …

Abschlie­ßend möch­te ich auch die bei­den TÚATHA DÉ DANANN-Roma­ne jedem Phan­tas­tik-Freund unbe­dingt ans Herz legen. Dass ins­be­son­de­re der letz­te in mei­nen Augen nicht mehr ganz so gelun­gen ist wie TÍR NA NÓG, mag dar­an lie­gen, dass der Reiz des Neu­en ver­flo­gen ist, und man die Welt, die Figu­ren und die Rah­men­be­din­gun­gen bereits kennt. Aber auch mit nach mei­ner Ansicht klei­ne­ren Schwä­chen im Abschluss bleibt das Gesamt­werk her­aus­ra­gend und muss sich unter den zahl­lo­sen deutsch­spra­chi­gen Phan­tas­tik-Büchern kei­nes­falls ver­ste­cken; im Gegen­teil ragt die Erzäh­lung aus dem Sumpf gleich­ge­schal­te­ter und immer wie­der bekannt anmu­ten­der Phan­tas­tik weit her­aus. Das ändern auch die oben ange­spro­che­nen mini­ma­len Schwä­chen am Ende nicht.

Es bleibt also nach wie vor der Rat: lesen! Aller­dings zuerst TÍR NA NÓG, denn es ist nun ein­mal eine Qua­dro­lo­gie, deren letz­te bei­de Teil nicht für sich allein gele­sen wer­den kön­nen und auch gar nicht ver­ständ­lich wären.

Ich gebe vier von fünf Sin­gu­la­ri­tä­ten. :)

p.s.: ich möch­te an die­ser Stel­le übri­gens mal anmer­ken, dass ich es ganz groß­ar­tig fin­de, was der Aca­bus-Ver­lag im Bereich Phan­tas­tik so alles her­aus bringt. Dem­nächst wer­de ich mir end­lich mal die STADT-Roma­ne von Andre­as Dre­sen vor­neh­men.

[one_half]TÚATHA DÉ DANANN – STERNENHEIM
Sean O’Con­nell
phan­tas­ti­scher Roman
Taschen­buch, bro­schiert
235 Sei­ten, EUR 13,90
Juli 2012
ISBN-10: 3862821803
ISBN-13: 978–3862821808
Acabus-Verlag[/one_half][one_half_last]TÚATHA DÉ DANANN – NEKROPOLIS
Sean O’Con­nell
phan­tas­ti­scher Roman
Taschen­buch, bro­schiert
185 Sei­ten
Okto­ber 2012
ISBN-10: 3862822044
ISBN-13: 978–3862822041
Acabus-Verlag[/one_half_last]

[cc]

Cover STERNENHEIM und NEKROPOLIS Copy­right Aca­bus-Ver­lag, Foto Sean O’Con­nell Copy­right Sean O’Con­nell

[aartikel]3862820394[/aartikel][aartikel]3862821463[/aartikel][aartikel]3862821803[/aartikel][aartikel]3862822044[/aartikel]

1 Kommentar zu „Das Ende der Saga: Sean O’Connells TÚATHA DÉ DANANN“

  1. »Was mich al­ler­dings wirk­lich ge­stört hat, ist dass nicht ge­nauer be­leuch­tet wur­de, wass denn nun ge­nau vor 1000 Jah­ren pas­siert ist, was die Ka­ta­stro­phe war, die die Erde zwer­stört hat und wie die Men­schen in die Schöp­fungs­kuhle ge­lang­ten. … denn ich gehe da­von aus, dass die For­schun­gen der Älte­ren auf der Erde für die Ka­ta­stro­phe über­haupt erst ver­ant­wort­lich wa­ren.«

    Davon gehe ich auch aus. Der stärks­te Hin­weis dar­auf war wohl die Sache mit Juri-Hiro Ram­na­rough und sei­nem Expe­ri­ment mit die­sem »Nek­tar« … hmmm, wo war das, Tír na nÓg, Teil 2? Das war eigent­lich ziem­lich deut­lich.

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