Sean O’Connell – TÍR NA NÓG

Cover TIR NA NOG

In nahe­zu allen Fäl­len, in denen man heut­zu­ta­ge Phan­tas­tik ange­dient bekom­men soll, bedie­nen sich Ver­la­ge ger­ne des Hilfs­mit­tels Gen­re-Schub­la­de. Kein Wun­der. Wenn sich HARRY POTTER ver­kauft wie geschnit­ten Brot, dann ist man in den Mar­ke­ting-Abtei­lun­gen der Ansicht, dass der Leser mehr davon möch­te und sucht in ver­zwei­felt anmu­ten­der Wei­se nach ähn­li­chem Kram, um den dann unter dem über­stra­pa­zier­ten »All Age«-Etikett mit dem Zusatz »Der nächs­te Har­ry Pot­ter« an die gei­fern­de Fan­mas­se zu ver­hö­kern. Ähn­li­ches gilt für Urban Fan­ta­sy, Roman­t­a­sy, Vam­pi­re und was es für Ein­ord­nun­gen mehr gibt.

Als kri­ti­scher Leser gewinnt man den Ein­druck, dass durch die­se Vor­ge­hens­wei­sen nur noch Kopien von Kopien in Buch­form auf den Markt gewor­fen wer­den und haupt­säch­lich mas­sen­kom­pa­ti­ble Main­stream-Ware den Weg zum Phan­tas­tik-Freund fin­det. Außer­ge­wöhn­li­ches muss man mit der Lupe suchen, wenn es über­haupt vor­han­den ist. Klar, bei einem Groß­teil der Leser han­delt es sich um Kon­su­men­ten, die ein­fach was Kurz­wei­li­ges zum Lesen haben wol­len und denen mein Gesab­bel über Schub­la­den und Main­stream völ­lig egal ist.

Den­noch – man hat den Ein­druck, dass in den Ein­käu­fer- und Mar­ke­ting­e­ta­gen der Ver­la­ge ein Stoff nur noch dann ange­nom­men wird, wenn er an irgend­was Erfolg­rei­ches ange­lehnt wur­de. Wie­viel hoch­in­ter­es­san­tes Zeug uns Phan­tas­tik-Anhän­gern dadurch ver­bor­gen bleibt, weil es nie in Druck kommt, möch­te ich mir gar nicht vor­stel­len, bzw. weiß es, da ich ame­ri­ka­ni­sche Ori­gi­na­le lese, die den hie­si­gen Markt nie errei­chen, obwohl sie bril­li­ant sind.

Umso erfri­schen­der ist es dann, wenn man end­lich ein­mal etwas prä­sen­tiert bekommt, das zwar bekann­te Ver­satz­stü­cke auf­weist, sich aber jeg­li­cher Schub­la­den auf nahe­zu dreist zu nen­nen­de Wei­se ent­zieht und die­se Ver­satz­stü­cke aus diver­sen Spiel­ar­ten des Gen­res zu einem kurz­wei­li­gen Neu­en ver­mengt.

Die Rede ist von Sean O’Con­nells Roman TÍR NA NÓG.

In einer Welt, in der es vor unge­fähr tau­send Jah­ren zu einer Kata­stro­phe kam, die für ihre heu­ti­ge Struk­tur ver­ant­wort­lich ist, macht sich ein Mit­glied des Ordens der Archi­va­re mit sei­nem Schü­ler auf den Weg, um her­aus­zu­fin­den, was damals tat­säch­lich geschah. Das ist die gro­be Aus­gangs­si­tua­ti­on, die Meis­ter Aki und Schü­ler Cor­ne­lis im Stil einer Rei­se­er­zäh­lung auf einen »Road­trip« ganz beson­de­rer Art schickt.

Wer jetzt mault »ist doch nix neu­es!« der irrt gewal­tig, denn bereits nach kur­zer Lek­tü­re wird vor dem stau­nen­den Leser ein Kalei­do­skop von Ideen aus­ge­brei­tet, bei denen man sich all­zu oft erst­mal nur ver­wun­dert am Kopf krat­zen kann und sich fragt: »Wie jetzt?« Denn zum einen ist das mit der Kata­stro­phe dann wohl doch nicht so ein­fach und zum ande­ren trifft man auf nor­ma­le Men­schen und eigen­ar­ti­ge Wesen, mit­tel­al­ter­li­che und moder­ne Tech­nik, Bekann­tes aus unse­rer Welt und Din­ge, die man aus ver­schie­de­nen irdi­schen Mytho­lo­gien kennt. Alles behut­sam und nach und nach aus­ge­brei­tet und nicht am Stück mit dem Holz­ham­mer ver­ab­reicht, und wie kon­ge­ni­al ver­quirlt das alles tat­säch­lich ist, erschließt sich erst im Ver­lauf des Romans.

Das hät­te böse ins Auge gehen kön­nen, doch der Autor schafft es, dass die Geschich­te eben nicht ein wir­rer Mix aus allem Mög­li­chen wird, der an sich selbst und sei­ner Über­la­den­heit zugrun­de geht, son­dern auf­grund der Tat­sa­che, dass alles homo­gen und schlüs­sig wirkt und im Ver­lauf des Romans immer mehr klei­ne Details auf­ge­deckt wer­den, die dem Leser ein Licht nach dem ande­ren auf­ge­hen las­sen, ist TÍR NA NÓG ein ganz beson­de­res Lese­ver­gnü­gen. Im Eng­li­schen nennt man so etwas einen »Page­tur­ner«, ich habe mich damit schwer getan, das Buch aus der Hand zu legen.

Der Erzähl­stil ist dabei nie über­heb­lich, will dem Leser nicht eine geküns­tel­te »hohe Lite­ra­tur« auf­zwin­gen, son­dern nimmt den Besu­cher der Welt spie­le­risch bei der Hand und weiß ganz klar von sich, dass er bei aller unter­schwel­li­gen Phi­lo­so­phie (die immer deut­li­cher wird, je wei­ter man im Roman kommt) vor allem unter­hal­ten möch­te.

Bemer­kens­wert ist hier unter ande­rem, dass sich Cha­rak­te­re zum Teil sehr ein­deu­tig über ihre Spra­che iden­ti­fi­zie­ren las­sen, wer nicht in der bes­ten Gegend auf­wächst, der spricht auch so und des­we­gen soll­te man sich nicht dar­über wun­dern, wenn man im Ver­lauf der Erzäh­lung auch schon mal auf Kraft­aus­drü­cke stößt. Das macht das Gan­ze aber nur glaub­wür­di­ger und homo­ge­ner.

Im Ver­lauf der Lek­tü­re stellt man wie bereits ange­deu­tet fest, dass die Geschich­te mit ihrem Ver­lauf immer kom­ple­xer wird und den­noch schafft es Sean O’Con­nell, sich nicht an die­se Kom­ple­xi­tät zu ver­lie­ren, auch wenn man immer mehr durch­blickt, was gesche­hen ist und was geschieht, bleibt die Sto­ry doch sehr les­bar und wird nicht klo­big.

Das Buch wim­melt nicht nur von irren Ideen, son­dern auch von hau­fen­wei­se inter­es­san­ten, lie­bens­wer­ten und absto­ßen­den Cha­rak­te­ren, allen vor­an natür­lich Schü­ler Cor­ne­lis, der in sei­ner Gut­mü­tig­keit, anfäng­li­chen Nai­vi­tät und Gut­her­zig­keit wie eine Mischung aus Luke Sky­wal­ker und Par­zi­val anmu­tet, aber gezwun­ge­ner­ma­ßen eine Ent­wick­lung durch­macht und sei­ne Unschuld ver­liert. Aus­ge­spro­chen gefal­len hat mir aber auch Rag­gah, die mit ihrem losen Mund­werk und boden­stän­di­gem Los­le­gen einen pri­ma Gegen­pol zum zöger­li­chen Cor­ne­lis und dem wei­sen Aki bil­det. Eben­falls beson­ders gut kamen bei mir eini­ge der Unsterb­li­chen an, denen die Unmög­lich­keit zu ster­ben der­ma­ßen auf den Wecker geht (oder die der­art gelang­weilt sind), dass sie sich gern mal hef­tig einen auf den Knor­pel schüt­ten; davon, dass sie sich selt­sa­me Ver­hal­tens­wei­sen zuge­legt haben mal ganz abge­se­hen. Köst­lich – und nach­voll­zieh­bar.

Hörbuch-Cover

Klar gibt es Kli­schees in TÍR NA NÓG, aber wenn wir mal ehr­lich sind, dann ste­hen wir alle, die wir Phan­tas­tik lesen auf Kli­schees, des­we­gen kau­fen wir die gan­zen Bücher doch, oder? Der Meis­ter und sein Schü­ler – das haben wir schon mal irgend­wo gehabt, man nennt so etwas »Arche­ty­pen«. Gegen Kli­schees habe ich per­sön­lich gar nichts ein­zu­wen­den, solan­ge sie nicht über­trie­ben wer­den und solan­ge sie in eine krea­ti­ve, kurz­wei­li­ge und neu­ar­ti­ge Rah­men­hand­lung ein­ge­bet­tet wer­den. Das geschieht hier.

Der auf­merk­sa­me Leser wird fest­ge­stellt haben, dass ich mich zum Inhalt von TÍR NA NÓG über­aus spär­lich äuße­re. Das hat auch sei­nen Grund, denn es wür­de einem poten­ti­el­len Käu­fer ganz erheb­lich den Spaß ver­der­ben, wür­de ich Kon­kre­tes aus dem Roman im Rah­men der Bespre­chung offen legen. Das wäre weder den Lesern noch der Geschich­te gegen­über fair, des­we­gen muss ich lei­der um Details her­um lavie­ren. Macht euch selbst ein Bild, ich garan­tie­re, dass es in kei­nem Fall lang­wei­lig wird!

TÍR NA NÓG ist der­zeit im Action Ver­lag als Hör­buch erhält­lich; einen Ver­lag, der das Werk als Print­aus­ga­be her­aus geben möch­te gibt es noch nicht, bzw. befin­det Sean sich in Ver­hand­lun­gen. Ich kann hier nur hof­fen, dass die­se Ver­hand­lun­gen schnell zu einem posi­ti­ven Ergeb­nis füh­ren: wenn die­ser Roman nicht ver­öf­fent­licht wird, dann soll­ten die deut­schen Ver­la­ge lie­ber gleich ganz auf­hö­ren, Phan­tas­tik her­aus zu brin­gen, denn die­ses Buch ist um Län­gen bes­ser als manch ande­rer Schub­la­den-Bull­shit in zehn Bän­den, den man hier­zu­lan­de so auf den Markt presst, um einen schnel­len Euro zu machen. TÍR NA NÓG ist erfri­schend anders – aber das schrieb ich bereits.

Man muss übri­gens kei­ne Angst haben, dass ver­sucht wird, den Leser an eine Rei­he mit zwan­zig Bän­den zu bin­den: Die Geschich­te um Cor­ne­lis ist auf zwei Roma­ne fest­ge­legt. Und da kom­me ich dann auch zum ein­zi­gen Kri­tik­punkt: TÍR NA NÓG endet mit einem Cliff­han­ger. Argh! Der zwei­te Roman – TÚATHA DÉ DANANN – ist noch in Arbeit, wie soll ich denn nur die War­te­zeit durch­ste­hen, bis es end­lich wei­ter geht? Schreib schnel­ler, Sean!

Als Fazit spre­che ich eine unbe­ding­te Emp­feh­lung für sol­che Phan­tas­tik-Freun­de aus, die mal was ande­res lesen/​hören möch­ten und nichts gegen flüs­sig les­ba­re und unter­halt­sa­me Phan­tas­tik-Aben­teu­er­li­te­ra­tur mit skur­ri­len Ideen ein­zu­wen­den haben. Sol­che Leser wer­den nicht ent­täuscht wer­den. Da das Werk gedruckt noch nicht vor­liegt, wer­den die Eili­gen mit dem Hör­buch vor­lieb neh­men müs­sen, aber auch das ist eine gute Alter­na­ti­ve.

Sean O'Connell

Zum Abschluss möch­te ich mich noch aus­drück­lich bei Sean O’Con­nell bedan­ken. Er hat­te mir zwar die Hör­buch-Ver­si­on von TÍR NA NÓG zur Ver­fü­gung gestellt, ich muss aber zuge­ben, dass mir für Hör­bü­cher ein wenig die Zeit fehlt. Des­we­gen hat­te ich ein­fach mal dreist nach­ge­fragt, ob ich eine Text­ver­si­on bekom­men kön­ne, um sie auf dem eRea­der zu gou­tie­ren. Sean hat­te die­sem Wunsch ent­spro­chen und so war ich in der glück­li­chen Lage, den Roman auf die­se Art bereits vor dem Erschei­nen als Druck­aus­ga­be lesen zu kön­nen. Dan­ke!

 

Den Ver­la­gen rufe ich aus­drück­lich und laut zu: DRUCKT DAS! VERDAMMT!

* * *

Sean O’Con­nell im Inter­view mit Phan­ta­News
TIR NA NOG beim Action-Ver­lag
TIR NA NOG bei Audi­ble
Sean O’Con­nells Sei­te »Wort­wel­len«

 

Cover Tír na nÓg

TÍR NA NÓG

Meis­ter Aki und sein jun­ger Schü­ler Cor­ne­lis bege­ben sich auf die Suche nach den letz­ten Geheim­nis­sen der Welt. Sie tref­fen auf klei­ne schwar­ze Pup­pen, die den Ver­stand ihrer Wir­te beherr­schen, auf Meta­mor­phen, die die Gestalt ihrer Opfer anneh­men, auf eine furcht­ba­re Krea­tur sowie auf eine Grup­pe Unsterb­li­cher, die vor dem Unter­gang der Erde Zuflucht am unge­wöhn­lichs­ten Ort des Uni­ver­sums gefun­den hat:

Auf der geheim­nis­vol­len Insel Tír na nÓg.
Sean O’Con­nell
TÍR NA NÓG
Roman /​ Hör­buch
Gen­re: Phan­tas­tik
Hör­buch­län­ge: 15 Stun­den 13 Minu­ten
Preis (Hör­buch CD/​DVD): 19,95 EUR
Preis (Hör­buch Mp3): 16,95 EUR
Action-Ver­lag

Bild­nach­weis:
Cover TÍR NA NÓG Ac­­ti­on-Ver­­lag
Foto der DVD-Co­­ver Sean O’Con­nell

 

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1 Kommentar zu „Sean O’Connell – TÍR NA NÓG“

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