CONTAGION ist ansteckend

Rea­lis­ti­scher kann das Sze­na­rio kaum sein. Und hat man auch schon vie­le fil­mi­sche Vari­an­ten einer anfäng­lich unauf­halt­sa­men Seu­che gese­hen, so war noch kei­ne Ver­fil­mung der­art real, aber gleich­zei­tig genau­so aktu­ell. Wo ist auf ein­mal die Vogel­grip­pe? Was ist denn mit der Schwei­negrip­pe? Stets wird der unbe­schol­te­ne Bür­ger zwi­schen Angst und Gleich­gül­tig­keit allei­ne gelas­sen. Der Medi­en­zir­kus wech­selt von Panik­ma­che zu Ver­schwö­rungs­theo­rien.

Scott Z. Burns greift in sei­nem Dreh­buch die­se gesam­te Palet­te von Ver­un­si­che­rung und Hor­ror­spek­ta­kel auf. Burns und Soder­bergh kol­la­bo­rier­ten schon für den INFORMANTEN mit­ein­an­der, des­sen eben­falls rea­lis­ti­scher, ehr­li­cher Blick auf ver­meint­li­che Wirt­schafts­spio­na­ge nicht rich­tig funk­tio­nier­te. Bei CONTAGION hin­ge­gen wur­de es ein Voll­tref­fer. Es gibt die Guten, die Bösen, Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren, emo­tio­na­le Bin­dun­gen, Hoff­nun­gen, und das abso­lu­te Grau­en. Und wenn es über das rei­ne Spek­ta­kel hin­aus­ge­hen soll, kann dies nur so gelin­gen, wie es Soder­bergh auch umge­setzt hat.
Man nimmt nicht viel vor­ne­weg, wenn man sagt, dass ein gro­ßes Zug­pferd die­ses Films gleich in den ers­ten zehn Minu­ten stirbt. Es ist Pati­ent Null, mit einem Virus, der über die Luft, Berüh­run­gen und berühr­te Objek­te über­tra­gen wird. Der Film beginnt mit Tag zwei der Epi­de­mie und stei­gert sich zu einem dra­ma­ti­schen Höhe­punkt, der erst 135 Tage spä­ter erreicht sein wird. Sehr ein­drucks­voll demons­triert die Kame­ra, wie der Virus sei­nen mör­de­ri­schen Weg der Ver­brei­tung fin­det. Pati­ent Null beginnt in Hong­kong. Kre­dit­kar­te, Hän­de­schüt­teln, Cock­tail­glä­ser, allein die Ver­brei­tung im Hotel ist unüber­seh­bar. Für nur Sekun­den­bruch­tei­le bleibt der Fokus auf Unter­schrifts­map­pen oder den Erd­nüs­sen auf der Hotel­bar. Über­all unbe­dach­te Mög­lich­kei­ten, einen Virus zu über­tra­gen.

Zwi­schen­stopp Chi­ca­go, Wei­ter­flug Min­nea­po­lis, allein die Flug­hä­fen sind ein ein­zi­ger Alp­traum. Die Inku­ba­ti­ons­zeit ist sehr kurz, der Krank­heits­ver­lauf zumeist töd­lich. Den Ursprung und ein Gegen­mit­tel zu fin­den ist äußerst schwie­rig. Wie der Lei­ter des ame­ri­ka­ni­schen Seu­chen­kon­troll­zen­trums sagt, gibt es allein in Ame­ri­ka 52 Staa­ten mit 52 eige­nen Behör­den. Allein die­se Behör­den zu koor­di­nie­ren ist schon wegen auto­ri­tä­rer Befind­lich­kei­ten ein chao­ti­sches Unter­fan­gen, wie soll da erst eine welt­um­span­nen­de Zusam­men­ar­beit funk­tio­nie­ren? Hin­zu kom­men Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker und finan­zi­el­le Nutz­nie­ßer. Mil­lio­nen ster­ben, und nur weni­ge Men­schen sehen sich in der Lage, in die­sem welt­wei­ten Cha­os eini­ger­ma­ßen den Über­blick zu behal­ten.

Matt Damon als unglück­se­li­ger Wit­wer von Pati­ent Null, sucht erfolg­los einen Aus­weg.

 

Nüch­tern, aber nicht kalt, insze­nier­te Soder­bergh die Geschich­te, ohne künst­li­che Auf­re­gung, dafür umso span­nen­der. Denn alles ist mög­lich, wie Pati­ent Null beweist. Ein immu­ner Fami­li­en­va­ter muss nicht unmit­tel­bar selbst in Gefahr gera­ten, um dem Schre­cken von Plün­de­run­gen und zivi­lem Cha­os aus­ge­setzt zu sein. Hier liegt die eigent­li­che Kraft des Films, weil er die Figu­ren nicht unbe­dingt zu Opfern macht, son­dern als Ver­tre­ter des Publi­kums agie­ren lässt, durch die man den Nie­der­gang einer geord­ne­ten Gesell­schaft erle­ben muss. Weit­ge­hend nimmt der Film auch Abstand von gro­ßen Ges­ten des Hel­den­tums. Jede der Figu­ren ist mit dem einen oder ande­ren Makel behaf­tet, begeht Feh­ler oder wird miss­ver­stan­den. In gewis­ser Wei­se kön­nen aber alle etwas bewir­ken. Doch in Zei­ten von Ver­wir­rung und Aktio­nis­mus wer­den wie­der­um die rich­ti­gen Bemü­hun­gen durch Umstän­de tor­pe­diert, die der eigent­li­chen Sache zuwi­der­lau­fen.

Die vie­len Hand­lungs­strän­ge lässt der Film fast mühe­los immer wie­der inein­an­der über­ge­hen. Alle Tei­le ste­hen gleich­be­rech­tigt und gleich wich­tig in der Geschich­te. Die Emo­tio­na­li­tät ent­steht dadurch, dass weder Dreh­buch noch Insze­nie­rung Emo­tio­nen vor­ge­ben. Es wird greif­ba­rer, ehr­li­cher und grau­sa­mer. Die Nüch­tern­heit in der kla­ren Struk­tur ein­zel­ner Sze­nen wur­de mit den Bil­dern von Kubricks kal­ten Betrach­tun­gen ver­gli­chen, was nur bedingt  Berech­ti­gung hat, denn Soder­bergh schafft mit sei­ner Kame­ra­füh­rung eine Bezie­hung zu den Prot­ago­nis­ten, wo Kubrick ger­ne nur unbe­tei­lig­ter Zuschau­er sein woll­te. Der Regis­seur hat unter sei­nem Pseud­onym Peter Andrews wie­der selbst zur Kame­ra gegrif­fen. Neben Micha­el Mann ist Soder­bergh einer der ganz weni­gen Digi­tal-Fana­ti­ker, die mit der digi­ta­len Pho­to­gra­phie auch tat­säch­lich etwas anfan­gen kön­nen. Gefilmt mit einer Red-Digi­tal schaf­fen vie­le Sze­nen ein zusätz­li­ches Span­nungs­mo­ment, indem sehr viel Unschär­fen und Schär­fen­ver­la­ge­rung ein­ge­setzt wer­den. So kann oft­mals auf erklä­ren­de Dia­lo­ge ver­zich­tet wer­den. Die Kame­ra als Erzäh­ler ist sel­ten gewor­den.


CONTAGION ist ein sehr berüh­ren­der, aber auch unan­ge­neh­mer Film. Ein Film, der sei­ne The­ma­tik beherrscht, weil er sich weit­ge­hend der übli­chen Ver­satz­stü­cke ver­wehrt. Es gibt den einen oder ande­ren Dia­log, der über­treibt. Es gibt das eine oder ande­re Ver­hal­ten von Cha­rak­te­ren, das über­zo­gen wirkt. Doch die­se Schwä­chen kön­nen leicht igno­riert wer­den. Dies ist ein Film, der dadurch über­zeugt, dass er tat­säch­lich ganz neue Ansät­ze zeigt, wie Rea­lis­mus dar­ge­stellt und trans­por­tiert wer­den kann. Das Ensem­ble ist traum­haft, die tech­ni­schen Umset­zun­gen gran­di­os, und das Tem­po des Films auf den Punkt. Und die The­ma­tik macht Angst. Denn CONTAGION ist nicht ein­fach nur ein Film über eine sich welt­weit aus­brei­ten­de Seu­che, son­dern ein Abbild der Ver­flech­tun­gen, die mit einer sol­chen Kata­stro­phe ein­her­ge­hen wer­den. Da sind die Lüg­ner und die Betrü­ger, die Beschwich­ti­ger und die Über­am­bi­tio­nier­ten. Der Film braucht kei­ne Spe­zi­al-Effek­te, er benö­tigt kein Spek­ta­kel. So ist er wesent­lich effek­ti­ver, ratio­na­ler und furcht­ein­flö­ßen­der. Denn vor unse­ren geis­ti­gen Augen wur­den wir schon immer mit sol­chen Schre­ckens­sze­na­ri­en kon­fron­tiert.

Es trifft natür­lich den unbe­schol­te­nen Bür­ger. Ist es schlimm – und wie schlimm tat­säch­lich? Steckt ein Phar­ma­kon­zern dahin­ter oder wird beschwich­tigt, weil ohne­hin alles unab­wend­bar gewor­den ist? Alles, was man bis­her in sol­chen Zei­ten gehört, gele­sen, gese­hen hat, hat Ste­ven Soder­bergh klar und nüch­tern in sei­nen Film ein­flie­ßen las­sen. Und des­we­gen ist er so anspre­chend und erschre­ckend, denn jeder Aspekt spielt auf sei­ne Wei­se mit in die Wahr­heit hin­ein. Und irgend­wo im Hin­ter­grund, abge­schie­den von all den Wahr­hei­ten, die ande­re ver­kau­fen wol­len, gibt es jeman­den, der tat­säch­lich hilft. Der Film for­dert uns auf, die rich­ti­gen Fra­gen zu stel­len, weni­ger ver­trau­ens­see­lig zu sein, uns mehr zu enga­gie­ren. Er for­dert unse­re indi­vi­du­el­le Ver­ant­wor­tung und unse­re gesell­schaft­li­che Inte­gri­tät. Denn eines stellt CONTAGION klar fest: Haben wir bis­her nur Glück gehabt, oder sind wir in bes­ten Hän­den?

Der Film endet mit Bil­dern von Tag 1. Ein ganz gewöhn­li­cher Tag, an dem jeder unbe­schwert sei­ner Arbeit nach­geht. Wo die Welt in Ord­nung scheint. Ein Tag an dem Din­ge getan wer­den, die man immer so tut. Man nennt es All­tag, und man ver­hält sich in sei­nen Ange­wohn­hei­ten. Man nennt es Leben. Bis die Natur einen klei­nen Haken schlägt, an dem der Mensch nicht ganz unschul­dig sein muss.

Peter Andrews (Soder­bergh) in sei­nem Ele­ment

 

Dar­stel­ler: Mari­on Cot­il­lard, Matt Damon, Lau­rence Fishb­ur­ne, Jude Law, Gwy­neth Palt­row, Kate Wins­let, Bryan Cran­s­ton, Jen­ni­fer Ehle, Sanaa Lathan, Elliott Gould, John Haw­kes, Moni­que Gabrie­la Cur­nen, Armin Roh­de, Chin Han, Anna Jaco­by-Heron u.a.
Regie: Ste­ven Soder­bergh
Dreh­buch: Scott Z. Burns
Kame­ra: Peter Andrews
Bild­schnitt: Ste­phen Mir­rio­ne
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Howard Cum­mings
Musik: Cliff Mar­ti­nez
USA 2011
zir­ka 106 Minu­ten
War­ner Bros. Pic­tures, Par­ti­ci­pant Media, Imagen­a­ti­on Abu Dha­bi FZ, Dou­ble Fea­ture Films, Regen­cy Enter­pri­ses

Bild­nach­weis:
Pro­mo­fo­tos und Kino­pla­kat Copy­right War­ner Bros. Pic­tures

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