Mit EX MACHINA und AUTOMATA ist dies der dritte Film innerhalb eines Jahres, der sich mit künstlichen Intelligenzen beschäftigt. Und Robotern, die ein eigenes Bewusstsein entwickeln. Behandelt AUTOMATA mehr die Frage nach dem Recht der Selbstbestimmung von Robotern, stellt EX MACHINA die Frage, inwieweit das angenommene Bewusstsein nicht doch aus programmierten Aktionen besteht. CHAPPIE hingegen will alles, und darüber hinaus noch viel mehr. Er will Sozialkritik vertreten, ein knallharter Action-Film sein, sich als Darsteller-Kino präsentieren, und die Auswirkungen von künstlichen Intelligenzen beleuchten.
Und damit wollte Neill Blomkamp zu viel. In keiner seiner Absichten schafft es der Regisseur und Co-Autor in die Tiefe zu gehen, sondern sich nur in der Breite aufzustellen. Man könnte mit CHAPPIE den Karriereweg Neill Blomkamps, mit dem von M. Night Shyamalan gleichstellen. Auch wenn Shyamalan schon zwei kleine Filme gemacht hatte, bevor er mit der Kino-Sensation SIXTH SENSE Zuschauer und Kritiker in Euphorie versetzte. Hat er seitdem sieben weitere Kinofilme gemacht, war die Talfahrt eben verhältnismäßig geruhsam. Neill Blomkamp hat sich mit nur drei Filmen von ganz oben ins Mittelmaß und nun nach unten gearbeitet.
Die Handlung
Einheit 22 ist der Pechvogel bei Johannisburgs Polizei, dem ersten kompletten Roboter-Verband weltweit. Bei Einsätzen ist es stets Einheit 22 der Leidtragende, mit Aufenthalten in der Werkstatt. Bis ihn eine Panzerfaust trifft, welche seine Batterie mit dem Gehäuse verschmilzt. Eine Reparatur ist unmöglich, und so schickt Roboter-Beauftragter Deon Wilson Einheit 22 zur Verschrottung. Wilson arbeitet nebenher an einem Programm, welches künstlichen Intelligenzen ein eigenes Bewusstsein geben soll, und wird ausgerechnet noch in dieser Nacht erfolgreich. Aber ein Vorsprechen bei Michelle Bradley, welche den Rüstungsbetrieb leitet, endet mit ihrer Ablehnung. Kurzerhand klaut Deon die ausgemusterte Einheit 22, wird aber von den Kriminellen Ninja und America entführt, und in deren sogenanntes Zuhause gebracht, wo Yo-Landi auf sie wartet, Ninjas Freundin. Deon wird gezwungen, 22 wieder zusammen zu bauen, weil sie dringend einen Roboter für einen Überfall brauchen. Sollte Ninja nicht innerhalb einer Woche seine Schulden bezahlen, würde die ganze Dreier-Gang mit dem Leben dafür bezahlen. Doch als Deon dem Roboter sein evolutionäres Programm aufspielt, erwacht in 22 ein Kind. Ein Kind, welches erst lernen muss, ohne Lebenserfahrung, ohne Sprachkenntnis, aber mit Angst und Zurückhaltung. Für Ninja eine Katastrophe. Aber ein Roboter lernt schnell, und das Chappie getaufte Kind lernt schießen, fluchen und einen coolen Ghetto-Style.
Die Charaktere
Es gibt in CHAPPIE keinen glaubwürdigen und keinen sympathischen Charakter. Gerade vielleicht America, ist in seiner zurückhaltenden Art erträglich. Deon Wilson sitzt entweder über der Tastatur, und schwitzt dabei, oder versucht sich unentwegt ungeschickt mit Ninja auseinander zu setzen. Vincent Moore ist ein allzu offensichtlicher Psychopath, der in der Firma Deon als seinen Konkurrenten ansieht und auf billigste Weise versucht, seine eigenen Projekte durchzubringen. Yo-Landi gibt sich als beschützende Mutter für Chappie, ist ständig weinerlich und setzt sich nur durch, wenn es das Drehbuch erfordert. Ninja ist die schlimmste Fehlentwicklung, als ständig motzender und drohender Einfaltspinsel, der überhaupt nichts versteht und nicht einen Funken von Reife zeigt. Aber dafür wird Ninja im emotional entscheidenden Moment eine charakterliche 180-Grad-Wendung machen, die nicht nur unmotiviert ist, sondern auch vollkommen gegen die vorangegangenen 100 Minuten steht. Und dann ist da Chappie selbst, den man liebenswert einschätzen könnte, aber sich auch so unkonstant entwickelt, dass er die meiste Zeit nur nervt, wenn er sich nicht zwischen kindlichem Trotz, jugendlicher Ängstlichkeit, und verunsicherter Gangster-Mentalität entscheiden kann. Die Entwicklung bei Chappie ist kaum nach zu vollziehen, sondern unaufhörlich schwankend, was den Charakter überhaupt nicht voran bringt. Allesamt wecken die Figuren keine Bindung zum Zuschauer, und ihnen wird auch keine Gelegenheit eingeräumt, eine Bindung aufzubauen.
Die Inszenierung
Blomkamp weiß, wie er die Handlung voran treiben muss. Er lässt kaum Leerlauf, bringt seine Szenen immer auf den Punkt. Aber wie füllt man diese Szenen? Und das ist dass Problem mit CHAPPIE, Filmemacher Blomkamp weiß nicht, mit dieser schon mehrmals verwursteten Prämissen von Robotern in Verbindung von Bewusstsein aus einem artifiziellen Intellekt, eine noch nicht erzählte Geschichte zu kreieren. Alles ist schon einmal dagewesen, alles wurde schon einmal erzählt. Dann marschiert jeder bei der Rüstungsfabrik ein und aus, als wäre es der nachbarliche Baumarkt. Jeder hat überall hin Zutritt, wie es die Handlung gerade braucht. Und wenn sich Wilson und Moore ihren Showdown liefern, dann ist da auch kein Sicherheitsdienst. Wann immer es notwendig wird, arbeitet keine Menschenseele in den Hallen. Da bedroht ein Mitarbeiter einen Kollegen mit einer Pistole, vor allen anderen Kollegen, und tut dies dann als Scherz ab, ohne weiterreichende Konsequenzen. Das alles hinterlässt einen sehr faden Beigeschmack. Wenn Ninja Chappie eine Lektion erteilen will, möchte Blomkamp damit eine sehr emotionale Sequenz einleiten. Doch zu diesem Zeitpunkt ist alles schon viel zu verfahren. Anstatt sich auf die Entwicklung des Roboters zu konzentrieren, verschachtelt sich die Handlung in ein andauerndes Katz und Maus Spiel, wo überraschend der auftaucht, unvermittelt der andere etwas wichtiges tut, immer wieder wirft der Zufall alles hin und her. Das vermittelt natürlich das Gefühl eines rasanten Filmes, der er letztendlich auch ist. Allerdings vergisst er dabei eine dringend notwendige, philosophische Tiefe.
Die Darsteller
Viel kann man über Hugh Jackman natürlich nicht sagen, der ausgezeichnete Schauspieler musste sich eben nur mit einer schlecht geschriebenen und überzeichnet inszenierten Figur auseinandersetzen. Warum Sigourney Weaver ihre eindimensionale und für die Handlung vollkommen unnütze Rolle übernommen hat, darüber kann man nur spekulieren. Dev Patel trifft hier das gleiche Schicksal wie Jackman, seine Figur ist einfach falsch in Szene gesetzt. SLUMDOG MILLIONAIRE ist aus gutem Grund ein so einschlagender Erfolg geworden, also liegt es sicher nicht an Patel, wenn sich der Charakter des Deon Wilson so unausgegoren ausnimmt. Und dann ist da die Band ‘Die Antwoord’, die sich hier selbst darstellen und ihre Künstlernamen auf die Filmfiguren übertrugen. ‘Die Antwoord’ ist in Südafrika eine ziemlich bekannte Rap-Rave-Band, und fielen international mit dem Musikvideo ENTER THE NINJA auf, dessen Set-Design für CHAPPIE übernommen wurde. Aber Watkin Tudor Jones und Yo-Landi Visser sind keine Schauspieler. Sie können nicht auffangen, was das Drehbuch ihnen an schwachen Figuren zumutet. Jones verfällt dabei in ein sich ständig wiederholendes Klischee, während Visser keinen stimmigen Eindruck macht, der zu dem Milieu passen müsste. Auch ein Punkt, der vielleicht darstellerisch aufzufangen gewesen wäre.
Das Fazit
Ein junger Mann sitzt am Computer und tippt, und tippt. Immer wieder sieht man eine Bildschirmanzeige, dass das Programm nur zu so und soviel Prozent erreicht. Immer wieder Verzweiflung, immer mehr tippen. Dazwischen viel Red Bull. Und bevor die Sonne aufgeht, heißt es auf einmal 100 Prozent. Der junge Mann hat am Computer eine künstliche Intelligenz geschaffen die über ein eigenes Bewusstsein verfügt. Jetzt ist ja ein menschliches Bewusstsein genau das, was einem vom Computer unterscheidet. Wie also, könnte man so etwas am Computer gestalten? Nicht dass man erwarten sollte, Neill Blomkamp zeichne diese Lösung bis in die Detailsauf, um sich als der innovativ geniale Science-Fiction-Autor zu präsentieren. Aber was bei einem innovativ genialen Science-Fiction-Film passieren würde ist, beim Zuschauer das Gefühl zu erwecken, als hätte man tatsächlich etwas erklärt bekommen, das weit über das Tippen von Zahlencodes hinausgeht. CHAPPIE ist nicht die volle Katastrophe, zu der man ihn durchaus machen könnte. Aber er ist sehr weit von dem entfernt, was er wirklich sein könnte. CHAPPIE ist nichts weiter als Unterhaltung. Er fordert nicht heraus, er hinterfragt nicht. Könnten wir tatsächlich ein eigenständiges Bewusstsein erschaffen? Was würde das für die Menschheit bedeuten? Welche Pflichten kämen damit auf uns zu? Worin lägen die Grenzen? CHAPPIE aber, setzt uns einen drolligen Roboter auf die Leinwand, dem viele ungerechte Dinge passieren, und der Zuschauer soll viel Mitgefühl dabei entwickeln. Soweit erfüllt dann auch der Film seinen Auftrag. Genau so weit.
CHAPPIE
Darsteller: Stimme von Chappie: Sharlto Copley
Dev Patel, Watkin Tudor Jones, Yo-Landi Visser, Hugh Jackman, Sigourney Weaver, Jose Pablo Cantillo, Anderson Cooper u.a.
Regie: Neill Blomkamp
Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell
Kamera: Trent Opaloch
Bildschnitt: Julian Clarke
Musik: Hans Zimmer
120 Minuten
Mexiko – USA 2015
Bildrechte: Sony Pictures Releasing