Johnny Depp bezeichnet diesen Film als seinen bisher besten. Es ist auch der erste seiner Filme, den er sich mit Publikum angesehen hat. Diese Behauptungen sind wahrscheinlich ein gesunder Mix von Werbestrategie und Wahrheit. Dass es Depps bester Film sein soll liegt eindeutig im Auge des Betrachters und an Genre-Vorlieben. Gewiss ist es Johnny Depps eindrucksvollste Darstellung seit langem und bringt den Schauspieler endlich wieder einmal weg von den überstrapazierten Jack-Sparrow-Attitüden. Der wirkliche James Bulger verweigerte bis zuletzt seinem filmischen Alter-Ego ein Treffen, das Depp für eine konkretere und ehrlichere Interpretation der Figur haben wollte. Jetzt gehen natürlich die Meinungen auseinander, wie nahe der Schauspieler an der Person James Bulger wirklich ist. Schließlich gibt es zwangsläufig Menschen, die an einer Verfilmung dieser Geschichten keine Freude haben dürften, und gerne dagegen reden.
James »Whitey« Bulger ist brutal und hitzköpfig. Doch zuerst ist er nur ein kleines Licht in der Winter Hill-Gang von Süd-Boston, zudem die Winter Hill-Gang ohnehin in Gangsterkreisen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dann kommt der ehrgeizige FBI-Agent John Connolly ins bostoner Büro. Er und Bulger sind zusammen groß geworden und waren Jugendfreunde, bis sich ihre Wege in zwei sehr entgegengesetzte Richtungen trennten. Connolly hat einen aberwitzigen Plan und will James Bulger als offiziellen Informanten anheuern, was diesen zukünftig für Gesetzeshüter unantastbar machen würde. Die Vorgesetzten im Büro sind zuerst entsetzt, doch Connolly kann sehr überzeugend argumentieren. Auch wenn er gegen den Ehrenkodex verstößt, sieht Bulger eine raffinierte Chance. Angefangen beim Angiulos-Clan, liefert er immer wieder Mitglieder anderer Gangs ans Messer. Jetzt selbst an der Spitze der Winter Hill-Bande, kann er die anderen geschwächten Clans immer weiter in den Hintergrund drängen. Im Schutz des FBI, wächst James »Whitey« Bulgers Bande zur einflussreichsten in Boston.
Man muss sich längst nicht mehr darüber auslassen, dass selbst die faktischsten Biografien Zugeständnisse an die Dramaturgie machen müssen. So wird es wohl auch in diesem Film Veränderungen gegenüber den realen Umständen geben. Doch man bekommt zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, als wäre etwas zu forciert, oder künstlich arrangiert. Der Film genießt einen äußerst natürlichen Fluss, der kaum Längen zeigt. Das hat natürlich auch mit den ausgezeichneten Darstellern wie Joel Edgerton und Kevin Bacon zu tun. Ersterer schwankt stetig zwischen Unsicherheit und überheblichen Gehabe. John Connolly ist immer knapp davor, dass ihm sein Gebilde um die Ohren fliegt, mit dem er ein paar Eingeweihte mit in den Abgrund reißen würde. Edgerton kann diesen riskanten Seiltanz sehr gut vermitteln, ohne sich großer Worte bedienen zu müssen. Johnny Depp hätte gerne etwas mehr Nuancen mit einbringen können. Sein Bulger ist ständig eine unberechenbare Zeitbombe, und das überträgt er fantastisch auf den Zuschauer. Doch etwas mehr Tiefe wäre schön gewesen, besonders wenn er sich im Kreis seiner Familie bewegt, um vielleicht auch einmal einen anderen Blick auf »Whitey« werfen zu können. Auch wenn es vielleicht nicht der Natur der realen Person entsprechen würde, für den Zuschauer wäre eine differenziertere Identifikation an manchen Stellen angebrachter gewesen, um die Bösartigkeit seines Verhaltens auch besser akzeptieren zu können. Nur bei Benedict Cumberbatch sollten sich die Studios langsam fragen, ob nicht schon eine Übersättigung stattfindet.
Mit Action ist BLACK MASS nicht gerade gesegnet. Aber in erster Linie steht ja auch klar der Gangster-Thriller im Vordergrund. Und Regisseur Scott Cooper lässt keinen Zweifel, wo er seinen Thriller sehen möchte. Die Optik, die Dialoge, gewisse Handlungsabläufe zitieren unmissverständlich Martin Scorsese. Was keineswegs in irgendeiner Richtung negativ ausgelegt werden kann. Wer Gefallen an Scorseses Gangster-Studien findet, wird an BLACK MASS seine helle Freude haben. Auch wenn Scorseses THE DEPARTED das Remake eines japanischen Thrillers ist, war Jack Nicholsons Charakter in der Neuverfilmung eine eindeutige Anleihe an James »Whitey« Bulger. Da schließt sich auf wunderbare Art ein besonderer Kreis. Man kann besorgten Gemütern versichern, dass Cooper bei Gewaltszenen dezenter ist, wo Scorsese gerne länger auf explizite Darstellung hält. Was dem großen Vorbild allerdings nicht passiert wäre, betrifft den Charakter des jungen Kevin Weeks. Jesse Plemons´ Figur wird spektakulär eingeführt, verliert aber sehr schnell an Relevanz, um letztendlich für die Geschichte unbedeutend zu werden.
BLACK MASS hat Ecken und Kanten, ist aber im Grunde ein sehr solides Stück an fesselndem Thriller. Es ist nur schade, dass sich der Film lediglich auf die Gangster-Karriere beschränkt, und die sechzehnjährige Zeit im Untergrund, wo sich Bulger und seine Frau dennoch frei in Amerika bewegten, auf den Abspann beschränkt wird. Aber wer Gangsterfilme mag, kommt an diesem nicht vorbei. Wer Johnny Depp mag, hat gar keine andere Wahl. Wer gut inszeniertes Kino mag, wird hier nicht enttäuscht.
BLACK MASS
Darsteller: Johnny Depp, Joel Edgerton, Kevin Bacon, Dakota Johnson, Rory Cochrane, Peter Sarsgaard, Jesse Plemons, David Harbour, Adam Scott, Corey Stoll, Benedict Cumberbatch u.a.
Regie: Scott Cooper
Drehbuch: Mark Mallouk, Jez Butterworth
Kamera: Masanobu Takayanagi
Bildschnitt: David Rosenbloom
Musik: Junkie XL
Produktionsdesign: Stefania Cella
122 Minuten
USA 2015
Promofotos Copyright Warner Bros.