I AM NOT OKAY WITH THIS – seit 27.02.2020 bei Netflix
Das ist natürlich von den Produzenten, die uns STRANGER THINGS gebracht haben. Das ist schön und gut, aber vollkommen irreführend. Ein bisschen so, wie die siebzehnjährige Sydney Novak, die auf der Schwelle zum Erwachsenwerden die ganzen Geschehnisse um sie herum und sich selbst betreffend nicht richtig zuordnen kann. Auf den ersten Blick scheint alles normal, die Gefühle spielen verrückt, grundlose Rebellion zuhause, in allen Lebenslagen unbeantwortete Fragen. Also ganz normal, wäre da nicht das blöde Ding mit diesen unerklärlichen Vorkommnissen, für die sie selbst verantwortlich scheint. Sydney ist die Sonderliche, ohne weibliche Teenager-Attitüde. Ihre beste Freundin Dina ist selbstbewusst und akzeptiert in allen Kreisen der High School-Strukturen. Der extrovertierte Stanley lebt in Sydneys Straße, ist der ortsansässige Gras-Dealer, versteht sich prächtig mit ihr, will aber nicht ihr fester Freund sein.
Shawn Levy hat mit seiner Produktionsfirma 21 Laps Entertainment nicht nur STRANGER THINGS gemacht, sondern eben auch I AM NOT OKAY WITH THIS. Doch wie wenig die Produzenten des Netflix-Lieblings STRANGER THINGS mit der kreativen Umsetzung von IANOWT zu tun hatten, weiß jeder, der Jonathan Entwistles TEOTFW gesehen hat, deren zweite Staffel noch ziemlich frisch bei Netflix zu sehen ist. Gemeint ist natürlich THE END OF THE F***ING WORLD. In Aufbau, Tempo, Struktur, Kamera-Narrativ, Dialogform und Atmosphäre unterscheiden sich die beiden Serien kaum. Und dennoch bewahrt jede für sich ihre ganz eigene Stimmung und Erzählung. Johnathan Entwistle hat die Graphic Novels von Charles Forsman für sich entdeckt, und mit END OF THE F***ING WORLD eine grandiose filmische Umsetzung erreicht. Sie begeisterte nicht nur Forsman, sondern auch seine Fans, sowie Kritiker und Zuschauer.
Trotz aller Genialität könnte man meinen, Entwistle hätte sich mit F***ING WORLD erst einmal warm gemacht. Mit zum größten Teil der selben Mannschaft, wurde bei I AM NOT OKAY WITH THIS ein klein wenig bei der verstörenden Morbidität zurückgeschraubt. Dafür ist die Erzählung etwas komplexer gestaltet und den Schauspielern wird wesentlich mehr abverlangt, um die Figuren mit mehr Tiefe auszustatten. Das erste Bild für den Zuschauer ist vielversprechend und macht skeptisch zugleich. Es ist eine erstklassige Reminiszenz an Brian De Palmas CARRIE, die man unbedingt als Hommage und nicht als Kopie sehen sollte. Denn in Folge der sieben Episoden spielt Entwistle immer wieder mit diesem ikonografischen Bild, und somit auch der Erwartungshaltung des Zuschauers. Die Auflösung wird schließlich eine willkommene Überraschung sein – und keineswegs enttäuschen.
Es ist ein beliebtes Motiv, vom verwirrten Teenager, bei dem mit dem Erwachsenwerden plötzlich übernatürliche Fähigkeiten einhergehen. So neu ist es nicht, doch es kann zu etwas Besonderem werden, wenn man sich vertrauensvoll auf ein Talent wie Sophia Lillis verlässt. Und Lillis liefert, mit allen Facetten des Teenager-Daseins, und dem aufkeimenden Makel von einem kleinen wenig Psychokinese. Mit einem charismatischen Original wie Wyatt Oleff an der Seite scheint da nichts daneben laufen zu können. Jeder für sich – und erst recht zusammen – sind sie ein eindringliches und wahres Vergnügen. Etwas mehr Feinschliff hätte Richard Ellis gebrauchen können, der als undurchsichtiger High School-König im Pausenhof der Stereotypen abhängt.
Wie schon in der Vorgängerserie wohlwollend aufgefallen, hat man sich auch bei I AM NOT OKAY WITH THIS viel Mühe gegeben, damit die Handlung kaum, oder nur schwer, zeitlich einzuordnen ist. Das hat einen ganz eigenen, sehr originellen Charme. Was hingegen sehr stark auf das Gemüt drückt, dass IANOWT für einen Serienmarathon vollkommen ungeeignet ist. Bei sieben Folgen mit jeweils einer durchschnittlichen Laufzeit von 22 Minuten, hat man die erste Staffel bereits nach 156 Minuten beendet. Wenn man sich den Abspann mit ansieht. Immer noch 50 Minuten kürzer als Scorseses IRISHMAN. Das kann durchaus zu unzufriedenen Rufen und bösen Worten gegen den Bildschirm führen. Denn wer sich auf Sydney Novaks Ringen mit den Eigenarten des Lebens und des Übernatürlichen eingelassen hat, will definitiv mehr.
I AM NOT OKAY WITH THIS
Darsteller: Sophia Lillis, Wyatt Oleff, Sofia Bryant, Kathleen Rose Perkins, Aidan Wojtak-Hissong, Richard Ellis, Zachary S. Williams, David Theune, Sophia Tatum, Mark Colson u.v.a.
Regie: Jonathan Entwistle
Drehbuch: Jonathan Entwistle, Charles S. Forsman, Christy Hall, Tripper Clancy, Liz Elverenli, Janna Westover
Kamera: Justin Brown
Bildschnitt: Yana Gorskaya, Dane McMaster, Varun Viswanath
Musik: Graham Coxon
Musik-Supervisor: Nora Felder
Prduktionsdesign: Maya Sigel
USA 2020
Liebes Tagebuch … / Dear Diary – 19 Minuten
Meister eines F**ks / Master of One F**K – 20 Minuten
Die Party ist vorbei / The Party’s Over – 28 Minuten
Stan an meiner Seite / Stand by Me – 23 Minuten
Noch ein Tag im Paradies / Another Day in Paradise – 23 Minuten
Wie der Vater, so die Tochter / Like Father, Like Daughter ‑19 Minuten
Das tiefste, dunkelste Geheimnis / Deepest, Darkest Secret ‑24 Minuten
Gesamtlaufzeit: 166 Minuten