Andreas Dresen hatte eine sehr ansprechende Story für ÆTHERGARN beigesteuert und auch seinen skurrilen Phantastik-Roman AVA UND DIE STADT DES SCHWARZEN ENGELS hatte ich mit Vergnügen gelesen, deswegen war ich auf den ersten Band von WILHELMSTADT, erschienen im ACABUS-Verlag, gespannt.
Klappentext:
Wilhelmstadt, 1899. Das stählerne Venedig Deutschlands. Eine dem Braunkohle-Rausch verfallene, hochindustrialisierte Stadt als Schauplatz einer verschwörerischen Intrige inmitten von Dampfmaschinen und mechanischen Apparaturen.
Mitten in der Nacht versinkt die »Juggernauth« in den Fluten des Rheins. An Bord ist auch der Neffe von Kaiser Wilhelm II. Nur der Ingenieur Julius deJonker überlebt das Unglück, liegt aber unwiederbringlich im Koma. Der Kaiser zeichnet der Kaiser ihn verantwortlich für die Katastrophe und enteignet ihn all seiner Besitztümer.
Doch seine Tochter Johanne ist von der Unschuld ihres Vaters überzeugt. Verarmt, aber voller Entschlusskraft, macht sie sich zusammen mit Miao, einer verstoßenen Luftnomadin mit Dampfbein, auf die Suche nach den wahren Schuldigen. Doch der Geheime Kommerzienrat Oppenhoff setzt alles daran, ihre Suche zu vereiteln und seine Spuren zu verwischen.
Hm. Nach dem Lesen des Klappentextes war ich zum ersten Mal verwirrt, diese Verwirrung bestätigte sich auch später beim Lesen. Macht es Sinn, schon im Klappentext den Gegenspieler zu nennen? Selbst dann, wenn die Handlung sich als etwas komplexer erweist? Und warum der Hinweis darauf, dass der Vater im Koma liegt, wenn diese Tatsache dem Leser erst im Verlauf der Handlung offenbart wird? Leider befinden sich meiner Ansicht nach zu viele Informationen im Waschzettel, die man besser erst durch das Lesen des Buches erfahren hätte.
Beim Inhalt selbst bin ich zwiegespalten. Zum einen präsentiert Andreas Dresen mit der künstlichen Stadt – eben Wilhelmstadt – einen vortrefflichen Hintergrund, ebenso ist erfreulich, wenn Steampunk von deutschen Autoren dann eben auch in Deutschland angesiedelt ist. Der Roman sprüht geradezu vor skurrilen Ideen innerhalb dieses Hintergrundes und auch die Strukturen der Stadt sowie ihrer Bewohner sind von Weltenbau her wirklich interessant.
Leider war mir der Einsatz von Dampftechnik an einigen Stellen dann schon wieder zu viel, ich hatte irgendwie den Eindruck, dass mir der Steampunk hier mit der groben Kelle eingeflößt werden sollte. Und an manchen Stellen war das Ganze dann auch nicht kohärent. Wenn ständig beschrieben wird, wie Miaos Dampfbein dampft und quietscht, dann soll ich glauben, dass es das nicht mehr tut, wenn sie verkleidet einen Anzug trägt?
Ebenfalls hat mich verwundert, dass die Hauptfigur, also Johanne deJonker, dem Leser überhaupt nicht nahe gebracht wird. Auch nachdem ich die Lektüre beendet hatte, hatte ich nur ein ganz grobes Bild, wie sie aussehen könnte, denn auf eine Beschreibung der Heldin wurde verzichtet. Ich fühlte mich an die Vorgaben für Heftromane erinnert, in denen es ebenfalls untersagt wurde, den Helden zu beschreiben, damit sich jeder Leser sein eigenes Bild von ihm machen sollte, aber diese Zeiten haben wir doch lange hinter uns gelassen, oder?
Auch nervte mich ihre Sprunghaftigkeit ein wenig, da war oft so eine Hü/Hott-Mentalität, wenn ihre Stimmung innerhalb von wenigen Zeilen schwankte oder sie etwas überlegt und dann doch etwas völlig anderes machte. Aber das kann Geschmackssache sein, dennoch: Da der Charakter als starke, junge Frau ausgelegt ist, hat er mir an ein paar Stellen zu sehr gezaudert.
Bei Figuren wie dem Geheimpolizisten mit seinem wandelnden Samowar oder den Hausdiener bin ich nicht so recht mit mir ins Reine gekommen, ob das als Verneigung in Richtung britischen Humors goutieren oder doof finden soll. Ich tendiere allerdings eher zu Ersterem, vermutlich habe ich zu viel DOCTOR WHO geguckt. Alles in allem finde ich die Stimmung in Wilhelmstadt (also der Stadt, nicht dem Buch) aber völlig in Ordnung.
In der Rückschau hat mich das Buch trotz diverser Schwächen und ein paar Logiklöchern zumindest gut unterhalten, insbesondere, weil es gegen Ende noch mal ein wenig zulegt.
Aber: Was gar nicht geht, ist das Lektorat/Korrektorat. Das hat ein paar Dinger durchgehen lassen, die dürfen einfach nicht geschehen. Beispielsweise eine Ansammlung von zigmal »würde« in einem relativ kurzen Absatz, zahllose nicht notwendige Wortwiederholungen und ein paar Formulierungsschwächen. Auch war ich immer der Ansicht, dass ein Frosch »quakt« und nicht »quackt«. Hier habe ich mich an ein paar Stellen wirklich geärgert und bin der Ansicht, dass so etwas einem Verlag bei einem professionellen Produkt nicht gut zu Gesicht steht.
Noch ein Wort zum Cover: Ohne Zahnräder hätte es mir vermutlich gut gefallen; ich kann ansatzweise nachvollziehen, dass man beim Marketing meint, es müssten unbedingt welche drauf, um die Zielgruppe anzusprechen. Hier fand ich die Anzahl und Platzierung allerdings besonders übertrieben. Weiterhin sind die größeren Zahnräder auf dem Frontcover einfach kopiert und wieder eingefügt, ohne auf den Lichteinfall zu achten. Na gut, das wird einem »normalen« Leser vermutlich gar nicht auffallen, aber mich alten Photoshopper stört´s halt. Vermutlich bin ich in der Hinsicht Erbsenzähler. :) Dabei hätte das, was man auf der Front hinter den Zahnrädern sieht völlig ausgereicht. Die englischen Originalfassungen der NEWBURY & HOBBES-Romane zeigen ja bestens, wie man tolle Steampunk-Cover machen kann, ohne auf Zahnräder zurückzugreifen.
Ich hätte trotz gewisser Schwächen bei den Charakteren für den Weltenbau und die zahllosen skurrilen Ideen normalerweise gerade noch vier von fünf Punkten vergeben, insbesondere auch in der Hoffnung, dass Andreas Dresen sich im nächsten Band weiter in seine Welt einfindet und einen etwas homogeneren Roman mit mehr Tiefe abliefert – und weil mir das Setting an sich recht gut gefällt. Aber für das absolut nicht zufriedenstellende Lektorat/Korrektorat muss ich leider nochmal einen abziehen, am Ende kommen wir also auf drei von fünf Punkten.
WILHELMSTADT
DIE MASCHINEN DES SALADIN SANSIBAR
Andreas Dresen
Steampunk-Roman
14. Juli 2014
264 Seiten, 20,2 x 13,8 x 2 cm
12,90 Seiten (Taschenbuch, broschiert)
ISBN-10: 3862822745
ISBN-13: 978–3862822744
ACABUS-Verlag
Coverabbildung Copyright ACABUS-Verlag
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