Als Bryan Singer im Jahr 2000 mit X‑MEN den ersten ernstzunehmenden Marvel-Film machte, war DCs BATMAN-Reihe von Joel Schumacher bereits an die Wand gefahren worden. Zudem ging Singer gleich andere Wege, in dem alle Elemente ausgemerzt wurden, die eine Comic-Verfilmung mit übertriebenen bonbonfarbenen Jugendfantastereien gleichsetzten. Bryan Singer brachte im Falle von Comic-Verfilmungen die X‑MEN augenblicklich und scheinbar unschlagbar ganz nach vorne. Und mit X‑MEN 2 wurde dieser Status wie selbstverständlich noch gestärkt. Superhelden-Filme waren mit einem Mal etabliert und dem Mainstream wie dem Fandom gleichermaßen zum Wohlwollen zugetragen. Die Rechte für X‑MEN hatte Cent-Fox erworben, die Marvel-Studios allerdings behielten den größten Teil an Marvel-Charaktere. Und die Marvel-Studios mussten nachziehen, was sie mit HULK ruhig angehen wollten. Allerdings hatte Regisseur Ang Lee nicht den gleichen künstlerischen Anspruch wie Bryan Singer. Was sich nicht grundsätzlich, aber in diesem Fall als unvorteilhaft erwies. Erst als mit X‑MEN 3 die bisherige Reihe eine Schwachstelle zeigte, zog Marvel erneut mit einer HULK-Verfilmung nach, die aber ebenfalls nicht so vielversprechend endete. Doch die Marvel-Studios hatten einen Plan. Einen Plan, dem Cent-Fox noch heute hinter her hechelt.
X‑MEN war eine Reihe, die ganz schnell ihre cinematische Überlegenheit verlor. Selbst die ORIGINS-Ansätze konnten daran nichts ändern, obwohl man sich hier voll und ganz dem wohl beliebtesten aller X‑Men-Charaktere verschrieb, nämlich Wolverine. Ungeachtet der filmischen Qualitäten der zwei WOLVERINE-Filme, blieb dank Hugh Jackmans Interpretation des unsterblichen Adamantium-Kriegers der unangefochtene Liebling der Kinogänger. Ein Konzeptentwurf dem Bryan Singer zum Glück treu blieb. Matthew Vaughn hatte mit X‑MEN: FIRST CLASS einen Schritt in die Vergangenheit ohne Wolverine gewagt, und damit ganz neue Qualitäten in die Serie gebracht. X‑MEN war zurück im Spiel, obwohl die AVENGERS-Initiative das Action-Kino längst unantastbar übernommen hatte.
Jetzt sind die X‑MEN mit ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT erneut im Gespräch, und trotz der lästigen Anschuldigungen gegen Regisseur Singer ein heißes Eisen. Denn Hauptdarsteller Jackman ignorierte in Presse-Berichten das Gerangel um Rechte und Lizenzen und sprach sich für einen Wolverine-Auftritt im AVENGERS-Universum aus. Doch dem steht nicht Verstand im Weg, sondern blockieren sich kommerzielle Anliegen. Hugh Jackman glaubt, dass eine filmische Allianz mit den Avengers und sein von ihm geprägten Charakter des Wolverine durchaus Sinn machen würde, war die Figur schließlich ebenfalls in die Initiative integriert. Möglich wäre es, denn 20th Century Fox ist ein verbissener Verhandlungspartner, die sogar X‑MEN-Werbung in den Abspann des Sony-Films SPIDER-MAN platzieren konnten. Doch zuerst bestimmt Wolverine noch den aktuellen Film, mit dem Bryan Singer seinen Platz an der Spitze von Hollywoods ersten Regisseuren behaupten kann.
Es herrscht Krieg zwischen Menschen und Mutanten, wie deren Anhängern. Die Städte sind zerstört, Menschen interniert, und die letzten Mutanten werden gejagt und ermordet. Das alles nahm seinen Anfang, als 50 Jahre vorher Mystique den Mann ermordete, der letztendlich für die spätere Vernichtung der Mutanten verantwortlich wäre. Durch diesen Mord an Bolivar Trask wäre die Gefährlichkeit von Mutanten erwiesen. Eine Gefährlichkeit, die Trask auch selbst propagierte, um Maschinen zu erschaffen, welche jeden Mutanten aufspüren und töten können. Ein Zeitsprung könnte das Geschehen rückgängig machen. Kitty Pryde ist es zwar möglich, das Bewusstsein eines Menschen / Mutanten ein paar Stunden in der Zeit zurück reisen zu lassen, aber 50 Jahre würden den Probanden umbringen. Also kann nur jemand nach 1973 zurück gehen, der unsterblich ist, jemand wie Wolverine. Er muss die bereits verfeindeten Magneto und Professor Xavier zusammen bringen, weil sie nur gemeinsam den Mord von Mystique an Bolivar Trask verhindern können. Keine leichte Aufgabe für einen Mutanten, der nicht gerade für sein diplomatisches Geschick bekannt ist.
Gleich zu Beginn der erste nette Einfall, wenn die Fox-Fanfare in John Ottmans X‑Men-Thema endet. Und so geht es aber auch unablässig weiter. Das zentrale Thema ist erneut die immer wieder aufbrechende Kluft zwischen einer verängstigten Menschheit und den missverstandenen Mutanten. Und dass auch ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT in diesem Bereich so hervorragend funktioniert, macht deutlich, dass dieser Konflikt noch lange nicht ausgereizt ist. Die alte Garde mit ihren jungen Alter-Egos aus FIRST CLASS zusammen zu bringen, ist dabei die ganz besondere Herausforderung. Am Ende hätte man sich etwas mehr Interaktion zwischen den zwei Zeitlinien gewünscht. Auf der anderen Seite kann man sich als Zuschauer auch glücklich schätzen, letztendlich geht es um Zeitreisen, was oftmals an ihrer eigenen Logiken zerbricht. Singer umgeht eventuelle Konflikte mit der Logik, indem er sich viel mehr auf den Gehalt der Geschichte und der Entwicklung seiner Figuren stützt. Der Film ist weit weniger actionlastig als seine Vorgänger. Aber wie Singer entsprechende Sequenzen inszenierte ist beispielhaft für das Action-Kino im Allgemeinen. Schnell und dynamisch, doch stets übersichtlich. Eine Sequenz mit Quicksilver umgeht seinen Action-Charakter sogar vollständig, und zeichnet sich als eine der originellsten Szenen in der X‑Men-Reihe aus.
Der Freiraum, den der Film seinen Charakteren und ihren Beziehungen zugesteht, macht sich aber auch bezahlt. Immer wieder offenbaren sich neue, noch unbekannte Wesenszüge bei den Figuren, fügen sich aber perfekt in das bereits bestehende Gesamtbild. So wie sich der gesamte Film in das bestehende Gefüge der Reihe einbindet, und Neues erzählt, ohne Altes zu revidieren, oder zu übergehen. Die ganz hohe Kunst ist dabei, dass eventuelle Vorkenntnisse den Unterhaltungswert extrem erhöhen, aber nicht zwingend notwendig sind. Bryan Singer hat mit seinen ausgezeichneten Darstellern und einer ausgeklügelten Geschichte bewiesen, dass anspruchsvolles Kino im Mainstream immer wieder möglich ist. Und er hat gezeigt, dass Wolverine nicht unbedingt bei der Avenger-Initiative kämpfen muss. Auch wenn es sehr interessant sein würde. Doch wo würde die Kinowelt hinkommen, würden SPIDER-MAN und die X‑MEN ebenfalls in Marvels AVENGERS aufgehen. Es hat schon auch etwas Gutes, dass nicht jeder zweite Blockbuster mit einem anderen verwoben ist, und nur noch aufeinander aufgebaut und ausgebaut wird. Und X‑MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT ist Zeichen genug, dass die Reihe noch immer über genügend eigenständiges Potential verfügt.
X‑MEN: ZUKUNFT IST VERGANGENHEIT – X‑MEN: DAYS OF FUTURE PAST
Darsteller: Hugh Jackman, James McAvoy, Patrick Stewart, Michael Fassbender, Ian McKellen, Evan Peters, Nicholas Hoult, Peter Dinklage, Halle Berry, Ellen Page, Shawn Ashmore, Jennifer Lawrence, u.v.a.
Regie: Bryan Singer
Drehbuch: Simon Kinberg, mit Jane Goldman und Matthew Vaughn
Kamera: Newton Thomas Siegel
Bildschnitt & Musik: John Ottman
Produktionsdesign: John Myhre
131 Minuten
USA 2014
Promofotos Copyright 20th Century Fox of Germany