THE MARVELS – Deutschlandstart 08.11.2023
Okay, ich spreche das gleich als erstes an, dann habe ich es von der Brust und kann mich dem Rest des Films widmen: Ich habe ja schon eine Menge schlechte Synchronisationen gesehen … äh … gehört, und die von Marvel sind bisweilen gar nicht so übel. Aber was hier an Übersetzung … abgeliefert wird, bestätigt mich mal wieder darin, mir den Kram, wann immer es geht, im Original anzusehen. Es kann doch – verdammt noch mal – bei einem Multimillionen-Dollar-Blockbuster nicht sein, dass man ausgerechnet bei der Synchronisation spart? Es kann doch nicht sein, dass man während des Films immer wieder deutlich merkt, dass die Übersetzungen völlig daneben sind? Und es kann doch bei einem Ensemble-Film mit drei Marvel-Varianten, die sich die ganze Zeit Sprüche drücken, nicht sein, dass das Timing bei der Übersetzung so gar nicht stimmt?
Gibt es keine Synchronregisseure mehr? War keine Zeit? Qualitätskontrolle bei Disney im Urlaub?
Mannmannmann.
So, das ist abgehandelt. Puh. Kommen wir zum Film. Es war eine lange Durststrecke seit GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 3. Der erschien im Mai 2023, also vor einem halben Jahr. Nun will ich mich nicht beschweren, denn die Dominanz des MCU im Kino kam an seine Grenzen und auch wenn ich mir das Zeug ständig ansehen kann, so ist Superhero-Fatigue bei anderen Leuten offenbar ein Thema.
Dass THE MARVELS wieder kontrovers werden dürfte, war vorher abzusehen, denn offenbar gibt es immer noch gekränkte Kens, die es nicht ertragen, wenn es in einem Kinofilm aus dem Hause Marvel nur um Frauen geht (sowie es eine Regisseurin und Drehbuchautorinnen gibt). Ignorieren wir die Misogynisten einfach, das ärgert die am meisten.
Zuerst die gute Nachricht: THE MARVELS ist ein mit einer Stunde und 45 Minuten erfrischend kurzer MCU-Streifen. Das tut dem Film auch sehr gut, denn er hat keine Längen und ist durchgängig unterhaltsam. Das Zusammenspiel zwischen den drei Marvels funktioniert ziemlich gut und im Großen und Ganzen macht es Spaß, ihnen beim Agieren zuzuschauen.
Weit vorne ist dabei allerdings Iman Vellani aka Miss Marvel aka Kamala Khan. Was die hier abfeuert macht eine Menge Laune und sie tut das erstaunlicherweise auch deutlich entspannter, glaubwürdiger und treffsicherer als ihre erwachsenen Gegenparts. Ihr beim unbekümmerten Spiel zuzuschauen macht richtig Spaß und sie hat erwartbar auch einige der besten Gags und Sprüche des Films zu verzeichnen.
Überhaupt ist die Comedy stark in diesem Marvel-Film, so stark, dass man sich bisweilen fragt, welche Drogen Regie und Drehbuchautor°Innen genommen haben. Insbesondere die disneyeske Gesangsszene samt frischgebackener Disney-Prinzessin ließ mich ein wenig ratlos zurück, ob ich das lustig oder cringe finden soll. (an der Stelle leider nochmal was zur Synchro: Wenn eine menschenähnliche Alienrasse sich ausschließlich mit Gesang verständig, dann lasst es doch bitte, bitte, in englischer Sprache und untertitelt es! Schlechte Song-Übersetzungen tun ebenso (noch mehr) weh, wie wenn Captain Marvel eine Singstimme hat, die an Animé-Teenager gemahnt. Ich hab gedacht, ich hör nicht richtig …).
Auch die diversen Flerken-Gags waren eigentlich drüber, aber wenigstens witzig und grotesk konsequent durchgezogen – und Samuel L. Jackson darf ebenfalls ein paar grandiose Einzeiler raushauen. Der hat Wiedergutmachung nach dieser unsäglichen Fernsehserie auch bitter nötig. Erfreulich auch das Wiedersehen mit der leicht anarchischen Familie Khan, die erwartbar überfordert durch die Szenerien stolpert.
Leider reichen ein Haufen guter Gags und Sprüche allein nicht aus, um einen Film zu tragen, wenn auch das gutgelaunte Ensemble hilft. Es wird allerdings ein wenig ärgerlich, wenn ein eigentlich unterhaltsamer und sehenswerter Film Logiklöcher und Drehbuchschwächen aufweist, dass man mit einem Kree-Schlachtschiff durchfliegen könnte. Und damit meine ich nicht mal die zusammengelogene MCU-Physik, sowas geht im Superhelden-Kontext selbstverständlich in Ordnung und in der Hinsicht bin ich auch gern bereit, eine Menge zu verzeihen. Wenn aber die eigentlich auslösende Prämisse des Films, der sich zudem direkt auf den ersten CAPTAIN MARVEL-Film bezieht, leider völlig an den Haaren herbei gezogen ist, dann schmälert das zumindest für mich den Spaß doch nicht unerheblich. Und es war auch so unnötig. Mit zwei drei erklärenden Sätzen hätte man das Dilemma einfach lösen können. Ich frage mich, warum sowas niemandem auffällt, oder ob das dem Schnitt auf die Laufzeit zum Opfer gefallen ist. Oder vielleicht der grottenschlechten Synchro. ich denke soeben darüber nach, mir den am Sonntag nochmal im englischen Original anzusehen, um das zumindest herauszufinden.
Ein weiteres Problem ist die Antagonistin. Zawe Ashton hat leider weder das Charisma noch die Präsenz, um die Gegenspielerin adäquat darstellen zu können. Meiner Ansicht nach handelt es sich bei der Idee, sie als große Gegenspielerin zu etablieren um eine eklatante Fehlentscheidung und Fehlbesetzung. Sie weiß weder zu beeindrucken, noch die Rolle auszufüllen und so wird der stellenweise dünnen Handlung leider noch nicht einmal durch eine starke Gegenspielerin etwas entgegen gesetzt. Schade.
Inszenatorisch werden viele Register gezogen und die Austauschmechanik, die die drei Marvels immer wieder die räumlichen Plätze wechseln lässt, ist natürlich ein vortreffliches Plotelement, das auch ausgiebig durchgezogen wird, das aber im Gegensatz zum an den Haaren herbei gezogenen Kernauslöser Spaß zu machen weiß, umso mehr, als die Heldinnen es später selbst zu nutzen in der Lage sind. Außerdem schaffen Kamera und schnitt es beim Verwirrteleportieren vortrefflich, immer so an den Charakteren zu bleiben, dass man trotz des konsequenten Durchziehens der Wechselspielchen immer genau weiß wo und bei wem man gerade ist. Und das ist angesichts des stellenweise stakkatoartigen Switchens der Charaktere und Positionen, das beinahe an Türwechselspielchen aus 50er-Jahre-Komödien erinnert, bemerkenswert.
Nochmal: Ich fühlte mich gut unterhalten und ich habe mich auch nicht allzu sehr geärgert. THE MARVELS ist eine solide Superheldinnen-Klopperei mit viel Spaß und Gags, das leider an einem nicht stringenten, so vor sich hin eiernden Drehbuch leidet, das manchmal nicht weiß, wo es gerade mit den Figuren und der Handlung hin will. Die farblose Antagonistin hilft hier leider ebenfalls nicht. Der Rest ist aber völlig in Ordnung, insbesondere wegen des sichtbar Spaß habenden Ensembles und insbesondere wegen einer herausragenden und fangirlenden Iman Vellani.
Trotzdem konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass man an manchen Stellen im Vergleich zu älteren MCU-Filmen schlicht ein wenig geschludert hat und das so »früher« nicht passiert wäre.
Diesmal gibt es eine prä-Credits-Szene (die teasert auch gleich an, wie es mit Kamala weiter gehen wird und was Marvel so für Jüngere in der Zukunft bereit hält), eine mid-Credits-Szene (holla, die Multiversumsfee) und ein post-Credits-Geräusch. Für letzteres hätte man nicht sitzenbleiben müssen, aber das tut man als Cineastin ja ohnehin, nicht wahr?
Zur mid-Credits-Szene gab es eine Überraschung und die war auch wirklich bemerkenswert (insbesondere, was zukünftige Erweiterungen des Marvel-Universums angeht), allerdings habe ich im MCU noch nie einen derart schlecht gemachten CGI-Charakter gesehen. Musste das dringend fertig werden, hatten sie es tierisch eilig, oder was war da los?
Ach ja: Das Multiversums-Thema lässt man fast vollständig raus, erst ganz am Schluss …
Kann man wirklich mal gucken, langweilt nicht, unterhält im Gegenteil sogar, aber die Drehbuch- und andere Schlampereien hätten nun wirklich nicht sein müssen.
THE MARVELS
Besetzung: Brie Larson, Teyonah Parris, Iman Vellani, Samuel L. Jackson, Zawe Ashton, Gary Lewis, Park Seo-joon, Zenobia Shroff, Mohan Kapur, Saagar Shaikh, Leila Farzad, Abraham Popoola u.v.a.m.
Regie: Nia DaCosta
Drehbuch: Nia DaCosta, Megan McDonnell, Elissa Karasik
Produzent: Kevin Feige
Ausführende Produzenten: Victoria Alonso, Louis D’Esposito, Matthew Jenkins, Mary Livanos, Jonathan Schwartz
Kamera: Sean Bobbitt
Schnitt: Catrin Hedström, Evan Schiff
Musik: Laura Karpman
Produktionsdesign:
Casting: Sarah Finn
135 Minuten
USA 2023
Promofotos Copyright Marvel Studios & Walt Disney Pictures