THE CALL – leg ruhig auf

Posterausschnitt The Call

THE CALL – Bun­des­start 11.06.2013

»9–1‑1, wie lau­tet ihr Not­fall?« Mit stoi­scher Ruhe wer­den die­se Anru­fe ent­ge­gen­ge­nom­men. Kei­ne Hek­tik, kei­ne Panik, zuhö­ren, Rat­schlä­ge geben. Dabei wer­den alle Details sofort in den Com­pu­ter gege­ben, um so umge­hend die für den jewei­li­gen Not­ruf zustän­di­ge Stel­le zu infor­mie­ren. Die Pres­se­map­pe von THE CALL gibt an, dass jähr­lich 188 Mil­lio­nen Anru­fe bei der bekann­ten Num­mer 911 ein­ge­hen. Ob in ganz Ame­ri­ka oder nur in der im Film gezeig­ten Zen­tra­le ver­rät die Map­pe nicht.
Ihre Arbeit ist effi­zi­ent und direkt. Die Men­schen in der Zen­tra­le kön­nen Leben ret­ten, oder Ver­bre­chen ver­hin­dern, aber manch­mal geht es auch ganz böse aus. Wie bei Hal­le Ber­rys Figur Jor­dan Tur­ner, die den Not­ruf eines jun­gen Mäd­chens an die Poli­zei wei­ter­ge­ben kann, den­noch ihren Tod nicht ver­hin­dern kann. Bei der Insze­nie­rung die­ser Sze­ne ist auf­fal­lend, dass die Poli­zei genau­so lan­ge zum Tat­ort braucht, bis der Ver­bre­cher sich aus dem Staub machen kann. Dabei hat die­ser sich schon extrem viel Zeit gelas­sen, obwohl er vom Not­ruf wuss­te. Also, ganz so schlau und span­nend ist das dann doch nicht.

1966 kam der Film STIMME AM TELEFON mit Sid­ney Poi­tier und Anne Ban­croft in die Kinos. Ban­croft hat eine Über­do­sis Schlaf­ta­blet­ten geschluckt, und möch­te bis zu ihrem Able­ben mit jeman­den reden. Am Seel­sor­ge-Tele­fon sitzt Poi­tier, der uner­müd­lich mit ihr spricht, aber heim­lich ein paar Tech­ni­ker los­schickt, die den Anruf zurück­ver­fol­gen sol­len. Das ist span­nend und ner­ven­auf­rei­bend. Die inten­si­ven Dia­lo­ge wech­seln mit den gehetz­ten Tech­ni­kern, die von Relais-Sta­ti­on zu Relais-Sta­ti­on eilen, um die Ver­bin­dung her­aus­zu­fin­den. Das mit dem zurück­ver­fol­gen der Num­mer ist heut­zu­ta­ge natür­lich über­holt, aber den­noch könn­te man ein ähn­li­ches Sze­na­rio erwar­ten, wenn Hal­le Ber­ry einen Not­ruf ent­ge­gen nimmt. Aber Autoren und Regie woll­ten doch in eine ganz ande­re Rich­tung. Sechs Mona­te nach ihrem ver­hee­ren­den letz­ten Not­ruf, ist Jor­dan Tur­ner zur Aus­bil­dungs­ab­tei­lung gewech­selt. Wie jemand die Aus­bil­dung über­neh­men kann, wenn er per­sön­lich am akti­ven Platz geschei­tert ist, bleibt ein wei­te­res unge­lös­tes Rät­sel. In kur­zen Pha­sen erin­nert THE CALL anfäng­lich an den Wal­ter-Matthau-Thril­ler TODESFAHRT DER U‑BAHN 1–2‑3. Die Stu­den­ten in der rie­si­gen Zen­tra­le, und die Hel­den mit­ten­drin, als die Kri­se beginnt. Aber die Anlei­hen an dem groß­ar­ti­gen Vor­bild ver­schwin­den schnell wie­der, hät­ten dem Film im wei­te­ren Ver­lauf auch sehr gut getan. Aber Buch und Regie woll­ten wei­ter in eine ande­re Richtung.

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Es gibt eine Sze­ne, wo Jor­dan Tur­ner alte Auf­zeich­nun­gen stu­diert, die mit einer Tota­len der mit min­des­tens drei­ßig Plät­zen aus­ge­stat­te­ten Zen­tra­le beginnt. Nur, dass die aller­we­nigs­ten Plät­ze besetzt sind. Will man damit sagen, dass in den Abend­stun­den die 9–1‑1-Anrufe weni­ger wer­den? Es ist für die Dra­ma­tur­gie viel­leicht för­der­lich, aber weit­ab von jeder Rea­li­tät. Ein wei­te­res Rät­sel, war­um der Film sich nicht um Rea­lis­mus bemüht. Doch dann gibt es doch noch eine star­ke Wen­dung. Jor­dan kann mit einem ent­führ­ten Opfer Kon­takt auf­neh­men, das in einem Kof­fer­raum her­um gefah­ren wird. Der Ent­füh­rer bemerkt wäh­rend der lan­gen Fahrt nicht die Ver­bin­dung zwi­schen sei­nem Opfer und der Not­ruf­zen­tra­le. Es ent­spinnt sich eine bemer­kens­wert span­nen­de Sequenz, bei der man unwei­ger­lich hofft, sie wür­de nicht enden. In die­sen fünf­zehn Minu­ten zeigt Regis­seur Brad Ander­son, dass viel Poten­zi­al in der Geschich­te steckt, wel­ches er auch ange­mes­sen umset­zen könn­te. Aber das Buch und sei­ne Inten­ti­on gehen wei­ter­hin in eine ande­re Rich­tung. Die Kof­fer­raum-Sequenz wird beim Zuschau­er hän­gen blei­ben. Über den Rest wird man strei­ten können.

Denn da sind zum einen die unsäg­li­chen Flucht­ver­su­che. Wenn immer ein Cha­rak­ter in Not, die Chan­ce zur Flucht erhält, stellt die­ser sich dabei so däm­lich an, dass ein Kopf­schüt­teln unver­meid­lich wird. Allein in einer gewis­sen Situa­ti­on an einer Tank­stel­le, fragt man sich, was der Regis­seur unter Span­nung ver­ste­hen mag, wenn er die­sen Moment so kata­stro­phal unglaub­wür­dig umsetzt. Wenn dann der drit­te Akt beginnt, dann beginnt man zwangs­läu­fig die Lein­wand anzu­schrei­en, dass man dies erwar­tet hat­te, aber ein­fach nicht glau­ben woll­te. THE CALL ent­fernt sich voll­kom­men vom inspi­rier­ten Span­nungs­ki­no und wirft unglaub­wür­di­ge Stan­dard­si­tua­tio­nen in den Topf. Das hat man kom­men sehen, woll­te man aber nicht. Dass im letz­ten Moment sogar Splat­ter-Momen­te ein­flie­ßen, setzt dem Gan­zen noch die Kro­ne der Unge­reimt­hei­ten auf. Der Film ver­kommt zum Patch-Work von Stan­dards, Kli­schees und feh­len­der Inspiration.

Nun gibt es Thril­ler die kom­men und gehen. Leid­lich span­nend, manch­mal effi­zi­ent. Nur wenn man Hal­le Ber­ry auf dem Call-Sheet ste­hen hat, dann darf Zuschau­er und Kri­tik eini­ges erwar­ten. Auch wenn CATWOMAN noch nicht solan­ge her ist, darf es längst ver­ges­sen sein. Wer aller­dings dafür ver­ant­wort­lich ist, dass eine bekannt­lich her­aus­ra­gen­de Dar­stel­le­rin wie Hal­le Ber­ry sich mit einer der­art aber­wit­zi­gen Fri­sur zei­gen muss, der soll­te auch tat­säch­lich zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den. Selbst die genüg­sams­ten Cine­as­ten dürf­ten sich nicht damit abfin­den, dass eine der aktu­ell attrak­tivs­ten Schau­spie­le­rin­nen mit einem Krä­hen­nest auf dem Kopf durch einen Film lau­fen muss. Es scheint nicht fair, so etwas Bana­les anzu­spre­chen, aber es bleibt ein­fach Fakt für die Wahr­neh­mung des Zuschau­ers. Hal­le Ber­ry wur­de mit einer Fri­sur insze­niert, die ein­fach lächer­lich aus­sieht. Aber letzt­end­lich liegt es dann doch nicht an Hal­le Ber­rys Fri­sur, dass die­ser Film ein­fach nicht die rich­ti­ge Rich­tung fin­det. Es ist nur ein wei­te­rer stö­ren­der Fak­tor in einem all­ge­mein inko­hä­ren­ten Film.

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THE CALL
Dar­stel­ler: Hal­le Ber­ry, Abi­ga­il Bres­lin, Micha­el Eklund, Mor­ris Chest­nut, Micha­el Impe­rio­li, David Otun­ga, Roma Maf­fia u.v.a.
Regie: Brad Anderson
Dreh­buch: Richard D’Ovidio, mit Nico­le D’Ovidio und Jon Bokenkamp
Kame­ra: Tom Yatsko
Bild­schnitt: Avi Youabian
Musik: John Debney
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Fran­co-Gia­co­mo Carbone
zir­ka 94 Minuten
USA 2013
Pro­mo­fo­tos Copy­right TriS­tar Pic­tures / Squa­re One Entertainment

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