Kann Spuren von Spoilern enthalten – aber nicht wirklich viele.
[Update 15:30] SLEEPY HOLLOW gibt es seit heute auch im deutschen iTunes-Store. Die gesamte erste Staffel in HD für knapp 9 Euro.
Dank sei den Errungenschaften der modernen Technik. Heutzutage benötigt es ja glücklicherweise nichts mehr als einen VPN-Anbieter zur Verschleierung, aus welchem Land man kommt, der Anmeldung bei einem legalen Streamingservice und etwas Computer-Fu, um sich auch aktuelle US-Serien kurz nach deren Start ansehen zu können (wer dazu mehr wissen will: in der letzten Ausgabe der Computerzeitschrift c´t finden sich Details. Die VPN-Zugänge werden beispielsweise von US-Amerikanern im Ausland genutzt, um nicht durch Geolokation ausgesperrt zu werden. Da kommt man mit ein wenig Aufwand auch als Europäer ran. Man kann aktuelle Shows dann beispielsweise bei iTunes oder Google Play sehen).
Das Objekt meiner Begierde war selbstverständlich die Serienfassung von Irvings THE LEGEND SLEEPY HOLLOW, deren Trailer sehr gut aussahen und bei der man eigentlich nur der Ansicht sein konnte: Das muss schief gehen.
Doch da hat man die Rechnung ohne die Drehbuchautoren und Mitproduzenten Orci und Kurtzman (STAR TREK-Reboot) gemacht, denn die sollte man nie unterschätzen. SLEEPY HOLLOW ist nicht perfekt, aber es ist gut realisierte Grusel-TV-Unterhaltung, die in ihrem Pilotfilm eine reich ausstaffierte Bühne für eine Menge potentiell interessanter Folgen bereitet.
In den ersten Szenen sehen wir offenbar den US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, Kolonisten kämpfen gegen Rotröcke und der Soldat, der sich wenig später als Ichabod Crane herausstellt, bekommt es mit einem maskierten Hünen zu tun, dessen Waffe die Axt ist und der eine merkwürdige Narbe auf dem Handrücken trägt. Der Kampf verläuft nicht sonderlich gut, Crane wird schwer verletzt, aber schafft es mit letzter Kraft – und etwas Glück – den Hünen zu enthaupten. Dann wird er bewusstlos …
… und wacht in einer Grube in einer Höhle wieder auf. Verwirrt verlässt er den Ort und stolpert durch den Wald, um einen für ihn höchst eigentümlichen, glatten Weg mit gelben Streifen in der Mitte zu finden, auf dem er fast überfahren wird. Was der Protagonist noch nicht weiß: Er ist in unserem Heute angekommen.
Was sich zuerst anhört wie ein eher schlechter B‑Film, zeigt sich in den nächsten 40 Minuten als handwerklich gut gemachte Fernsehunterhaltung, die mit Versatzstücken aus der Bibel spielt, wie man es ansonsten nur aus Kinofilmen wie beispielsweise GOD´S ARMY oder DAS OMEN kennt. Dabei schafft Regisseur Len Wiseman (UNDERWORLD) es nicht nur, eine spannende Handlung zu erzählen, baut dazu nicht nur die Charaktere prima auf, sondern präsentiert das Ganze auch noch auf eine – selbstverständlich im Genre-Kontext – glaubwürdige Art und Weise.
Besonders erfreulich ist, dass dabei die Charakterinteraktion zwischen dem in Heute versetzten Ichabod (der dadurch natürlich zivilisationsgeschockt ist) und der schwarzen Polizistin Abbie Mills hervorragend funktioniert und trotz der grimmen Umstände, die sich in kürzester Zeit entwickeln, Raum für ein bisschen Situationskomik lassen, die allerdings passenderweise im Fingerhut serviert wird, statt im Eimer. Das hätte mit etwas weniger Fingerspitzengefühl wirklich zu einem B‑Film im Stile gewisser grottiger SyFy-Produktionen werden können. Das geschieht jedoch nicht, ganz im Gegenteil. Für den Detail-Freund sind neben den Wortgefechten der beiden grandios miteinander agierenden Hauptfiguren im Hintergrund jede Menge kleine Dinge zu entdecken, die ähnlich wie bei FRINGE aber erst mal gefunden werden wollen. Achtet beispielsweise mal auf das Ortsschild von SLEEPY HOLLOW oder was mit dem Verkehrsschild »Reiten erlaubt« passiert.
Davon abgesehen spielen Nicole Beharie und Tom Mison aber auch, dass es einer Freude ist. Insbesondere letzterer begegnet seiner Versetzung in eine ferne Zukunft mit einer Mischung aus leiser Verzweiflung und losem Mundwerk. Das macht Spaß. Und glücklicherweise ist die Figur des Forschers, der zufällig zum Rebellen und Soldaten wurde, so angelegt, dass er nicht auf einmal der Über-Kämpfer ist. Er hat dem dämonischen kopflosen Reiter nicht genug entgegen zu setzen.
Auch kinematografisch wird die düstere Stimmung durch entsprechende Einstellungen, Farben und Kamerafahrten vortrefflich herübergebracht, handwerklich ist das sicherlich vor vielen anderen Genre-Serien.
Und was die Handlung angeht: Es werden gleich im Piloten reichlich offene Enden und Merkwürdigkeiten geschaffen, damit das nicht nach ein oder zwei Folgen abgegriffen wirkt, als habe man einen Filmplot künstlich auf eine Serie ausgedehnt. Wer Orci und Kurtzman kennt, der weiß, dass sie durch eine Vermengung von Einzelepisoden und übergreifendem Handlungsbogen den Zuschauer bei der Stange halten können, siehe beispielsweise bei HAWAII FIVE-OH. Das mit den abgetrennten Einzelepisoden wird dabei hier vermutlich eher seltener vorkommen, ich denke nach dem Pilotfilm, dass die Handlung straff vorangetrieben wird.
SLEEPY HOLLOW hätte übelst ins Auge gehen können, aber tatsächlich macht der Pilot mächtig Lust auf mehr von diesem kurzweiligen Grusel, so dass man kleinere Schwächen (meist ein nicht ganz zündender Gag) gern vergibt und hofft, dass sich die abzeichnende Chemie zwischen den Hauptfiguren weiter entwickelt und die Drehbücher sowie die folgenden Regisseure das hohe Niveau des Erstlings werden halten können.
Erstmal sage ich aber: alle Daumen hoch! Und an alle Vorab-Nörgler, die geweissagt haben, dass das sowieso nichts werden kann: geht woanders spielen! ;o)
SLEEPY HOLLOW – PILOT
Darsteller: Nicole Beharie, Tom Mison, Clancy Brown, John Cho, Richard Cetrone, Orlando Jones u.v.m.
Regie: Len Wiseman
Drehbuch: Phillip Iscove, Alex Kurtzman, Roberto Orci
Ausführende Produzenten: Philip Iscove, Heather Kadin, Alex Kurtzman, Roberto Orci, April Nocifora, Len Wiseman
Coproduzent: Damian Kindler
Kamera: Kramer Morgenthau
Schnitt: John Refoua
Besetzung: Kate Caldwell
Musik: Brian Tyler
Fox Television
Länge: ca. 45 Minuten
USA 2013
Promofotos Copyright Fox Television
Das fängt ja schon mal gut an! Stimme voll deiner Rezi zu!