1991. Drei Gangster überfallen eine Bar, werden aber von Detective Matthew Scudder gestellt und auf offener Straße erschossen. Der gnadenlose Einsatz des alkoholkranken Scudder endet allerdings in einem fürchterlichen Desaster. Diese Einstiegssequenz ist eine der ganz wenigen Action-Szenen, die sich der Film leistet. Er rückt Liam Neeson wieder etwas von seinem Übermensch-Image weg, zum Charakter-Darsteller der er eigentlich ist. Mit dem bereits bereits in Postproduktion befindlichen TAKEN 3 wird der Fan knallharter Action sowieso bald wieder zufrieden gestellt. RUHET IN FRIEDEN begibt sich mehr in die Hände des Thrillers und gibt noch einen Schuss Drama hinzu. Scott Frank hat hier erst seinen zweiten Spielfilm inszeniert, und das nach sieben Jahren. Dass er allerdings das Drehbuch selbst verfasste, macht aus RUHET IN FRIEDEN fast schon eine sichere Wette. Denn Romanverfilmungen kann Scott Frank, wie MARLEY & ICH schon bewies, und er beherrscht auch alle weiteren Genres. Für Kenneth Branagh schrieb er den Thriller DEAD AGAIN, für Spielberg die Zukunftsvision MINORITY REPORT, oder überzeugte mit einem Remake wie FLUG DES PHÖNIX. Einem Menschen wie Scott Frank kann man sich also anvertrauen, auch wenn man vielleicht andere Kost serviert bekommt, als man zuerst annehmen würde.
1999. Die Welt ist in Sorge wegen der Jahrtausendwende. Und wie einer der Protagonisten proklamiert, fürchtet sich der Mensch immer vor den falschen Dingen. Vor diesem Hintergrund ist es die Entführung einer Frau, die trotz Lösegeldzahlung grausam verstümmelt und ermordet wurde. Matthew Scudder ist mittlerweile trocken und trägt die Marke eines privaten Ermittlers. Ein Drogenschieber bietet dem Detektiv eine beträchtliche Summe, um die Mörder seiner Frau ausfindig zu machen. Selbstverständlich um diese dann der Selbstjustiz zu überstellen. Immer noch mit dem Gewissen eines Ordnungshüters muss Scudder natürlich ablehnen, ausgerechnet einem Drogenhändler bei so einer Tat zu unterstützen. Doch die Grausamkeit und das kaltblütige Vorgehen der Entführer setzt Matthew Scudder so weit zu, dass er den Auftrag entgegen seiner Vorsätze annimmt. Bei seinen Ermittlungen stellt er fest, dass es noch mehr Drogenhändler gibt, welche ihre Frauen auf diese unglaublich abstoßende Weise verloren haben. Das Motiv scheint also nicht unbedingt Geld zu sein. Unvermittelt steht der Gesetzeshüter Scudder auf der Seite der Kriminellen, die ihre Art von Gerechtigkeit einfordern.
RUHET IN FRIEDEN basiert auf dem zehnten Roman der Matthew-Scudder-Reihe von Lawrence Block. Und es ist ein gelungener, sehr gegen den Strich gebürsteter Thriller geworden. Vor allem weil sich Scott Frank durchaus auch die Zeit für seine Charaktere genommen hat. Mit einem Mal verkehrt sich Scudders Welt, der nur das Schlimmste verhindern will, dadurch aber zwangsläufig mit dem erlauchten Kreis New Yorker Drogenbosse ein Bündnis eingehen muss. Und wer wäre dafür prädestinierter als Liam Neeson, einer der wenigen, die allein mit Blicken so viel sagen können. Und unvermittelt sieht sich der Zuschauer mit dem Helden auf der eigentlich falschen Seite. Da hat Frank wirklich sehr viel Fingerspitzengefühl bewiesen, wie er plötzlich den Spieß dreht, und aus bösen Kerlen greifbare Menschen macht. Dafür hat er die Entführer Albert und Ray zu solch hässlichen Figuren gemacht, dass man als Zuschauer über die eigene Radikalität erschrickt, mit welcher man diese Bestien über die Klinge springen lassen würde. Anfangs kann man die hervorragenden David Harbour und Adam David Thompson als Ray und Albert nicht erkennen. Die Kamera hält ihre Gesichter immer im Schatten, oder holt die Köpfe erst gar nicht ins Bild. Diese Anonymisierung schafft eine sehr unangenehme Atmosphäre, die dem Thrill auch noch eine Portion Gänsehaut beisteuert.
Zur Halbzeit wechselt dann der Tenor des Films, wenn man mit allen Figuren vertraut ist, und Scudder mit Albert und Ray persönlich in Kontakt steht. Von diesem Punkt an ist alles offen, alles ist möglich, und jede Figur wird unberechenbar. Von hier an muss der Film keine zusätzlichen Spannungsebenen mehr aufbauen, weil die Marken gesetzt sind und das Grundszenario die Atmosphäre halten kann. Am Ende gönnt Scott Frank sich und einem dankbaren Zuschauer, einen sehr ungewöhnlichen Showdown mit eingefrorenen Szenenbildern und den 12 Schritten des Anonymen Alkoholikers. Damit unterstreicht RUHET IN FRIEDEN seine Intention, nicht nur einfach Thriller sein zu wollen, sondern das menschliche Drama als wichtigsten Bestandteil darin zu sehen. Ein sehr spannender Film, weil er seine verschiedenen Elemente ganz homogen zusammen bringt, und somit alles möglich macht. Scott Frank sollte also bitte nicht wieder sieben Jahre warten, bis er seine nächste Regiearbeit angeht.
RUHET IN FRIEDEN – A WALK AMONG THE TOMBSTONES
Darsteller: Liam Neeson, Dan Stevens, Brian ‘Astro’ Bradley, Boyd Holbrook, David Harbour, Adam David Thompson, Sebastian Roché, Whitney Able, Stephanie Andujar, Ólafur Darri Ólafsson, Eric Nelsen, Laura Birn u.a.
Drehbuch & Regie: Scott Frank, nach Lawrence Blocks Roman
Kamera: Mihai Malaimare Jr.
Bildschnitt: Jill Savitt
Musik: Carlos Rafael Rivera
Produktionsdesign: David Brisbin
114 Minuten
USA 2014
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