Nach nur einem Jahr schiebt Autor und Regisseur James DeMonaco eine Fortsetzung zu dem Überraschungshit THE PURGE nach. Ein Film, bei dem die Faszination über die Logik siegte. War dieser allerdings noch ein kammerspielartiger Thriller, geht DeMonaco dem Gesetz der Serie zufolge natürlich einen Schritt weiter. Erlebte man diese neue amerikanische Ordnung anfangs aus der Perspektive des in sich geschlossenen Refugiums der vermeintlichen Opfer, zeigt uns DeMonaco nun die Welt draußen auf der Straße, wenn Purge im Gange ist.
Der Hintergrund ist auf der einen Seite tatsächlich hirnrissig, auf der anderen Seite birgt er unverhohlen eine anziehende Begehrlichkeit. Amerika war wirtschaftlich und sozial am Boden, was in 2016 sein wird. Die »Neuen Gründungsväter von Amerika« erließen ein Verordnung, dass einmal im Jahr für genau 12 Stunden alle Gesetze aufgehoben sind. Alle Verbrechen werden in dieser Zeit straffrei bleiben, erlaubt sind allerdings nur Waffen, so klärt einen der Film auf, bis Klasse 4. Was bedeutet, dass man sich auch noch mit einem schweren Maschinengewehr austoben kann. »Purge« bedeutet Säuberung, und so funktioniert auch dieses System. Während Reiche und der gehobene Mittelstand sich mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen in dieser bestimmten Nacht verbarrikadieren können, werden natürlich Arme und Obdachlose die ersten Opfer von Menschen, die gerne morden und foltern. Die Purge-Night, also die Nacht der Säuberung, hat die Kriminalitätsrate gesenkt, und die Armut fast abgeschafft. Eine Institution, die also aufgeht.
Vom vermeintlich sicheren Heim, dem amerikanischen Inbegriff von Sicherheit, führt James DeMonaco den begierigen Zuschauer nun auf die Straße. Das Schicksal bringt fünf Menschen zusammen. Ein Pärchen, dessen Auto zu Beginn der Purge-Night liegen bleibt, eine Mutter mit ihrer Tochter, die durch »Säuberer« aus ihren vier Wänden getrieben wurden, und ein Polizist, über dessen Mission man kaum etwas erfährt, aber der definitiv durch ein sehr persönliches Anliegen getrieben wird. Jeder andere Mensch in den Straßen von Los Angeles ist also potentieller Gegner, der wirklich nur so viel Schaden anrichten will, wie er kann. Und dieses Szenario hat einfach etwas Faszinierendes, egal wie unlogisch es erscheinen mag, oder wie unsinnig diese Prämisse in Wirklichkeit ist. Dementsprechend spannend ist auch diese zweite Auflage einer Purge-Night geworden. Begleitet durch die wirkungsvoll elektronischen Klänge von Nathan Whitheads Soundtrack, baut der Film schon in den ersten eigentlich harmlosen Szenen die Atmosphäre intensiv auf. Neben der Kamera ist der Soundtrack eines der wichtigsten Instrumente für James DeMonacos funktionierendes Szenario.
Besonders beeindruckend ist in erster Linie, dass Jaques Jouffrets Bilder ein wirklich menschenleeres Los Angeles vorzugaukeln verstehen. Hier hat das Produktionsdesign perfekte Arbeit geleistet. Mit sehr geringen Mitteln, also einem Budget von zirka 9 Millionen Dollar, gelang ein wirkliches Endzeit-Szenario, welches in seiner angedachten Größe glaubhaft und atmosphärisch überzeugend bleibt. Dabei ist der Thriller dem Action- und Horror-Genre gewichen. Auch wenn einige Szenen allzu sehr nach einem Splatter-Fest schmachten, geht es DeMonaco doch eher gemächlich an, und schneidet schneller weg, als der Zuschauer blutige und grausame Situationen anschaulich dargeboten bekommt. Aber Vorsicht, Freunde der gediegenen Unterhaltung, THE PURGE: ANARCHY birgt trotz allem genügend Szenen, die ein leidvolles Sterben zeigen und auskosten. Man muss als Genre-Freund einfach zugeben, dass es eben exakt diese Schauwerte sind, die einen solchen Film reizvoll machen. Losgelöst von jeder Logik kann jeder Person einfach alles passieren. Aber so funktionieren eben auch gute Action-Thriller. Und ANARCHY hat genug Momente, wo dieser Augenblick von »alles ist möglich« auch umgesetzt ist.
An dieser Stelle heißt unser Held Frank Grillo, der sich nur als unser Held auszeichnet, weil er das richtige tut, welches er eigentlich nicht tun möchte. Bisher musste sich Grillo immer als Nebendarsteller behaupten, und kann hier endlich einmal sein Potential unter Beweis stellen, einen Film durchaus alleine zu stemmen. In weiten Teilen erinnert seine Figur stark an den getriebenen Polizisten Rick Grimes, der so einnehmend von Andrew Lincoln in WALKING DEAD verkörpert wird. Das stimmige Ensemble wird eigentlich nur von Carmen Ejogo und Zoë Soul in Unruhe versetzt, die kaum als Mutter und Tochter überzeugen, sondern eher als Geschwister durchgehen würden.Alles worauf PURGE: ANARCHY hinarbeiten, ist natürlich ein dritter Teil. Denn, auch wenn ANARCHY eine gelungene Fortsetzung ist, ist er kein rundherum stimmiger Film. Auch wenn ANARCHY trotz seines zu bezweifelnden Hintergrundes eine spannender, einnehmender Action-Thriller ist, offeriert er immer wieder weit mehr Potential, als Macher James DeMonaco letztendlich dem Zuschauer preis gibt. Selbstverständlich hat die bisherige Filmreihe eine Vielzahl von angedeuteter Gesellschaftskritik, welche sie mitunter sehr bedeckt, aber oftmals auch sehr offensichtlich zur Schau trägt. Was sich allerdings in weiteren Teilen relativieren dürfte. Mit nur zwei Teilen ist THE PURGE beim interessierten Publikum angekommen und etabliert. Auch wenn es in diesem Teil mit den Szenen bei der Versteigerung wirklich allzu plump und offensichtlich in eine pseudopolitische Kritik geht, könnte der eigentliche Hintergrund dieser zwei Filme noch die eine oder andere Überraschung für weitere Geschichten bereit halten.
Dass PURGE: ANARCHY als ein idealer Träger für die Verbindung von Teil Eins und weiteren Fortsetzungen fungieren könnte, macht den Film nicht zu einem unterhaltsamen Einzelstück. PURGE: ANARCHY wird seinem Titel durchaus gerecht, und präsentiert seinem fiebrigen Publikum durchaus eine anarchistische Geschichte von »Sein« und »Könnte«, welche sich in ihrem ganz speziellen Setting einfach als logisches Szenario einnisten wird. Denn PURGE: ANARCHY wird einen dritten Teil aus der Taufe heben, egal wie sinnig oder unsinnig es erscheinen mag, darüber hat längst das zahlende Publikum entschieden. Letztendlich bleibt es natürlich den Händen der produzierenden Studios überantwortet. Was sich aber nach nur zwei Filmen als einträgliche Geldmaschine etabliert hat, wird nicht einfach links liegen gelassen. An dieser Stelle ist es den Machern angetragen, die eigentlich fragwürdige Grundprämisse entsprechend zu behandeln, um das Interesse nicht abreissen zu lassen.
Oder ist es am Ende gar nicht so unsinnig? Hat vielleicht die Vorstellung einer sich selbst reinigenden Gesellschaft weit mehr aktuellen Gehalt, als man unterhaltungstechnisch bei einem Kinofilm wahrhaben möchte? Das macht aus THE PURGE: ANARCHY nicht einfach nur bloße Unterhaltung, die mitunter sehr künstlerisch verspielt scheint, sondern einen Film, der sich seiner zweifelhaften Aussagen, aber auch Aufgaben durchaus bewusst ist. Umso eindringlicher sollte man einen dritten Teil im Auge behalten. Sollte dieser ebenfalls bereits nach einem Jahr das Kino-Licht der Welt erblicken, hatte James DeMonaco bereits seit längerem einen Plan in der Schublade. Wenn nicht, kann man nur das Beste hoffen.
THE PURGE: ANARCHY
Darsteller: Frank Grillo, Carmen Ejogo, Zach Gilford, Kiele Sanchez, Zoë Soul, Justina Machado, John Beasley, Jack Conley, Noël Gugliemi u.a.
Drehbuch & Regie: James DeMonaco
Kamera: Jacques Jouffret
Bildschnitt: Vince Filippone, Todd E. Miller
Musik: Nathan Whitehead
Produktionsdesign: Brad Ricker
103 Minuten
USA 2014
Bildrechte: Universal Pictures International