Den Anfang macht die Autorin Diandra Linnemann mit ALLERSEELENKINDER, dem ersten Buch aus einer Trilogie von Urban Fantasy-Romanen.
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ALLERSEELENKINDER
Es gestaltete sich wesentlich schwieriger, ins Auto zu kommen, als es gewesen war, auszusteigen. Es kostete mich einige akrobatische Kunststücke, mich durch den schmalen Spalt zu quetschen. Ich stieß mir den Kopf am Türrahmen und fluchte unterdrückt. Falk hingegen glitt mühelos in die verschlissenen graubunten Polster und zog seine Tür ins Schloss. »Hast du irgendwas dazugelernt?«
»Willst du etwa Privatdetektiv werden?« Ich zückte mein Mobiltelefon und tippte eine kurze SMS. Die Antwort kam so prompt, als hätte man auf uns gewartet. Was für ein Service. UNTER DER NORDBRÜCKE. Das war schnell zu erreichen. Ich wischte ein paar widerspenstige Haarsträhnen beiseite und betätigte die Zündung. Der kleine Motor sprang artig an und summte, während ich mich verrenkte, um einen Blick nach hinten zu werfen. Vorsichtig manövrierte ich den Wagen rückwärts und auf die Straße.
»Ah, ich verstehe. Ich soll stark aussehen und den Mund halten.«
»Das klingt nach einer guten Idee.« Ich gab Gas und fuhr bis zur nächsten Ampel. »Versteh mich nicht falsch, aber ich bin ein Einzelkind. Ich teil nicht gern, weder Spielzeug noch Arbeit.«
Als die Ampel auf Grün umschaltete, bog ich nach links ab und beschleunigte. Der Verkehr war dicht. Ohne den Blick von der Straße zu nehmen, schaltete ich das Radio ein, und das Geplauder des Moderators füllte den Wagen. Dann folgte belanglose Popmusik.
Falk sah eine Weile aus dem Fenster, dann drehte er sich zu mir um. »Sag mal… darf ich dich trotzdem was fragen?«
»Klar.« Ich setzte den Blinker, wechselte die Spur und gab Gas. Die Kennedy-Brücke war voller Tauben, die unmotiviert von einem Geländer zum nächsten flogen. Man konnte Petersberg und Drachenfels klar erkennen, als müsse man nur die Hand nach ihnen ausstrecken. Unter uns tuckerten hoch beladene Lastkähne rheinaufwärts.
Er zögerte einen Moment. »Was genau machst du eigentlich?«
Da war sie, die Frage, die ich so sehr hasste. »Ich bin eine Hexe.«
»Und was machst du?«
»Wie, was ich mache?« Ich konzentrierte mich aufs Fahren. »Hexen hexen. Ist doch logisch.«
Er verschränkte die Arme über der Brust. »Das weiß ich, aber wie verdient man damit seinen Lebensunterhalt?«
Ah. »Nun… manchmal veranstalte ich zum Beispiel Familienzusammenführungen mit Verstorbenen.«
»Spiritistische Sitzungen also.«
»So ähnlich. Minus das ganze alberne Brimborium.« Ich dachte einen Moment nach. »Und natürlich führe ich auch Rituale für andere Leute durch.«
»Sowas wie Liebeszauber?« Er grinste. Seine Zähne waren wirklich unglaublich weiß.
»Nein, die nicht. Segnungen, Bannungen, Handfastings.« Ich kannte einige Hexen, die sich auch für Liebeszauber nicht zu schade waren, aber ich hatte meine Standards. Außerdem waren das diejenigen Zauber, die am häufigsten schiefgingen – oder wenigstens nicht so endeten, wie der Auftraggeber es sich vorgestellt hatte – und anschließend hatte man dann eine Klage am Hals und musste sich anhören, man habe den falschen Kristall benutzt oder sich für die Anrufung in die falsche Richtung gedreht. Es war so gut wie unmöglich, solche Sachen vor Gericht zu klären.
»Die Frau gerade hat erwähnt, dass deine Mutter auch…« Er bemerkte, wie mein Mund sich verzog, und sprach hastig weiter. »Bist du bei ihr in die Lehre gegangen?«
»Irgendwie schon. Häufig ist das Talent für Magie jedoch erblich begünstigt.« Für einen kurzen Moment dachte ich an die diversen Anfragen, die ich in der Vergangenheit von wissenschaftlichen Instituten bekommen hatte. Jeder wollte mein Blut. Für DNS-Tests. Natürlich hatte ich immer abgelehnt.
»Und wie stelle ich mir das vor? Bist du eine Art magischer Tausendsassa? Ist das so wie im Fernsehen, wo alles mit einem Fingerzeig passiert?«
»Was glaubst du wohl?« Ich warf ihm einen schnellen Blick zu, ehe ich mich wieder auf die Straße konzentrieren musste. »Natürlich passiert nicht alles mit einem Fingerzeig. Und ich kann auch nicht die Realität ändern, indem ich mit den Fingern schnippe.« Leider. »Mein Talent liegt in erster Linie im Aufspüren von Energien und Gegenständen.«
»Und Personen?«
»Das werden wir jetzt herausfinden.«
Unter der Nordbrücke bog ich von der Straße ab, bremste und stellte den Motor ab. Alles war ruhig. Einige Autos waren weit verstreut um uns herum geparkt. Am anderen Ende des Parkplatzes sah ich zwei Apothekenwagen nebeneinander stehen. Ein paar Männer luden Kisten mit Medikamenten um, schlugen die Türen der Kastenwagen zu und fuhren nach kurzem Gruß wieder weiter. Ich zog mein Nokia aus der Tasche.
Falk lachte. »Was soll das sein – ein Briefbeschwerer? Die Dinger werden doch seit mindestens zehn Jahren nicht mehr verkauft.
Was sollte ich dazu sagen? »Man kann damit telefonieren.« Ich wählte die Nummer, die Stelters mir gegeben hatte, und wartete auf Antwort. Am anderen ende wurde gesprochen. Ich lauschte kurz, antwortete: »Ich bin am Treffpunkt.«
Mein Gesprächspartner legte einfach auf, und plötzlich tauchten Figuren in den Schatten hinter den Betonpfeilern auf. Ich zuckte zusammen. Schwarze Kapuzenshirts, abgewetzte Baggy-Jeans, Sonnenbrillen – Sonnenbrillen? Im Oktober? Ich schüttelte den Kopf, öffnete meinen Sicherheitsgurt und stieg aus. Es roch nach Kläranlage. Die Beifahrertür klappte. Gut, offenbar wusste Falk, wie das lief. Als mir bewusst wurde, dass ich dabei war, diesem Fremden mein Leben anzuvertrauen, beschleunigte mein Puls. Wieso hatte ich diesen Auftrag noch gleich angenommen? Schließlich war ich kein Privatdetektiv. Das hätte ich Stelters direkt sagen sollen. Was für eine Schnapsidee…
Der Anführer der kleinen Gruppe baute sich dicht vor mir auf und nahm die Sonnenbrille ab. »Wer bist du?«
»Und was hast du für eine Kinderstube?« schoss ich zurück. »Ich will mit euch über Katharina Eichborn sprechen.«
»Die kleine Schlampe hat sich in Luft aufgelöst, hab ich gehört.« Er verzog die schmalen Lippen zu einem Grinsen und entblößte messerscharfe Zähne. Seine Pupillen, gerade eben noch riesig und kreisrund, verengten sich zu schmalen, länglichen Schlitzen. Die Iris war honiggelb. Seine beiden Begleiter blieben einen Schritt hinter ihm, die Gesichter ausdruckslos. Beide überragten mich mindestens um Haupteslänge und hatten Brustkästen wie Wäschekörbe. Der eine war erstaunlich blass, und sein Gesicht war mondförmig und seltsam flach. Der andere hatte elaborierte grünblaue Muster auf den Wangen. Im ersten Moment dachte ich, das sei eine Art modernes Stammestattoo, aber dann erkannte ich, dass nicht nur sein Gesicht, sondern auch seine Handgelenke mit reptilienhaften Schuppen bedeckt waren. Während ich hinsah, schienen sie über seine Haut zu kriechen und sich weiter auszubreiten.
Ich räusperte mich. »Weißt du… das Sich-in-Luft-Auflösen ist ein eher seltenes Phänomen.«
»Immerhin hat sie sich mit Hexen eingelassen! Die haben ihr dabei vielleicht geholfen.« Er sah über die Schulter zurück zu seinen Kollegen. Ich bemerkte ein kleines Tattoo, das aussah wie ein Wort in Sanskrit, seitlich an seinem Hals. Seine Schergen trugen identische Zeichen. Alle drei feixten. »Oder vielleicht haben die Flugsalbe aus ihr gekocht?«
»Lustig, dass du das sagst. Ihr Coven behauptet, ihr hättet ihre Organe verkauft. Zuzutrauen wär’s euch, hab ich gehört.«
Der Anführer schnaubte und spuckte auf den staubigen Boden. Diese Anschuldigung war offenbar unter seiner Würde. Oder zu dicht an der Wahrheit. Ein feiner Spuckefaden blieb in seinem spärlichen blonden Bart hängen. Die Haut unter dem Bart war bleich und grobporig, mit deutlichen Aknenarben. Wenn der älter als zwanzig war, war ich Caligula!
»Wir haben Kat seit März nicht mehr gesehen.«
»Bist du sicher?«
»Nennst du mich etwa einen Lügner?«
Das war interessant, denn sie war bereits seit kurz vor Imbolc Mitglied des Covens. Soweit ich wusste, war das Lichterfest im Februar der erste Sabbath, den sie mit den anderen Hexen zusammen gefeiert hatte. Das war also mindestens ein Monat, in dem sie sich parallel noch mit diesen Leuten getroffen hatte.
Die Begleiter des Möchtegern-Gangstas scharrten ungeduldig mit den Füßen. Der größere von beiden, das Mondgesicht, verursachte mir eine Gänsehaut, dabei hatte er die ganze Zeit über nichts gesagt oder getan. Er stand einfach nur da, Sweatshirt über einem üppigen Bauch gespannt, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Wenn er nicht mindestens zwei Meter groß gewesen wäre, hätte er harmlos ausgesehen. Abgesehen von diesem seltsamen Gefühl… Der andere war nicht ganz so groß, mit unnatürlich kräftigen Oberarmen und staksigen Beinen. Echsengesicht sollte sich dringend einen neuen Trainer suchen, schoss es mir durch den Kopf.
»Willst du sonst noch etwas wissen, Bitch?«
Ich biss die Zähne zusammen. »Wer von euch hat mit ihr geschlafen?«
Die Männer sahen einander an. »Kat war ‘ne Schlampe. Die hat jeden rangelassen.«
»Und wer von euch ist der Vater ihres Kindes?«
Das beseitigte das kollektive Grinsen. »Wenn du glaubst, dass wir auch nur einen Cent Alimente zahlen, hast du dich geschnitten.«
»Davon redet doch keiner!« Ich seufzte und drehte mich um. »Ich ruf euch in ein paar Tagen nochmal an. Wenn euch etwas einfällt, schreibt es auf.« Falls die überhaupt schreiben konnten.
»Nicht so schnell, Missy!« Blitzschnell griff der Anführer nach meinem Handgelenk. Aus dem Augenwinkel sah ich Falk einen Schritt vorwärts machen. Dann trieb mir der Schmerz die Tränen in die Augen. Ich biss die Zähne zusammen und drehte mich um. »Was ist?«
»Glaubst du etwa, wir sind die Wohlfahrt? Was hast du für uns?« Er verstärkte den Druck auf mein Handgelenk, und ich spürte, wie die Knochen gegeneinander rieben. Dann folgte ein stechender Schmerz. Ein rascher Blick auf meinen Arm – milchig-graue Krallen schoben sich aus seinen Fingerspitzen und pressten sich in meine Haut. Ein Blutstropfen quoll hervor und zitterte auf meiner Haut. Blieb nur zu hoffen, dass das hier wirklich eine Gestaltwandler-Gang war und kein Rudel Wer-Irgendwas. Gestaltwandler waren wenigstens nicht ansteckend, soweit ich wusste.
»Wieso sollte ich dir etwas geben? Ihr hattet keine Informationen für mich.« Mit einem Ruck befreite ich meinen Arm. Mir war klar, dass dieser Freak mich gehen ließ. Hätte er nicht losgelassen, würde ich immer noch hilflos zappeln.
»Wir treffen uns nicht mit Leuten, um ein Schwätzchen zu halten. Du willst etwas von uns, und das kostet dich etwas.«
Mein Herz raste. Verzweifelt kramte ich in meinem Gehirn nach einer Antwort, aber ich fand nur unschuldiges Weiß.
Der Typ legte seinen Arm um mich und zog mich näher an sich heran. »Wenn du natürlich meinst, du müsstest nicht zahlen…« Sein Atem stank nach Zigaretten und Bier.
»Lass sie gefälligst los.« Falks Arm schoss vor, und er griff nach der Schulter des Anführers.
Endlich.
»Lass mich raten, du bist ihre Anstandsdame.« Der Anführer grinste immer noch, aber Schmerz zerrte an seinen Mundwinkeln. Ich meinte, Knochen knirschen zu hören. Sein Arm begann zu zittern, aber er ließ nicht los.
»Ich bin Dame genug, dir ein zweites Arschloch zu reißen, wenn du sie nicht sofort loslässt.«
Die schwarzgekleideten Begleiter nahmen die Hände aus den Taschen. Es sah aus, als plusterten sie sich auf. Hätte ich meine Bewegungsfreiheit zurück, hätte ich wahrscheinlich gelacht. Stattdessen holte ich tief Luft und bemühte mich, entspannt zu klingen. »Jungs, beruhigt euch. Und behaltet eure Hände bei euch. Ich denke, ich hab da was.«
Zögernd ließ der Anführer der Gestaltwandler mich los. Ich sah, wie die Krallen an seinen Fingerspitzen sich zurückzogen. Im Gegenzug lockerten sich Falks Finger um seine Schulter. Beide traten einen Schritt zurück und musterten einander misstrauisch.
Ich widerstand der Versuchung, meinen Arm zu reiben. Der winzige Blutstropfen rann mein Handgelenk hinunter und hinterließ einen dünne rote Spur. Es kitzelte. Mit der linken Hand griff ich in meine Jackentasche. Irgendwo hier hatte ich doch immer… Es klimperte, und mit einem triumphierenden Lächeln zog ich meine Charm-Kollektion hervor. Sie glänzte im Halbdunkel.
»Ein Armband? Willst du mich verscheißern?«
»Das ist kein Armband, du Pfeife«, erklärte ich, »das sind Charms.« Für den durchschnittlichen Betrachter sah das ganze wahrscheinlich aus wie eins von diesen billigen Bettelarmbändern, die immer mal wieder in Mode kamen. In Wahrheit war das eines meiner alltäglichen Werkzeuge – Symbole, Figuren und Halbedelsteine, die sich schnell für verschiedene Zwecke aufladen ließen. Ich ging sie der Reihe nach durch, bis ich etwas passendes gefunden hatte. Mit ein wenig Pfriemeln schaffte ich es, ein silbernes vierblättriges Kleeblatt von der Kette zu lösen.
Der Gestaltwandler runzelte die Stirn. »Du bist eine seltsame Bitch. Ein Glücksbringer?«
»Ein Glückszauber«, korrigierte ich.
»Und wieso soll ich dir glauben, dass der wirkt?«
Das war einfach. Ich holte tief Luft, griff in mich hinein und drückte ihm das Kleeblatt in die Hand. Es funkte.
Er zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. »Was war das?«
Ich lächelte strahlend. »Was glaubst du wohl? Ich bin eine Hexe.«
* * *
Diese Leseprobe stammt aus dem Buch:
ALLERSEELENKINDER
von
Diandra Linnemann
ALLERSEELENKINDER
Magie hinter den Bergen Band 1
Urban Fantasy
250 Seiten
ISBN-10: 149738043X (Taschenbuch)
ISBN-13: 978–1497380431 (Taschenbuch)
ASIN: B00FXWD1I8 (eBook)
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Diandra Linnemann wurde 1982 geboren und lebt gegenwärtig in der Bundesstadt Bonn. Tagsüber arbeitet sie als medizinische Übersetzerin. Nachts entfaltet sie ihre geheimen Superheldenkräfte, indem sie Charaktere auf dem Papier lebendig werden lässt. Sie teilt ihre Wohnung mit einem sehr verständnisvollen Mann, zwei Katzen und einem Dutzend sterbender Zimmerpflanzen. diandrasgeschichtenquelle.org