LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER

Man soll­te end­lich Abstand davon neh­men, ein Buch als unver­film­bar zu bezeich­nen, gera­de wenn der Film dazu in die Kinos kommt. Das hat damals die UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS zu kei­nem bes­se­ren Buch gemacht, und den Film nicht schlech­ter. Zuletzt war unver­film­bar bei CLOUD ATLAS zu lesen, und nun kommt LIFE OF PI. Dies macht es Ang Lees Adap­ti­on nicht leich­ter, wenn über­all betont wird, wie sich die lite­ra­ri­sche Vari­an­te gegen­über einer visu­el­len Umset­zung ver­hal­ten soll. Damit wer­den nicht nur Erwar­tun­gen geweckt, son­dern auch Mei­nun­gen geformt. In Erman­ge­lung an der Lek­tü­re fällt es jeden­falls sehr leicht, Ang Lees LIFE OF PI als phan­tas­ti­schen Film zu loben. Sei­nem poe­tischs­ten seit TIGER & DRAGON. Eine Poe­sie, die sich nicht nur aus der frei inter­pre­tier­ba­ren Geschich­te ergibt, son­dern ergän­zend aus der impo­san­ten, visu­el­len Umsetzung.

Pi wächst im indi­schen Pon­di­cher­ry auf, wo sei­ne gut situ­ier­ten Eltern einen Zoo unter­hal­ten. Auf sei­nem jun­gen Lebens­weg fin­det Pi Zugang zu allen drei gro­ßen Welt­re­li­gio­nen, und sieht sich als gläu­bi­ger Mos­lem, Christ und Jude glei­cher­ma­ßen. Sein ratio­na­ler Vater kann Pi die­sen eigent­li­chen Unsinn nicht aus­re­den, der Jun­ge hat ein­fach sei­nen Weg noch nicht gefun­den. Pi wird älter, und mit ihm das Geschäft sei­ner Eltern. Der Zoo ist nicht mehr ren­ta­bel, also will Vater die Tie­re nach Nord­ame­ri­ka ver­kau­fen und die Fami­lie in Kana­da ein neu­es Leben begin­nen las­sen. Ein Sturm auf hoher See macht alle gro­ßen Plä­ne zunich­te. Nach einer atem­be­rau­ben­den Sturm­se­quenz befin­det sich Pi in einem Ret­tungs­boot zusam­men mit einem Zebra, einem Orang-Utan, einer Hyä­ne, und Richard Par­ker, dem ben­ga­li­schen Tiger.

Die Geschich­te ist sorg­sam in drei Tei­le geglie­dert. Die ers­te ist Pis Geschich­te in Pon­di­cher­ry und sei­ne Annä­he­run­gen an einen Leit­fa­den für sein Leben, wie er die Reli­gio­nen für sich ent­deckt, und beginnt die Welt der Erwach­se­nen zu hin­ter­fra­gen. Es ist sehr ori­gi­nell, wie Pi sei­ne Kind­heit meis­tert, das Dreh­buch lässt sich dabei aber nicht zu bil­li­gen Lachern her­ab. Der Humor ist eher zurück­hal­tend, aber stän­dig prä­sent. Dazu gehört auch, wie es der Jun­ge schafft sei­nen pein­li­chen Namen zu ändern, der eigent­lich gar nicht Pi ist. In die­sem Teil bleibt die Kame­ra eher auf den Details. Das Leben im Zoo, die Augen­bli­cke in der Schu­le, oder in den Got­tes­stät­ten. Es ist Pis Blick auf das Wesent­lich der Din­ge. Clau­dio Miran­da zau­bert bun­te, lebens­lus­ti­ge Bil­der eines unbe­darf­ten Lebens. Die dabei stel­len­wei­se auf­tre­ten­de Künst­lich­keit von ganz offen­sicht­lich „insze­nier­ten“ Bil­dern grei­fen dem zwei­ten Teil bereits voraus.

Mit sieb­zig Minu­ten nimmt der zwei­te Teil im Ret­tungs­boot den größ­ten, aber auch wich­tigs­ten Teil ein. Pi ver­bringt 227 Tage auf dem pazi­fi­schen Oze­an, im stän­di­gen Clinch mit sei­nen Lei­dens­ge­nos­sen Richard Par­ker. Sie erle­ben grau­sa­me Durst- und Hun­ger­ste­cken, aber auch die Wun­der des Lebens, des Oze­ans und ihrer Selbst­re­flek­ti­on. In die­sen 70 Minu­ten ste­cken Regis­seur und Kamer­mann Miran­da alle Mög­lich­kei­ten ab, um mit dras­ti­schen Über­hö­hun­gen von Sinn­bil­dern, oder nur durch Sze­nen ihrer selbst Wil­len, bei die­sem unglaub­li­chen Aben­teu­er die eigent­li­che Poe­sie dar­in erken­nen zu las­sen. Den Sze­nen des Lei­des von Jun­ge und Tiger wer­den immer wie­der atem­be­rau­bend kom­po­nier­te Bil­der ent­ge­gen­ge­stellt, die in ihrer Unna­tür­lich­keit kaum zu über­tref­fen sind, dadurch aber eine noch höhe­re Akzep­tanz beim Zuschau­er errei­chen. Was auf dem Oze­an pas­siert, soll eben kei­nen Lei­dens­weg dar­stel­len, soll nicht den Jun­gen zum Mann for­men, und soll am Ende auch kein Aben­teu­er sein. Es soll die Kraft des Lebens sym­bo­li­sie­ren. Eine von vie­len Sequen­zen, die den Zuschau­ern über­wäl­ti­gen und gleich­zei­tig schau­dern las­sen, ist ein Wal, der Näch­tens durch einen Schwarm fluo­res­zie­ren­der Qua­len schießt und das Ret­tungs­boot bei­na­he zum Ken­tern bringt. In die­ser wie in vie­len ähn­li­chen Sze­nen zeigt sich die eigent­li­che Kunst der Macher, die gesam­te Tech­nik und künst­le­ri­schen Aspek­te auf das Höchst­mög­li­che in Ein­klang zu brin­gen. Das gip­felt nicht nur in exzel­lent gestal­te­ten 3D-Bil­dern, son­dern man bezieht sogar noch das Vari­ie­ren mit den Sei­ten­ver­hält­nis­sen vom Aca­de­my-For­mat hin zu Cine­ma­scope mit ein. Den gan­zen Film hin­durch bil­den Kame­r­a­po­si­ti­on, Bild­auf­tei­lung, Schnitt­se­quenz und die Trick­tech­nik eine sel­ten gese­he­ne Harmonie.

Die kür­zes­te Zeit der drei­ge­teil­ten Geschich­te steht der Rah­men­hand­lung zur Ver­fü­gung. Es ist der erwach­se­ne Pi, der einem Schrift­stel­ler mit Schreib­blo­cka­de die Geschich­te vom Schiff­bruch mit Tiger erzählt. Es ist aber auch der kon­tro­ver­se Abschnitt in der Geschich­te. Alles was der Zuschau­er sieht, alles was er erlebt, und die für den Zuschau­er ein­her­ge­hen­den Erfah­run­gen, sei es spi­ri­tu­el­ler oder mensch­li­cher Natur, wer­den mit dem Schrift­stel­ler und dem erwach­se­nen Pi auf den Kopf gestellt. Am Ende zeigt sich eine Geschich­te mit zwei Gesich­tern, die Mög­lich­keit für den Zuschau­er sich selbst zu ent­schei­den. Und das ist das eigent­li­che Kunst­stück in LIFE OF PI, weil er sich trotz sei­ner eso­te­ri­schen und reli­giö­sen Ein­flüs­se der Ratio­na­li­tät nicht ver­wei­gert. Doch was haben wir schon von die­ser Ratio­na­li­tät? Trotz zahl­rei­cher Mög­lich­kei­ten wird der Zuschau­er in kei­ner Minu­te mit Dog­men, Weis­hei­ten oder Lehr­sprü­chen beläs­tigt, was sofort ange­nehm auf­fällt, weil es auch sehr unge­wöhn­lich ist. Wenn man aus dem Kino geht, hält der Film noch lan­ge nach. Doch nicht etwa die zwei Sei­ten der eigent­li­chen Geschich­te wer­den bewe­gen, son­dern nur der eine Teil den wir in Fra­ge stel­len müss­ten. Denn der Zuschau­er hat sich längst ent­schie­den, weil die Sehn­sucht nach Wun­dern viel stär­ker ist.

LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER
Dar­stel­ler: Suraj Shar­ma, Irr­fan Khan, Adil Hus­s­ain, Tabu, Rafe Spall, Ger­ard Depar­dieu, Ayush Tan­don, Gautam Bel­ur u.a.
Regie: Ang Lee
Dreh­buch: David Magee
Kame­ra: Clau­dio Miranda
Bild­schnitt: Tim Squyres
Musik: Mycha­el Danna
Pro­duk­ti­ons­de­sign: David Gropman
zir­ka 125 Minuten
USA 2012

Bild­quel­le: Fox 2000 Pic­tures / 20th Cen­tu­ry Fox

AutorIn: Bandit

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