Originelles zu finden ist schwierig. Umso erfreuter war ich, so etwas in V. E. Schwabs Roman A DARKER SHADE OF MAGIC zu entdecken. Ja, ich weiß, auch hier kommen einem Versatzstücke bekannt vor, aber es gibt tatsächlich neue Ideen, und Story wie Protagonisten wissen zu überzeugen.
Hinweis: Diese Besprechung kann Spoiler enthalten.
Werbetext:
Most people only know one London; but what if there were several? Kell is one of the last Travelers – magicians with a rare ability to travel between parallel Londons. There´s Grey London, dirty and crowded and without magic, home to the mad king George III. There´s Red London, where life and magic are revered. Then, White London, ruled by whoever has murdered their way to the throne. But once upon a time, there was Black London …
Man könnte jetzt vielleicht einwenden, dass Parallelweltengeschichten nun ebenfalls nicht gerade neu sind. Das ist natürlich korrekt. Aber Herangehensweise und Umsetzung sind hier etwas anders.
Der Protagonist Kell ist ein »Antari«, ein Magier, der Tore zwischen den Welten erschaffen kann. Erstaunlich dabei ist: es existieren vier bekannte Welten, und in jeder davon existiert eine Version von London. Auch wenn die Namen der Stadt und der Flüsse unterschiedlich sind, die Geografie ist gleich. Auch die Gesellschaften der vier Welten unterscheiden sich. Grey London ist die Stadt, die wir kennen, im England der Ende des 18. Jahrhunderts – und nahezu vollständig ohne Magie. Red London ist die Stadt des Protagonisten, dort floriert die Magie, ist allgegenwärtig. Und White London ist eine rohe, ausgehungerte Welt, in der die Macht des Stärkeren herrscht und in der die Magie schwindet. Früher einmal gab es noch Black London, ein Ort überfließend von Magie. Die Tore dorthin wurden vor vielen Jahren geschlossen.
Grey for the magic-less city. Red, for the healthy empire. White, for the starving world.
Kell wechselt im Auftrag des Königshauses von Red London durch die Realitäten, um den Kontakt zwischen den Monarchien aufrechtzuerhalten. Dabei bringt er bisweilen Gegenstände von einer Welt zur anderen – was eigentlich verboten ist. Lila ist eine kleine Diebin in Grey London. Das Schicksal führt sie mit Kell zusammen.
Die Eröffnungssequenz nimmt den Leser sofort mit in diese komplexe Welt mit ihren Protagonisten aus allen der drei erreichbaren parallelen Realitäten. Dann hätte ich fast schon aufgegeben, denn nach dem furiosen Start kommt es ein paar Seiten lang zu einem Durchhänger. Bloß gut, dass ich durchgehalten habe, denn danach wird A DARKER SHADE OF MAGIC zu einem echten Pageturner, einer Tour de Force durch die Londons, mit haufenweise unerwarteten Wendungen.
Dabei ist der Magier Kell fraglos die zentrale Figur, weil er, bzw. seine Fähigkeit, Tore zu schaffen, das eigentliche Plotdevice ist, ohne ihn würde die Geschichte so nicht funktionieren. Doch die Autorin stellt ihm mit der Diebin Lila eine mindestens genauso starke Protagonistin an die Seite, die vor allem ein schöner, realistischer Kontrapunkt zu Kell ist, der bisweilen zu Düsternis und Drama neigt. Ich sehe sogar ein, dass das anderswo überstrapazierte Klischee des Findelkindes hier eine Menge Sinn für die Story macht – zumal die Andeutungen darauf hinweisen, dass das mit dem Findelkind so nicht ganz richtig sein dürfte.
Vielschichtig auch die Charakterisierungen. Selbst die Helden haben düstere Seiten, und die Motivation mancher Antagonisten wird nicht aus den Augen gelassen, ist nachvollziehbar. Klar, gibt es auch diejenigen, die einfach nur wegen des Böse seins böse sind, aber selbst bei denen kann man verstehen, warum sie tun, was sie tun.
Mit seinen Kapitelcliffhangern erinnert der Roman sicher nicht ganz zufällig an einen Film oder eine Fernsehserie. Durch die zwei Protagonisten kann die Autorin natürlich, wenn es spannend wird, den Fokus wechseln. Aber das ist schon okay so. Auch der Schluss besteht aus einem ordentlichen Showdown, wie es sich gehört. Und auch wenn der Roman in sich abgeschlossen ist, gibt es mehr als genug offene Enden. Der zweite Teil mit dem Titel A GATHERING OF SHADOWS wird im Februar erscheinen, und ich freue mich bereits darauf, denn am Ende der Geschichte ist vieles ungeklärt, es gab haufenweise Andeutungen, die in bestimmte Richtungen weisen, und bei denen man natürlich wissen möchte, wie es weitergeht. So wie es aussieht, muss man sich derzeit auch eher keine Sorgen darum machen, dass daraus eine Endlos-Serie werden wird, der Deal mit Tor ist erst einmal nur über zwei Bücher. Sollten die erfolgreich sein, können daraus natürlich mehr werden. Der Hintergrund gibt das aber durchaus her.
Alles in allem war A DARKER SHADE OF MAGIC eine überaus positive Überraschung, die zwar nicht alles ganz neu erfindet, aber die zumindest mehr als genug eigene Ideen einbringt, um sich wohltuend vom Einheitsbrei anderer Fantasy abzuheben.
Echte Kritikpunkte kann ich nicht vorbringen, abgesehen vielleicht von dem kurzen Durchhänger nach der Eröffnungssequenz, aber das mögen andere Leser ganz anders sehen. Und: das ist natürlich zur Unterhaltung geschrieben, aber es ist äußerst clevere Unterhaltung, deswegen werte ich auch eher positiv, dass nicht versucht wird, das künstlich in irgendeine Form vermeintlich hoher Literatur zu verwandeln. Der neue George R. R. Martin ist das nicht – und ich bin auch sehr froh darüber.
Mein Fazit: Äußerst lesenswerter Fantasy-Roman, der der Parallelwelten-Thematik viele neue Seiten abgewinnen kann und mit sympathischen, aber vielschichtigen, Protagonisten erfreut.
A DARKER SHADE OF MAGIC
V. E. Schwab
Fantasy-Roman
20. Februar 2015
Taschenbuch:
386 Seiten, ca. 11 Euro
ISBN: 978–1783295401
Titan Publishing
Hardcover:
400 Seiten, ca. 15 Euro
ISBN: 978–0765376459
Tor Books
eBook:
ca. 3,75 Euro
ASIN: B00SEU9TZK
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