LARKLIGHT – Philip Reeve und David Wyatt

Cover Larklight

Hin­weis: Die­se Bespre­chung erschien ursprüng­lich im Sep­tem­ber 2008 im alten Arti­kel­por­tal und wur­de nun hier­her »geret­tet«. Viel Spaß!

Wir schrei­ben das Jahr des Herrn 1851. Im bri­ti­schen Impe­ri­um herrscht Köni­gin Vic­to­ria über Eng­land, die ame­ri­ka­ni­schen Kolo­nien und die Besitz­tü­mer der Kro­ne auf Mond, Mars und ande­ren Pla­ne­ten des Son­nen­sys­tems. Das Uni­ver­sum von Lark­light ist defi­ni­tiv nicht das, wel­ches wir ken­nen – 1703 ent­wi­ckel­te Isaac New­ton den Äther­an­trieb, seit­dem eifer­süch­tig gehü­tet von den Alchi­mis­ten der Roy­al Alche­mists Socie­ty und der Grund für die unan­ge­foch­te­ne Vor­macht­stel­lung der Eng­län­der. All dies weist bereits dar­auf hin: Die­ses Kin­der­buch kommt »very bri­tish« daher.

Aber genau das ist der ganz beson­de­re Charme von Lark­light, denn der Autor ver­steht es vor­treff­lich, die Stim­mung des Lan­des und der Zeit ein­zu­fan­gen und mit dem von ihm erdach­ten Steam­punk-Uni­ver­sum zu etwas über­aus Ori­gi­nel­lem und Kurz­wei­li­gem zu ver­mi­schen.

Und obwohl es sich um ein Kin­der­buch han­delt, wer­den Erwach­se­ne abso­lut ihre Freu­de dar­an haben, denn auch für sie gibt es diver­se Anspie­lun­gen, abge­se­hen davon ist die Fabu­lier­kunst des Autoren meh­re­re Güte­klas­sen über der ande­rer Jugend­buch­au­to­ren ange­sie­delt (ich will hier kei­ne Namen nen­nen).

Ein paar Hin­wei­se, ohne auf hand­lungs­wich­ti­ge Details ein­zu­ge­hen:

Die Kin­der Art und Myrt­le Mum­by leben zusam­men mit ihrem Vater, einem Ich­tyo­morph-For­scher, in Lark­light, einem Haus, das zusam­men mit dem Mond um die Erde kreist. Eines Tages wird ihr Heim von Mr. Webs­ter und sei­nen Hel­fers­hel­fern über­fal­len, die Kin­der müs­sen flie­hen und es beginnt eine fan­tas­ti­sche Rei­se durch unser Son­nen­sys­tem, vom Mond über die Venus bis zu den Mon­des des Jupi­ter und den Rin­gen des Saturn. Selbst­ver­ständ­lich sind die meis­ten Wel­ten für Men­schen bewohn­bar, wenn­gleich es auch manch­mal Schwie­rig­kei­ten mit der Schwer­kraft gibt, die nicht sel­ten weni­ger als ein BSG (Bri­tish Stan­dard Gra­vi­ty) beträgt. Gereist wird an Bord des Äther­seg­lers Sophro­nia, der wohl nicht ganz zufäl­lig eine gewis­se Ähn­lich­keit mit Segel­schif­fen auf­weist und auch sonst erin­nert an der Äther­flie­ge­rei doch deut­lich der bri­ti­schen See­fahrt wie wir sie ken­nen, wenn auch der ers­te Maat schon­mal ein vier­ar­mi­ger Ionia­ner sein kann, oder ein ande­res Besat­zungs­mit­glied eher aus­sieht wie eine über­gro­ße Krab­be.

Kapi­tän des Äther­schif­fes ist der berüch­tig­te und gefürch­te­te Pirat Jack Havock, dem man wahr­lich nichts Gutes nach­sagt…

In der Tour de Force durchs Son­nen­sys­tem lernt man zahl­rei­che far­ben­fro­he Cha­rak­te­re des Jah­res 1851 ken­nen, von denen zumin­dest manch einer der Men­schen auf rea­len Per­sön­lich­kei­ten der Zeit­ge­schich­te basiert. Natür­lich gilt es nichts Gerin­ge­res als den Unter­gang des bri­ti­schen Empire abzu­wen­den (neben­bei wür­de noch das gesam­te Son­nen­sys­tem dran glau­ben müs­sen, aber das ist für die Prot­ago­nis­ten wohl eher zweit­ran­gig).
Das Sze­na­rio ist feins­ter Steam­punk von einer Sor­te, wie es ihn lei­der viel zu sel­ten gibt. Äther­schif­fe, Häu­ser die im All schwe­ben, bunt­quir­li­ge Häfen auf Io und rie­si­ge Maschi­nen mit Metall­stre­ben und Nie­ten bekommt man in Lark­light  gebo­ten, ohne dass die Erzäh­lung tech­nisch zu wer­den droht. Steam­punk ist nicht Selbst­zweck, son­dern Trä­ger für die Hand­lung und die Cha­rak­te­re. Die sind natür­lich von der gott­ge­ge­be­nen Über­le­gen­heit Eng­lands über­zeugt, aber natür­lich passt das eben­so ins Bild der Zeit (und der Prot­ago­nis­ten), wie Arts und Myrt­les Frau­en­bild, aber bei­des ist auf der­art char­man­te Wei­se beschrie­ben und kommt oft­mals mit einem Augen­zwin­kern daher, dass es die Lese­freu­de eher ver­stärkt. Ohne­hin ist der Schreib­stil der Zeit gemäß, ohne alt­mo­disch oder auf­ge­setzt zu wir­ken, ein Kunst­griff, den man auch erst ein­mal hin­be­kom­men muss und den Ree­ve ohne Stol­pern gemeis­tert hat. Und neben dem Steam­punk gibt es ja bei­spiels­wei­se auch noch Pilz­män­ner auf dem Mond, die klas­si­schen, ent­fernt elfen­ähn­li­chen Mar­sia­ner auf dem roten Pla­ne­ten, viel­bei­ni­ge Gegen­spie­ler und den grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Irren. Von ein paar uner­war­te­ten Über­ra­schun­gen mal ganz abge­se­hen.

Ich muss zuge­ben: Lark­light war so ziem­lich das ori­gi­nells­te und kurz­wei­ligs­te Buch, das ich seit Lan­gem gele­sen habe und das obwohl – oder gra­de weil? – es ein Kin­der­buch war. Es ist ein Muss für Phan­tas­tik­freun­de mit oder ohne Inter­es­se an Steam­punk und für alle ande­ren eigent­lich eben­falls. Für aus­ge­wie­se­ne Freun­de letz­te­ren Gen­res – wie mich – ist es nahe­zu eine Offen­ba­rung.
Als zusätz­li­che Sah­ne auf dem Kuchen darf man die sti­lis­tisch bei zeit­ge­nös­si­schen ange­lehn­ten und groß­ar­tig gelun­ge­nen Zeich­nun­gen von David Wyatt betrach­ten.

Bestellt euch das eng­li­sche Taschen­buch bei Ama­zon, Mar­sia­ner und Mar­sia­ne­rin­nen, muti­ge Äther­ka­pi­tä­ne und vier­ar­mi­ge Ionia­ner, die­se 5 Euro 99 sind ver­dammt gut ange­legt. Und dann »Sail ho!« zur Venus!

Der zwei­te Band – STARCROSS – ist schon raus, ins­ge­samt sol­len es drei wer­den, die wohl alle inhalt­lich abge­schlos­sen sind. Ich will mehr! Und ver­filmt wird es offen­bar auch …

(MOTHSTORM ist inzwi­schen auch schon lan­ge erschie­nen, Ergän­zung vom Okto­ber 2016, der Red.)

LARKLIGHT
Phil­ip Ree­ve und David Wyatt
Taschen­buch, 416 Sei­ten
Spra­che: Eng­lisch
ISBN-10: 1599901455
ISBN-13: 978–1599901459
Bloomsbu­ry Publi­shing PLC

Cover LARKLIGHT Copy­right Bloomsbu­ry

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