Filmemacherin Ana Lily Amirpour bezeichnet ihren Film werbewirksam als »den ersten iranischen Vampir-Western«. Das macht durchaus erst einmal neugierig. Und schließlich stutzig. Amirpour ist zwar iranischer Abstammung, aber in Großbritannien geboren, und später nach Kalifornien übergesiedelt. Blickt man tiefer, hat sie sogar diesen sogenannten iranischen Film auch in dem Nest Taft in Kalifornien inszeniert. Selbst Hauptdarstellerin Sheila Vand ist bereits in zweiter Generation Amerikanerin, und Hauptdarsteller Arash Marandi ist gar Deutscher. Was hat es also auf sich mit diesem provozierenden Blick nach Iran? Ana Lily Amirpour hat eigentlich keinen Horrorfilm gemacht,
und auch der Vampirfilm liegt ein wenig schwer im Magen. Und doch ist er beides in expliziter Vehemenz. Amirpour hat einen Kunstfilm geschaffen, der die Kunst in beiderlei Bedeutungen ausschöpft. Nichts in A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT ist einem natürlichen oder realistischen Fluss unterworfen, alles in allen Bereichen ist in offensichtlicher Künstlichkeit inszeniert. Und wie es inszeniert und zusammengestellt ist, das ist die große Kunst.
Bad City ist eine tote Stadt, leer und verfallen. Und genauso leere Gestalten wandeln verloren durch ihre Straßen. Wie Arash, dem die Einsamkeit ins Gesicht geschrieben steht, und dessen Vater drogenabhängig ist. Oder das Mädchen, mit dem traurigsten Blick, die eine einsame Seele haben kann. Mit ihrem schwarzweiß gestreiften T‑Shirt unter dem traditionellen Tschador, und ihrem bleichen Gesicht, erinnert sie eher an ein Skelett. Das Mädchen ernährt sich von Menschenblut, das weiß Arash natürlich nicht, als er ihr begegnet. Im überstrahlenden Licht der Straßenlaternen stehen sie sich gegenüber. Er auf Ecstasy von einer Kostümparty kommend als Dracula verkleidet. Sie, der wirkliche Vampir auf Beutezug, mit ihrem verschleiernden Umhang. Das hat etwas sehr anrührendes. Eine Szene, die bewegt, weil sie komisch und melancholisch zugleich ist. Hier beweist sich, das nur so der Film funktioniert, wenn Amirpour ihre Szenen artifiziell übersteigert. Es ist eine Liebe, die nicht sein kann. Aber es ist eine Liebe, die sein wird.
Es sind keine Informationen zu finden, wie man die Dialoge aufgenommen hat, oder die Darsteller tatsächlich selbst sprachen. Denn der komplette Film ist in Farsi, wie es sich eben für einen iranischen Film gehört. Und zumindest für einen nicht-Muttersprachler, hört sich das Farsi aus dem Munde der Amerikanerin und des Deutschen sehr authentisch an. Aber es ist nicht der einzige Punkt, der staunen lässt. In erster Linie ist es die atemberaubende schwarzweiß-Optik von Lyle Vincent, die mit ihren langen Einstellungen und extrem komponierten Bildaufteilung sofort an Wim Wenders oder Jim Jarmusch erinnert. Der Film nimmt sich auch sehr viel Zeit für seinen Handlungsverlauf. Es mag das einzige Manko sein, welches man dem ersten iranischen Vampir-Western vorhalten könnte. Er nimmt sich die Zeit, die er aber tatsächlich auch braucht. Und wer damit seine Schwierigkeiten hat, wird aber feststellen, dass diese nur anfänglich sind. Ana Lily Amirpour entwickelt mit ihrer Erzählstruktur letztendlich einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Dazu sind auch Arash und das Mädchen einfach nur ein zu herzergreifendes Paar, als das man sich diesem Sog entziehen möchte.
Alles ist auf den bestmöglichen Effekt zugeschnitten. Das Licht, die Bildkomposition, die Musik, die Inszenierung der Figuren, das Erzähltempo, die Grusel-Momente. Aber auch wie einzelne Moment sich in das große Ganze einfügen, wenn eine Prostituierte Arash Auto beschädigt, im Glauben einen anderen damit zu treffen, was sie letztendlich mit dem Mädchen zusammen bringt. Selbst für den Genre-Fan bleibt A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT eine Herausforderung. Allerdings eine, die einen Blick mehr als verdient. Aber man muss auch denen Verständnis entgegen bringen, für die Amirpour zu viel Augenmerk auf die Kunst gelegt hat. Manchmal gibt es eben Leute, die Horror sehen wollen, wenn Horror drauf steht. Auch das ist dieser Film, aber auf sehr hintergründige Weise. Ein Film der nachhaltig beschäftigt und bewegt, wenn man sich erst einmal darauf einlässt.
A GIRL WALKS HOME ALONE AT NIGHT
Darsteller: Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh, Mozhan Marnò, Dominic Rains, Rome Shadanloo u.a.
Regie & Drehbuch: Ana Lily Amirpour
Kamera: Lyle Vincent
Bildschnitt: Alex O’Flinn
Produktionsdesign: Sergio De La Vega
99 Minuten
USA 2014
Promofotos Copyright Capelight Pictures / Koch Media, FFN-Poster Copyright Rosebud Entertainment