DIE KARTE MEINER TRÄUME 3D

Die Karte meiner Träume

THE YOUNG AND PRODIGIOUS T.S. SPIVET – Bun­des­start 10.07.2014

Im Schnitt macht Jean-Pierre Jeu­net alle vier Jah­re einen Film. Bun­te Fil­me, abs­trakt, mär­chen­haft, aber immer mit einem düs­te­ren Schuss. In sei­nem sieb­ten Lang­film mit dem irre­füh­ren­den Titel DIE KARTE MEINER TRÄUME, ist das düs­te­re Moment der Tod des Zwil­lings­bru­ders vom zehn­jäh­ri­gen T.S..
Die Ver­schro­ben­heit von T.S. ist sei­ne Intel­li­genz, alles muss er kar­to­gra­phie­ren, oder er arbei­tet an wis­sen­schaft­li­chen Expe­ri­men­ten. Eigent­lich wäre da T.S. bei sei­ner Fami­lie auf der Cop­per­pot Ranch in Mon­ta­na bes­tens auf­ge­ho­ben. Sei­ne Schwes­ter ist ledig­lich an Schau­spiel­un­ter­richt und an Miss Ame­ri­ca-Wett­be­wer­ben inter­es­siert. Die Mut­ter hat sich in ihrer Insek­ten­for­schung ver­lo­ren. Der Vater ist ein Cow­boy ganz alter Schu­le, der, so meint T.S. in sei­nen Off-Kom­men­ta­ren, 100 Jah­re zu spät gebo­ren wur­de. Und dann ist da natür­lich noch der Fami­li­en­hund, der die meis­ten Macken auf sich ver­eint, zum Bei­spiel Blech­ei­mer fres­sen. Aber T.S. Spi­vet ist trotz sei­ner über­ra­gen­den Auf­fas­sungs­ga­be ein zehn­jäh­ri­ger Jun­ge, und so fühlt er sich von allen miss­ver­stan­den und unge­liebt, zudem er selbst die Welt noch nicht wirk­lich ver­steht. Dann erfin­det T.S. auch noch das Per­pe­tu­um Mobi­le und soll vom Smit­h­so­ni­an Insti­tu­te einen renom­mier­ten Preis über­reicht bekom­men. Ohne sei­ne Fami­lie zu infor­mie­ren, beginnt T.S. kur­zer­hand eine aben­teu­er­li­che Rei­se nach Washing­ton.

DIE KARTE MEINER TRÄUME ist neben GRAVITY ein Exem­pel, wie 3D tat­säch­lich funk­tio­niert, und einen Film für den Zuschau­er wirk­lich berei­chert. Tho­mas Hard­mei­er hat fan­tas­ti­sche Bil­der erschaf­fen, aber auch ganz offen­sicht­lich unter der gestren­gen Visi­on des Regis­seurs. Die wei­ten Land­schaf­ten und die Inte­ri­eurs, Hard­mei­er bemüht über­wie­gend eine Weit­win­kel-Optik, um den Zuschau­er in den Film füh­ren. Aber er zieht ihn nicht gewalt­sam mit Effek­ten ins Gesche­hen, son­dern gelei­tet ihn behut­sam mit sei­nen extrem cho­reo­gra­fier­ten Auf­nah­men in T.S. Spi­vets Welt, in der jedes Bild wie eine nach­ge­färb­te Post­kar­te wirkt. Optisch ist DIE KARTE MEINER TRÄUME ein klei­nes Film­wun­der, und hier kommt Jeu­net sei­ner AMELIE am nächs­ten. Mit dem nicht zu ver­leug­nen­den Vor­teil von 3D.

Trotz sei­nes tra­gi­schen Hin­ter­grun­des ist der Ver­lust des Zwil­lings­bru­ders, und die damit ver­bun­de­nen Aus­wir­kun­gen auf die Fami­lie, mit leich­ter Hand erzählt. Er ist erstaun­lich wit­zig, ohne aller­dings irgend­wel­che Sprü­che oder komi­sche Situa­tio­nen zu bemü­hen. Jeu­net erzählt nicht bedäch­tig, aber sehr ruhig, man soll sich auf den jun­gen T.S. ein­las­sen kön­nen, nicht nur auf sei­ne Aben­teu­er, son­dern vor allem auf sei­ne Gedan­ken. Melan­cho­lie schwingt in der Hand­lung immer mit. So bestrei­tet er sei­ne ers­te Etap­pe in einem Cam­ping­wa­gen, der ver­kehrt auf einem Eisen­bahn­wag­gon trans­por­tiert wird, des­we­gen hat T.S. stän­dig das Gefühl, wie­der zurück zu fah­ren, anstatt sich sei­nem Ziel Washing­ton anzu­nä­hern. Aber der Film ist nicht nur die Geschich­te eines Jun­gen, der sei­nen Weg sucht, son­dern auch eine durch­aus kom­ple­xe Abhand­lung wie eine Fami­lie funk­tio­niert. Wie sich sei­ne gegen­sätz­li­chen Eltern jemals fin­den und ver­lie­ben konn­ten, bleibt für T.S. ein unlös­ba­res Rät­sel, auch wenn er in der Lage ist ein Per­pe­tu­um Mobi­le zu kon­stru­ie­ren.

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HELLBOY und HARRY POTTER hat Jeu­net ange­bo­ten bekom­men, aber die gro­ßen Stu­di­os hät­ten ihm die krea­ti­ve Frei­heit genom­men. Bei ALIEN 4 hat es eini­ger­ma­ßen geklappt, dass der Regis­seur sei­ne Vor­stel­lun­gen aus­le­ben konn­te. DIE KARTE MEINER TRÄUME ist ein ame­ri­ka­ni­scher Film durch und durch, aber eine fran­zö­sisch-kana­di­sche Pro­duk­ti­on. Und das ist am Resul­tat gese­hen eine wei­se Ent­schei­dung, weil ame­ri­ka­ni­sche Stu­di­os bekann­ter­ma­ßen nie die ver­spro­che­nen Frei­räu­me ein­hal­ten. So kann sich der Zuschau­er an einem leich­ten, aber ein­neh­men­den Aben­teu­er  erfreu­en, wel­ches mit exzel­len­ten Dar­stel­lern unter­hält. Der har­te Cow­boy mit dem wei­chen Kern hät­te mit Callum Keith Ren­nie nicht idea­ler besetzt sein kön­nen. Selbst Hele­na Bon­ham Car­ter über­zeugt wegen ihrer zurück­hal­ten­den Sen­si­bi­li­tät, und dies­mal nicht mit über­dreh­tem Auf­tre­ten. Natür­lich fehlt auch nicht Jeu­nets Dau­er-Mime Domi­ni­que Piñón, der in allen Fil­men des Regis­seur auf­tritt. Doch steht und fällt das Schau­spiel-Ensem­ble mit sei­nem Haupt­dar­stel­ler, und das steht mit Lein­wand-New­co­mer Kyle Cat­lett. Cat­lett sieht meis­tens nur trau­rig oder ver­wirrt in die Kame­ra, aber er ist ein sehr ein­neh­men­der Sym­pa­thie­trä­ger mit Prä­senz.

DIE KARTE MEINER TRÄUME könn­te per­fek­tes Mär­chen­ki­no mit Tief­gang sein, hät­te sich Jean-Pierre Jeu­net mehr um die letz­te Vier­tel­stun­de bemüht. Hier ver­liert der Film etwas sei­ne Kon­ti­nui­tät und droht ins Melo­dram abzu­rut­schen, wenn die Sequenz im Fern­seh­stu­dio all­zu sehr nach ame­ri­ka­ni­schen Stan­dards insze­niert ist. Aber ins­ge­samt dürf­te es wenig Zuschau­er geben, die kei­nen Gefal­len an den detail­ver­lieb­ten Ein­fäl­len und dem künst­le­ri­schen Gesamt­kon­zept fin­den. Trau­rig ist nur, dass es nun wie­der vier Jah­re dau­ert, bis ein neu­er Film von Jean-Pierre Jeu­net das Kino berei­chern wird. Denn es ist sicher, dass Jeu­net nicht nur zu den eigen­wil­ligs­ten, son­dern auch visio­närs­ten Regis­seu­ren des Gegen­wart­ki­nos gehört.

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DIE KARTE MEINER TRÄUME 3D – THE YOUNG AND PRODIGIOUS T.S. SPIVET
Dar­stel­ler: Kyle Cat­lett, Judy Davis, Callum Keith Ren­nie, Hele­ne Bon­ham Car­ter, Niamh Wil­son, Jakob Davies, Rick Mer­cer, Domi­ni­que Piñón u.a.
Regie: Jean-Pierre Jeu­net
Dreh­buch: Jean-Pierre Jeu­net, Guil­laume Lau­rant, nach Reif Lar­sen
Kame­ra: Tho­mas Hard­mei­er
Bild­schnitt: Her­ve Schneid
Musik: Denis Sana­co­re
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Ali­ne Bonet­to
105 Minu­ten
Frank­reich-Kana­da 2013

 

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