An anderer Stelle hatte ich thematisiert, dass die MVB, Tochter des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und alleinige Ausgabestelle von ISBNs in Deutschland, sich weigert, Nummernkontingente an Einzelpersonen abzugeben – und die angebotenen einzelnen Nummern zudem noch massiv überteuert sind. Da ich das für eine Ausnutzung einer marktbeherrschenden Position hielt (und noch immer halte), fragte ich beim Bundeskartellamt nach. Die widerum wandten sich an die MVB bzw. den Börsenverein und die haben dann natürlich ihre Sicht mit den üblichen Platitüden verteidigt. Dafür benötigten sie etliche Wochen. Leider wurde mir die MVB-Replik nicht zur Verfügung gestellt, deswegen kann ich aus dem Schreiben des Bundeskartellamtes nur spekulieren, was genau vorgebracht wurde. Die Antwort des Amtes gebe ich im Folgenden wieder.
Betr.: Eingabe wegen möglichen Missbrauchs bei der Vergabe von ISBN
Bezug: Ihre E‑Mail vom 23. November 2014Sehr geehrter Herr Holzhauer,
Sie hatten sich mit E‑Mail vom 23. November 2014 an das Bundeskartellamt gewandt und geltend gemacht, dass das Unternehmen MVB – Marketing und Verlagsservice GmbH (im Folgenden MVB) seine marktbeherrschende Stellung bei der Vergabe von so genannten ISBN („International Standard Book Number«) missbrauche, indem MVB gewerblichen Verlegern andere Konditionen anbiete als Privatverlegern. Ihre Eingabe wurde an die MVB weitergeleitet mit der Bitte, zu der unterschiedlichen Behandlung bei der Vergabe von ISB-Nummern Stellung zu nehmen. Mittlerweile liegt der Beschlussabteilung die Antwort der MVB vor. Danach ist davon auszugehen, dass die Beschlussabteilung in der von Ihnen vorgetragenen Angelegenheit nicht tätig werden kann.
Es ist die ständige Praxis des Bundeskartellamts, Verwaltungsverfahren in Missbrauchsfällen nur ausnahmsweise durchzuführen, wenn von einem solchen Verhalten große wettbewerbsstrukturelle Gefährdungen von weitreichender wirtschaftlicher Bedeutung ausgehen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Dabei erscheint es bereits fraglich, ob die unterschiedliche Behandlung von »Selbst-Verlagen mit absehbarer einmaliger Produktion« und »Verlagen mit fortgesetzter Verlagsproduktion« bei der Vergabe von ISBN sowie die unterschiedliche Preisstaffelung überhaupt eine unterschiedliche Behandlung darstellen. Denn auch ein marktbeherrschendes Unternehmen ist lediglich verpflichtet, wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte gleich zu behandeln. Vorliegend erscheinen jedoch die Kriterien zur Vergabe von ISBN sachlich gerechtfertigt.
Es ist nachvollziehbar, dass der Verwaltungsaufwand der MVB bei gewerblichen Verlagen geringer ist als bei Privatpersonen, die vereinzelt eine ISBN beantragen. Gewerbliche Verlage mit fortgesetzter Verlagsproduktion tragen selbst Verantwortung für die Vergabe der ISBN. Sie bürgen selbst für die sachgemäße Verwendung von ISBN, beispielsweise dafür, dass bei jedweder Veränderung der Publikation (Neuauflage, ebook etc.) eine neue ISBN vergeben werden muss. Verlage verpflichten sich zur Bereitstellung von Metadaten an die MVB, die diese für die Aufnahme der Publikationen in das »Verzeichnis lieferbarer Bücher« (VLB) benötigt. Auch kann der Beratungsaufwand bei Privatpersonen, die vereinzelt ISBN beantragen, für die MVB höher sein als bei Verlagen, die fortgesetzt Publikationen verlegen und mit den Besonderheiten der ISBN-Vergabe (z. B. bei Änderungen von Publikationen, Neuauflagen, mehrbändigen Publikationen, elektronischen Publikationen usw.) vertraut sind. Es wäre Ihnen daher zu raten, einen Gewerbeschein zu beantragen, wenn Sie planen, dauerhaft unter eigenem „label« Publikationen Dritter zu vertreiben und somit als „Verlag mit fortgesetzter Verlagsproduktion« anerkannt zu werden. Soweit Sie in Verfolgung ihrer Individualinteressen Ansprüche aus dem Missbrauchsund Diskriminierungsverbot der §§ 19, 20 GWB geltend machen wollen, bleibt es Ihnen unbenommen, diese auf der Grundlage von § 33 GWB und § 823 Abs. 2 BGB vor den Zivilgerichten selbst durchzusetzen.Mit freundlichen Grüßen,
Soweit das Bundeskartellamt, das die diskriminierende Vergabepraxis der MVB damit offenbar legitimiert.
Aus meiner Sicht greift die Antwort allerdings zu kurz, da sie sich ausschließlich der Seite der Börsenvereins-Tochter anschließt und die stark gewandelte Marktsituation durch Selfpublishing und eBooks nicht oder nicht ausreichend würdigt.
Wenn die MVB durch die Vergabe von Kontingenten an Nicht-Verlage einen Mehraufwand hätte (was ich in dieser Verallgemeinerung bezweifle), dann stünde es ihr offen, zusätzliche Dienstleistungen auch im Einzelfall in Rechnung zu stellen, statt die angeblichen erhöhten Kosten von jedem zu verlangen.
Die Antwort lässt zudem vollkommen außer acht, dass Selfpublisher selbst zwar Mengen an Büchern verfassen können (und das auch tun), diese aber nicht selbst verkaufen. Dies erledigen Dienstleister, der Autor erhält lediglich Tantiemen, wie von einem Verlag – und um Tantiemen zu bekommen, muss man kein Gewerbe gründen. Der dritte Punkt ist die Abgabe kostenloser eBooks unter Creative Commons-Lizenzen. Die verkauft man ebenfalls nicht, muss dafür demnach auch kein Gewerbe anmelden. Und: Im Ausland erhält man ISBNs zum Teil völlig umsonst.
Ich hatte eine entsprechende Folgeanfrage an das Bundeskartellamt bereits formuliert:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich bedanke mich für die Beantwortung meiner Anfrage vom November 2014. Leider muss ich feststellen, dass in dieser einige Aspekte meiner Ansicht nach nicht ausreichend gewürdigt wurden. Zudem möchte ich darauf hinweisen, dass es mir keinesfalls um mich geht, meine Beispiele waren genau das, die sich allerdings auf etliche Personen anwenden lassen. Es geht um eine prinzipielle Betrachtung der benachteiligenden Preispolitik der MVB.
1. Dass der Aufwand für die MVB bei der ISBN-Vergabe an Privatpersonen höher sein kann als bei Verlagen, halte ich für grundsätzlich möglich, allerdings kann ich darin keine nachvollziehbare Begründung oder Rechtfertigung für die im Vergleich mit den Verlagspreisen immens überhöhten Preise für ISBNs sehen. Ein geringer Aufschlag wäre vielleicht nachvollziehbar. Die Aussage, es käme bei Einzelpersonen regelmäßig zu deutlich erhöhtem Beratungsaufwand halte ich für nicht belegbar und eine reine Schutzbehauptung des MVB. Die Bedingungen zur Nutzung einer ISBN kann man auf der Webseite des MVB leicht einsehen. Ich halte diese Argumentation der MVB allerdings für nebenrangig. Zudem ein erhöhter Beratungsaufwand auch einfach im Einzelfall berechnet werden könnte, statt ihn allen Nutzern aufzuerlegen – auch jenen, die gar keine zusätzliche Beratung benötigen.
2. Ihre Antwort lässt meiner Ansicht nach die aktuellen Marktrealitäten außer acht, die sich in den letzten Jahren nicht zuletzt aufgrund der großflächigen Akzeptanz von eBooks deutlich verändert haben. Selfpublisher selbst verkaufen keine Bücher, dies tun beauftragte Dienstleister für sie. Diese verkaufen die Bücher und die Selfpublisher erhalten dann Tantiemen, ähnlich wie sie die von einem Verlag erhalten würden. Tantiemen kann man ohne Gewerbeschein erhalten, dies ist sogar die Regel bei freiberuflichen Autoren, denn und ich weise darauf nochmal ausdrücklich hin, der Selfpublisher verkauft selbst gar nichts. Dennoch wäre es wünschenswert, wenn diese Selfpublisher bei entsprechendem Buchoutput auch ISBN-Kontingente erwerben könnten. Aus diesem Grund geht meiner Meinung nach der Verweis auf das zwingend notwendige Gewerbe fehl.
3. Eine weitere Neuerung im Markt sind die sogenannten Creative Commons-Lizenzen. Diese erlauben eine kostenlose Nutzung von Werken (auch diese existieren bereits seit etlichen Jahren). Eine dieser Lizenzen (CC BY-NC) erlaubt private Weitergabe, verbietet allerdings kommerzielle Nutzung. Wenn ich eBooks kostenlos unter dieser Lizenz über Onlineportale abseits von Amazon anbieten möchte, benötige ich ebenfalls ISB-Nummern. Die MVB weist auf ihrer Webseite ja ausdrücklich darauf hin, dass auch kostenlose eBooks eine ISBN haben sollten (ich hatte Ihnen ein Bildschirmfoto als Nachweis zur Verfügung gestellt). Bei einer kostenlosen Abgabe unter Creative Commons ist ebenfalls kein Gewerbe nötig, es wird ja de facto nichts verkauft, ähnlich wie bei Open Source-Software. Auch hier muss der Hinweis auf ein Gewerbe somit fehl gehen.
Wie Sie sehen, existieren Fälle für eine Nutzung von ISBNs, ohne dass eine gewerbliche Absicht vorliegt, die Zahl solcher Fälle ist durch den Medienwandel im Bereich Buch in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Nach meiner Ansicht will die MVB, Tochter der Lobbyvereinigung Börsenvereins des deutschen Buchhandels, mit der äußerst unattraktiven Preisgestaltung unerwünschte neue Mitbewerber, nämlich beispielsweise die Selfpublisher, aus dem Markt fernhalten und ihnen die Nutzung von ISBNs deutlich erschweren.
Nochmals: es ging bei meiner ursprünglichen Anfrage in keinster Weise um meine Person und/oder meine persönliche Situation, die Vergabepraxis ist von Bedeutung für eine nicht unerhebliche Zahl von Selfpublishern und Anbietern von Werken unter CC-Lizenzmodellen in Deutschland. Aus diesem Grund halte ich die Preisgestaltung und die Weigerung, Kontingente an Privatpersonen abzugeben, nach wie vor für missbräuchlich.Ich würde Sie bitten, die Sachlage unter Berücksichtigung meiner oben genannten Anmerkungen, insbesondere der Punkte 2 und 3 erneut zu bewerten.
Vielen Dank.Mit freundlichem Gruß,
Stefan Holzhauer
Ich werde allerdings nochmal darüber nachdenken, ob ich die tatsächlich so verschicke, oder es einfach lasse.
Warum?
Aus drei Gründen:
1. Das Bundeskartellamt ist eine deutsche Behörde. §1: Deutsche Behörden haben bekanntermaßen immer Recht. §2: Sollte dies nicht zutreffen, tritt automatisch Paragraph eins in Kraft. Ich gehe nicht davon aus, dass sich da jemand die Blöße geben würde, die erste Entscheidung zu revidieren.
2. Beim Börsenverein wird man auf der Durchführung beharren und dafür immer neue Ausreden erfinden. Meine knapp bemessene Zeit ist mir eigentlich zu wertvoll, das weiter zu verfolgen, ich bin nur eine Einzelperson, der Börsenverein hat eine ganze Rechtsabteilung für die Formulierung spitzfindiger und legalesisch korrekter Ausreden.
3. Und der wichtigste Punkt: Börsenverein und MVB schießen sich selbst gehörig ins Knie, wenn sie versuchen, Selfpublisher draußen zu halten, indem sie (unter anderem) Phantasiepreise für ISB-Nummern und VLB-Einträge ansagen. Amazon verkauft um gigantische Längen mehr selbstpublizierte Bücher und eBooks als der gesamte restliche Online- und Offlinehandel. Dass dem so ist, wissen wir aus dem lauten Gejammere der letzten Jahre. Wenn diese Branche aber offensichtlich die Selfpublisher-Werke gar nicht will – das könnte man daraus entnehmen, dass man hier so zickt (Alibi-Verlagsangebote, die nur die Selfpublisher abzocken wollen, lassen wir mal außen vor) – dann verkauft man als Selfpublisher eben weiterhin auf der einzigen wirklich relevanten Plattform, nämlich Amazon.
Eine ASIN kostet nichts.
Und – seien wir doch mal ehrlich: Letztendlich nutzen die teuer gekauften ISBNs und VLB-Einträge gar nichts, wenn der sprichwörtliche Buchhändler an der Ecke die Bücher zwar im Verzeichnis findet, sie aber dem Kunden trotzdem nicht beschafft, weil der Großhändler sie nicht hat, und man dann tatsächlich direkt beim Anbieter bestellen müsste, worauf man keinen Bock hat. Kleinverlage wissen wovon ich rede.
Quintessenz: Beenden wir das Ganze mit einem »und tschüß!« in Richtung Börsenverein und nutzen alternative Vertriebswege, die auch noch viel effektiver und einfacher sind. Ich bin zudem sicher, dass sich noch weitere Vertriebswege über das Internet auftun werden (es gibt bereits welche: Google Books, iTunes und diverse mehr), bei denen der Umsatz selbstverständlich ebenfalls komplett an der Buchbranche vorbei läuft. Ich möchte dann aber kein Gemecker hören.
p.s.: Vielleicht melde ich auch ein Gewerbe an, bekomme dann ISBN-Nummern und kann diese zum Selbstkostenpreis an befreundete Selfpublisher weiter geben, ohne damit irgendwelche Einnahmen zu generieren. Die pappen dann mein »Label« auf ihren Umschlag und alle sind glücklich (und das Finanzamt erkennt mir den Gewerbestatus nach ein paar Jahren ab, weil keinerlei Gewinne erwirtschaftet werden). Aber eigentlich widerstrebt es mir, mich den uralten, überkommenen Riten der Branche zu unterwerfen. Und ich habe auch ehrlich keine Lust mich nochmal mit den Gierlappen von der IHK auseinander zu setzen, die sofort in der Tür stehen und Geld für eine Mitgliedschaft wollen, die ich nicht will und nicht brauche.
Gewerbeschein führt zu IHK-Mitgliedschaft und Berufsgenossenschaftsbeiträgen. Diese Kosten könntest du versuchen über die Bereitstellung billiger ISBN unter deinem Label wieder reinzuholen. Ein bisschen aufgerundet und du hast (bei ausreichender ISBN-Abnahme) einen marginalen Gewinn und der Gewerbeschein bleibt dir erhalten.
Allerdings bringt eine ISBN allein – wie du schon geschrieben hast – gar nichts.
Ich habe allerding gar keine Lust, mich den Machenschaften der IHK nochmals auszusetzen, die meiner Meinung nach an Erpressung grenzen. Und gegen die Menschenrechte verstoßen, denn: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 20: »Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören.«
Und wie ich schon schrieb: Ich habe eigentlich gar keine Lust, mich den Methoden und Riten der Buchbranche unterwerfen, wenn es eigentlich gar nicht nötig ist. Wenn der Buchhandel ausdrücklich Selfpublisherbücher nicht verkaufen möchte, dann verkaufe ich die halt über Amazon.
Ehrlich gesagt: Wenn die Mail doch schon fertig ist, würde ich sie abschicken. Was hast du zu verlieren? Im schlimmsten Fall kommt keine Antwort oder die negative Antwort, die du erwartest.
Aber sie jetzt noch abzuschicken, wo sie doch ausformuliert ist, kostet keine Energie mehr
Und vielleicht – nur vielleicht bewirkt sie ja was …
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Och, bitte schick die zweite E‑Mail ab. Dann kann sich der MVB hinterher wenigstens nicht herausreden, sie hätten es nicht gewusst.
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