Hinweis: Dieser Text von Cory Doctorow erschien ursprünglich auf der Webseite der Electronic Frontier Foundation, er steht unter der Creative Commons-Lizenz CC-BY. Die Übersetzung stammt von mir, diese steht ebenfalls unter CC-BY.
Während die EU daran arbeitet, dass die neue Urheberrechtsrichtline in den 28 Mitgliedsstaaten Gesetz wird, ist es wichtig sich eindeutig klar zu machen, dass die Pläne der EU dazu führen werden, dass das Internet für jeden zensiert werden wird, nicht nur für Europäer.
Eine kurze Erinnerung: Nach dem Artikel 13 der neuen Urheberrechtsdirektive muss jeder der eine (hinreichend große) Plattform betreibt, auf der Personen Dinge posten können, die möglicherweise einem Urheberrecht unterliegen (Dinge wie Text, Bilder, Videos, Programmcode, Spiele, Audio, etc.) eine Datenbank mit »urheberrechtlich geschütztem Material« crowdsourcen müssen, für das die Nutzer keine Berechtigung haben es zu teilen, und alles blocken, das möglicherweise einem Eintrag in der Datenbank entspricht.
In diese Blacklist-Datenbanken wird so ziemlich jeder alles eintragen lassen können (immerhin kann jede/r urheberrechtlich geschützte Werke erstellen): Das bedeutet, dass Milliarden Menschen auf der ganzen Welt in der Lage sein werden, so ziemlich alles in diese Blacklisten zu laden, und das ohne nachweisen zu müssen, dass sie das Urheberrecht daran tatsächlich halten (und auch ohne nachweisen zu müssen, dass ihre Einreichungen überhaupt urheberrechtlich geschützt sind). Die Richtlinie sieht keinerlei Bestrafung dafür vor, dass jemand fälschlich behauptet sein Urheberrecht werde verletzt – und eine Plattform die sich entscheidet jemanden zu blockieren, weil er wiederholt falsche angaben gemacht hat, läuft in das Risiko gegenüber dem Missbrauchenden verantwortlich zu sein, wenn dann doch mal jemand etwas postet an dem derjenige die Rechte hält.
Das Hauptziel dieser Zensurpläne sind die sozialen Medien – und es ist das »sozial«, über das wir alle mal nachdenken sollten.
Und das weil die Währung der sozialen Medien die soziale Interaktion zwischen den Nutzern ist. Ich poste etwas, Du antwortest, eine dritte Person klinkt sich ein, ich antworte, und so weiter.
Nehmen wir mal eine hypothetische Twitter-Diskussion zwischen drei Nutzern an: Alice (eine Amerikanerin), Bob (ein Bulgare) und Carol (eine Kanadierin).
Alice postet ein Bild eines politischen Marsches: Tausende Protestierende und Gegenprotestierende, alle wedeln mit Transparenten. Wie es auf der ganzen Welt üblich ist beinhalten diese Transparente auch urheberrechtlich geschützte Bilder, nach US-Recht ist das unter der »fair use«-Klausel möglich, die Parodien erlaubt. Weil Twitter seinen Nutzern ermöglicht signifikante Mengen an nutzergeneriertem Content zu kommunizieren fällt die Plattform unter den Geltungsbereich des Artikels 13.
Bob lebt in Bulgarien, einem Mitgliedsland der EU, dessen Urheberrechtsgesetz Parodie nicht erlaubt. Er will vielleicht mit einem Zitat des bulgarischen Dissidenten Georgi Markov antworten, dessen Werke in den späten 1970ern ins Englische übersetzt wurden und die noch dem Urheberrecht unterliegen.
Carol, eine Kanadierin, die Bob und Alice deswegen gefunden hat, weil sie alle DOCTOR WHO lieben, entscheidet sich, ein geistreiches Mem aus THE MARK OF THE RANI zu posten, einer Episode aus dem Jahr 1985, in der Colin Baker in der Zeit zurück reist, um die Ludditen-Proteste des 19. Jahrhunderts mitzuerleben.
Alice, Bob und Carol drücken sich alle durch die Nutzung urheberrechtlich geschützten kulturellen Materials aus, auf eine Art und Weise, die in Zukunft im Rahmen der meinungsunterdrückenden Urheberrechtsprechung der EU illegal wäre. Unter den heutigen Systemen muss die Plattform nur dann in Aktion treten, wenn sie darauf reagieren müssen, dass jemand sein Urheberrecht für verletzt hält und sich gegen eine Nutzung ausspricht. Bis dahin kann aber jeder jeden Post von anderen sehen und eine Diskussion mit Mitteln führen, die in unseren modernen, digitalen Diskursen vollkommen normal sind.
Doch sobald Artikel 13 in Kraft ist, sieht sich Twitter vor ein unlösbares Problem gestellt: Der Filter gemäß Artikel 13 wird von Alices witzigen Transparenten ebenso getriggert wie von Bobs politischem Zitat und Carols DOCTOR WHO Mem, doch theoretisch muss Twitter das urheberrechtsverletzende Material nur vor Bob verbergen.
Sollte Twitter die Nachrichten von Alice und Carol vor Bob verbergen? Falls Bobs Zitat in Bulgarien zensiert wird, sollte Twitter es Alice und carol zeigen (es aber vor Bob selbst, der es gepostet hat, verbergen)? Was, wenn Bob nach außerhalb der EU reist und dort mal in seine Timeline schaut? Oder wenn Alice Bob in Bulgarien wegen einer DOCTOR WHO Convention besucht, und dann versucht den Thread aufzurufen? Und denkt dabei immer daran, dass es keinen Weg gibt sicher zu sein, von woher ein Besucher einer Webseite kommt.
Die gefährliche aber simple Option ist es, alle Twitter-Nachrichten der europäischen Urheberrechts-Zensur zu unterwerfen, eine Katastrophe für die Online-Kommunikation.
Und natürlich geht es nicht nur um Twitter: Jeder Plattform mit Benutzern aus der EU wird dieses Problem lösen müssen. Google, Facebook, LinkedIn, Instagram, Tiktok, Snapchat, flickr, Tumblr – jeder Anbieter wird sich damit auseinandersetzen müssen.
Durch die Einführung des Artikels 13 erschafft die EU ein System in dem Urheberrechts-Beschwerdeführer einen gewaltigen Knüppel erhalten, mit dem sie das Internet verprügeln können, in dem Personen, die diese Macht missbrauchen, keinerlei Strafen befürchten müssen, und in dem Plattformen, die auf Seite der freien Meinungsäußerungen Fehler machen, diesen Knüppel mitten ins Gesicht bekommen werden.
Während die Zensurpläne der EU auf den nächsten Schritten hin zu ihrer Umsetzung sind, um für die gesamte EU bindend zu werden, ist die gesamte Welt betroffen – aber nur eine handvoll ernannter Verhandlungsführer haben eine Stimme.
Falls Du ein Europäer bist, dann wäre der Rest der Welt Dir sehr dankbar, wenn Du dir einen Moment Zeit nehmen würdest, um Deinen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu kontaktieren, und dringend darum zu bitten uns alle in der neuen Urheberrechtsdirektive zu schützen [und nicht nur die Konzerne].
Anmerkung des Übersetzers: Und das ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem, was auf die ganze Welt zukommen würde, wenn die technisch und inhaltlich handwerklich mangelhaft gemachten EU-Urheberrechtsrichtlinien zu Gesetzen werden. Weil zu viele EU-Politiker entweder den Konzernen hörig sind, oder keine Ahnung von dem haben, was sie da tun, wird das Internet irreparabel beschädigt und die freie Meinungsäußerung massiv eingeschränkt, unter dem Deckmantel des Urheberrechtsschutzes.
Bild: The World Flag, CC-BY-SA