Bandit bespricht: THEY SHALL NOT GROW OLD

THEY SHALL NOT GROW OLD – Bun­des­start 27.06.2019

Wer­be­slo­gans wie “Der Ers­te Welt­krieg in Far­be” oder “Der Ers­te Welt­krieg wie Sie ihn noch nie erlebt haben” kön­nen schnell zu Ver­wir­run­gen füh­ren. Denn hier war­ten kei­ne groß­ar­ti­gen Aben­teu­er oder inno­va­ti­ve Erzähl­struk­tu­ren. Aber wie sonst soll man dem Publi­kum einen Film näher brin­gen, der tat­säch­lich sehr viel wei­ter geht, als was man bis­her gese­hen hat? Er muss Neu­gier­de wecken, um die Auf­merk­sam­keit zu erlan­gen, wel­che er durch­aus verdient.

Es war eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit für Peter Jack­son, sehen zu kön­nen, was man bis­her nur aus münd­li­chen Über­lie­fe­run­gen kann­te. Jack­sons Groß­va­ter kämpf­te im gro­ßen Krieg und ver­starb viel spä­ter wegen anhal­ten­der Kriegs­lei­den, aber noch bevor der neu­see­län­di­sche Regis­seur ihn ken­nen­ler­nen durf­te. Die Fas­zi­na­ti­on für die­sen Krieg war seit­her unge­bro­chen und Peter Jack­son ver­füg­te über tech­ni­sche Res­sour­cen und Ver­bin­dun­gen, die alles mög­lich mach­ten. Er muss­te sich dafür nicht ein­mal eine Geschich­te aus­den­ken, Schau­spie­ler cas­ten, oder gar selbst einen Film dre­hen. Es war alles da. Mehr als genug.

Das Lon­don Impe­ri­al War Muse­um war ein sehr groß­zü­gi­ger und hin­ge­bungs­vol­ler Unter­stüt­zer die­ses Pro­jek­tes. Das Film­team ori­en­tier­te sich dabei haupt­säch­lich an bis­her unver­öf­fent­lich­ten Film­ma­te­ri­al. Davon wur­den über 100 Stun­den gesich­tet und aus­ge­wer­tet. Hin­zu kamen 600 Stun­den Audio­auf­nah­men von Vete­ra­nen, wel­che den Hor­ror im Schüt­zen­gra­ben erlebt hat­ten. Die Aus­wer­tung des Mate­ri­als allein nahm ein Jahr in Anspruch. Schon hier kris­tal­li­sier­te sich her­aus, dass Jack­son kei­ne Spiel­sze­nen nach­stel­len wür­de und auch kei­nen erklä­ren­den Erzäh­ler brauch­te. Es war eben alles da.

Park Road Post und Ste­reo D muss­ten das grob­kör­ni­ge und teil­wei­se über­la­ger­te Film­ma­te­ri­al restau­rie­ren und kolo­rie­ren. Das Ergeb­nis sind Bil­der, die vor hun­dert Jah­ren gar nicht mög­lich gewe­sen wären, aber gleich­zei­tig ori­gi­nal blei­ben. Das eigent­li­che Pro­blem bestand dar­in, dass es zur der Zeit noch kei­nen Stan­dard für die Bild­ra­te gab, der erst spä­ter auf 24 Bil­der pro Sekun­de fest­ge­legt wur­de. Film­ma­te­ri­al wur­de in den Kame­ras mit Feder­me­cha­nis­men oder Hand­kur­bel trans­por­tiert. Die Rol­len aus dem Impe­ri­al War Muse­um hat­ten daher ganz unter­schied­li­che Bild­ra­ten, die von 12 bis 18 Bil­der pro Sekun­de vari­ier­ten, die aber weder so gekenn­zeich­net waren oder man auch augen­schein­lich nicht bestim­men konn­te. Der Com­pu­ter muss­te jede Rol­le über Nacht auf 24 Bil­der hoch­rech­nen, und zwar auf Ver­dacht, um die Bewe­gun­gen natür­lich zu hal­ten und die bekann­ten, schnel­le­ren Slap­stick-Abläu­fe zu ver­mei­den. Der Com­pu­ter errech­ne­te even­tu­ell feh­len­de Bil­der und füll­te damit das Mate­ri­al, um die 24 Bil­der zu errei­chen. Manch­mal funk­tio­nier­te es beim ers­ten Ver­such. Wenn nicht, begann die Umwand­lung  mit einer ande­ren Ein­stel­lung von vorne.

Der Film beginnt in der Hei­mat, wo ein eng­li­sches und deut­sches Rug­by-Team wäh­rend eines Spie­les davon erfuh­ren, dass sich ihre Län­der im Krieg befan­den. Das Spiel wur­de aber erst ein­mal zu Ende gebracht. Es fol­gen die teil­wei­se absur­den Geschich­ten wo sich sech­zehn­jäh­ri­ge Büb­chen als Neun­zehn­jäh­ri­ge zum Dienst an der Waf­fe mel­den, die kno­chen­har­te Grund­aus­bil­dung, und schließ­lich der Abtrans­port an die Front. Bis hier­her wird alles in unbe­han­del­ten Ori­gi­nal­auf­nah­men erzählt. Erst im Schüt­zen­gra­ben ange­kom­men wech­selt der Film in sei­ne extrem auf­wen­dig erstell­ten Über­ar­bei­tun­gen. Das Mate­ri­al ist dabei so klar und kon­trast­reich, dass man nicht umhin kommt, an nach­ge­stell­te Sze­nen zu glau­ben. Ohne über­trei­ben zu wol­len: hier offen­bart sich ein Mei­len­stein tech­ni­schen Filmschaffens.

Dafür wird der Schre­cken noch viel grau­sa­mer. Auf­ge­ris­se­ne Pfer­de­lei­ber, schwer ver­wun­de­te Sol­da­ten, zer­fetz­te Kör­per. Jetzt in Far­be und in erschre­cken­den Details. Park Road Post hat bild­ge­nau die kor­rekt recher­chier­ten Ton­ef­fek­te unter­legt. Und sieht man im Bild einen Sol­da­ten reden, waren pro­fes­sio­nel­le Lip­pen­le­ser dabei, das Gesag­te von Schau­spie­lern syn­chro­ni­sie­ren zu las­sen. Dass grund­sätz­lich auf einen Mode­ra­tor ver­zich­tet wur­de, unter­stützt den Sog der Fas­zi­na­ti­on noch. Erzählt wird nur von denen die dabei waren, die wirk­lich was zu sagen hat­ten. Ohne dass der Film Sol­da­ten per­so­ni­fi­ziert, wird er den­noch sehr emo­tio­nal und per­sön­lich. Wie­der ein Punkt der die Schrau­ben des Schre­ckens zusätz­lich anzieht.

In THEY SHALL NOT GROW OLD geht es nicht um ein­zel­ne Per­so­nen, es geht im Schüt­zen­gra­ben nicht um Patrio­tis­mus, es geht nicht um die Ansich­ten und Moti­va­tio­nen ande­rer Län­der. Er bleibt wert­frei, ohne Schuld­zu­wei­sung, oder Res­sen­ti­ments. Eine Kunst wel­che man bei die­sem The­ma erst ein­mal schaf­fen muss. Sehr deut­lich wird das bei den Auf­nah­men deut­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner und eng­li­scher Sol­da­ten, wie unge­zwun­gen, fast kum­pel­haft sie mit­ein­an­der umge­hen. Das Gesicht eines Krie­ges wie man es bis­her nicht kann­te. Und das macht den Film umso wert­vol­ler – und die Absur­di­tät des Krie­ges viel deutlicher.

Die für eine Kino­aus­wer­tung gefer­tig­te 3D-Fas­sung ist eigent­lich hin­fäl­lig und ohne Bedeu­tung, trägt auch nichts zu dem opti­schen Ein­druck bei. Das restau­rier­te und bear­bei­te­te Mate­ri­al besitzt allein schon so viel Tie­fe, dass sich ein beein­dru­cken­der, drei­di­men­sio­na­ler Ein­druck ergibt.

 

THEY SHALL NOT GROW OLD
Regie: Peter Jackson
Bild­schnitt: Jabez Olssen
Musik: David Donald­son, Janet Rod­dick, Ste­ve Roche
Restau­rie­rung, Kolo­rie­rung, Ton­ef­fek­te: Dani­el Eady, Dave Tin­gey – Park Road Post
Wand­lung, Kolo­rie­rung, Ste­reo­sko­pie: Mil­ton Ama­dou – Ste­reo D
Film­ar­chiv Impe­ri­al War Muse­um: Matt Lee
99 Minuten
Neu­see­land / Groß­bri­tan­ni­en 2018

Bild­rech­te: WARNER BROS.

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