Bandit bespricht: THE NEW MUTANTS

THE NEW MUTANTS – Bun­des­start 10.09.2020

Es war abzu­se­hen, dass die Vor­ver­ur­tei­lun­gen umge­hend fol­gen und über­hand neh­men wür­den. An einen wohl­ge­son­ne­nen Start war da schon gar nicht mehr zu den­ken, nicht zwei­ein­halb Jah­re nach dem eigent­lich geplan­ten Ter­min. Und eine rei­che Aus­wahl an Schul­di­gen ist selbst­ver­ständ­lich auch vor­han­den, halt­los und unsin­nig. Hier wird das Schei­tern von THE NEW MUTANTS schon zele­briert, bevor die het­zen­de Meu­te den Film über­haupt gese­hen hat. Hat man ihn dann end­lich gese­hen lässt sich zwei­fel­los gut spe­ku­lie­ren, aber Ant­wor­ten wer­den aus­blei­ben. Und der Tanz um Schuld­zu­wei­sun­gen und Spe­ku­la­tio­nen wird sich lan­ge fortsetzen.

Hät­te man im April 2018 den Schritt gewagt, wäre die neue Gene­ra­ti­on von Mutan­ten noch in den Kanon der X‑Men Rei­he gefal­len. Mai­sie Wil­liams war noch mit­ten in GAME OF THRONES ver­haf­tet, Anya Tay­lor-Joy hät­te noch nicht mit EMMA soviel Auf­se­hen erregt und Char­lie Hea­ton müss­te nicht gegen den Erfolg von STRANGER THINGS ankämp­fen. Bis heu­te mit weni­ger Erfolg im Geschäft beschie­nen sind Blu Hunt und Hen­ry Zaga, die sich aber als cha­ris­ma­ti­sche Dar­stel­ler prä­sen­tie­ren und durch­aus für wei­te­re, min­des­tens eben­so gro­ße Pro­jek­te emp­feh­len. Alle mit unter­schied­li­chen über­na­tür­li­chen Fähig­kei­ten und auf­kei­men­den Erwach­sen­wer­den geseg­net, sind sie zusam­men in einem mys­te­riö­sen Insti­tut unter­ge­bracht, um erst ein­mal ihre Bega­bun­gen kon­trol­lie­ren zu ler­nen. Doch noch etwas ande­res hält Ein­zug in den edlen Hal­len: Eine zer­stö­re­ri­sche Macht beginnt die Jugend­li­chen zu ter­ro­ri­sie­ren, dabei sind die neu­en Mutan­ten noch gar nicht soweit, ihre Kräf­te effek­tiv ein­set­zen zu können.

Dass die­ser Film der ers­te einer ange­dach­ten Tri­lo­gie ist, erkennt man leicht an sei­nem nar­ra­ti­ven Auf­bau. In den ers­ten 50 Minu­ten sei­ner ohne­hin erstaun­lich kur­zen Lauf­zeit von gera­de ein­mal 94 Minu­ten kon­zen­triert sich alles auf die Cha­rak­te­re. Mit­un­ter ist die Expo­si­ti­on der Figu­ren deut­lich zu lang gera­den, wäh­rend die eigent­li­che Hand­lung merk­lich hin­ten ansteht, fast schmerz­lich hin­ten ansteht. Denn NEW MUTANTS soll noch immer ein Super­hel­den- und gleich­zei­tig Hor­ror­film sein. Auf der ande­ren Sei­te macht es sich doch bezahlt, dass ein Regis­seur wie Josh Boo­ne den Kom­man­do­ses­sel über­nom­men hat. Im Vor­feld waren von Nerd- und Fan-Sei­te aus Beden­ken ange­mel­det wor­den, da Boo­ne in sei­ner Vita gera­de ein­mal zwei hoch­wer­tig anspruchs­vol­le Roman­zen vor­wei­sen konn­te. Die Cha­rak­ter­ent­wick­lung ist dem­nach sehr gut insze­niert, fast gleich­sam einem Büh­nen­stück, nur spo­ra­disch auf­ge­lo­ckert mit unauf­dring­li­chen, eher zurück­ge­nom­me­nen, Trick­ef­fek­ten gefor­dert durch die Super­kräf­te der Prot­ago­nis­ten. Char­lie Hea­ton Figur, den Insi­dern als »Can­non­ball« bekannt, kommt dabei lei­der etwas kurz. Eine spe­zi­el­le Bezie­hung zwei­er Cha­rak­ter wie­der­um ist dafür sehr ein­fühl­sam und ehr­lich umge­setzt. Boo­ne beweist sich auch hier als Schau­spiel-Regis­seur mit viel Gespür.

Doch noch immer ver­kauft sich die­ser Film als ers­ter rei­ner Hor­ror­film mit Super­hel­den. Was natür­lich selt­sam anmu­tet, nach dem Erfolg des düs­te­ren BRIGHTBURN. Auf der ande­ren Sei­te ist es aber frag­lich wie man Hor­ror defi­nie­ren mag, auch MARRIAGE STORY war für geplag­te Ehe­be­zie­hun­gen ein Hor­ror­film. Wer sich also an der voll­mun­di­ge Pro­pa­gan­da von Stu­dio und Pro­du­zen­ten ori­en­tiert, wird schnell  unru­hig wer­den. Auch wenn die Atmo­sphä­re im Insti­tut stets ange­spannt und undurch­sich­tig gehal­ten wird, tre­ten die ers­ten schau­er­li­chen Sze­nen erst nach der Hälf­te der Lauf­zeit auf, um dann erst ein­mal wie­der län­ge­re Zeit aus­zu­set­zen. Was sich dann aller­dings in den letz­ten 25 Minu­ten ent­fal­tet, kann man mit viel gutem Wil­len als Hor­ror bezeich­nen. Aber tat­säch­lich ist es eigent­lich nichts ande­res als ein typi­schen Super­hel­den-Sze­na­rio. Ein über­mäch­ti­ger Geg­ner und fünf Indi­vi­dua­lis­ten, die erst ein­zeln ver­su­chen der Situa­ti­on Herr zu wer­den. Und am Ende stellt sich her­aus, dass die­ser gedach­te Geg­ner Bestand­teil des gro­ßen Gan­zen ist. Tat­säch­lich endet erst hier die Ent­wick­lung aller fünf neu­en Mutan­ten. Das ist wenigs­tens zum Ende hin eine sehr ange­neh­me Wen­dung, weil sie dem Cha­rak­ter der inti­men und redu­zier­ten, auf die Figu­ren bezo­ge­nen Insze­nie­rung noch ein­mal betont und ver­stärkt. Aller­dings ver­weist man damit unmiss­ver­ständ­lich auf wei­te­re Tei­le – die aber nicht kom­men werden.

Wäh­rend das Ensem­ble über­zeugt, jeder für sich sehr gut spielt und in der Grup­pe sogar noch ein­mal drauf legt, lei­det der Film an vie­len klei­nen Man­kos, die das Allein­stel­lungs­merk­mal inner­halb der kom­plet­ten X‑Men Kino­rei­he immer wie­der ins Stol­pern bringt. War­um ein medi­zi­nisch psy­cho­lo­gi­sches Insti­tut mit uner­schöpf­li­cher Finanz­kraft aus­ge­leuch­tet sein muss wie ein ser­bi­sches Kel­ler­la­by­rinth in einem Tor­tu­re-Porn, ist abso­lut schlei­er­haft und schafft schon lan­ge kei­ne wirk­li­che Atmo­sphä­re mehr. Dar­aus soll­te der moder­ne Hor­ror­film end­lich her­aus gewach­sen sein.
In einer Sequenz wird einem Opfer in aller Deut­lich­keit dar­ge­legt, war­um es ster­ben muss. Das weckt schmerz­li­che Erin­ne­run­gen an bestimm­te Agen­ten­fil­me, wo der Böse­wicht dem ange­dacht ster­ben­den Hel­den den gesam­ten Plan ver­rät, damit die­ser ihn dann erfolg­reich ver­hin­dern kann. Hier dient es als unnüt­zer Dia­log, um den Zuschau­er die Situa­ti­on zu erläu­tern. Das hat der Zuschau­er zu die­sem Zeit­punkt schon selbst her­aus­ge­fun­den, was schließ­lich auch Auf­ga­be einer guten Insze­nie­rung ist, das Publi­kum wirk­lich mitzunehmen.
Und dass ein Mons­ter, um Angst und Schre­cken zu ver­brei­ten, in Groß­auf­nah­me in Rich­tung Kame­ra brül­len muss, und das wie­der­hol­te Male, wur­de sei­ner­zeit gefühlt für  JURASSIC PARK erfun­den und hat­te sich schon inner­halb jenes Films tot­ge­lau­fen. Sehr unin­spi­riert wirkt zudem, dass die Hälf­te der Dar­stel­ler im Hel­den­mo­dus leuch­ten­de Augen­höh­len haben, um irgend­was zu ver­deut­li­chen, das der Zuschau­er ohne­hin weiß, hört oder sieht.
Auch die stän­di­gen Anspie­lun­gen auf Pro­fes­sor X, ohne ihn wirk­lich ein­mal zu nen­nen, hat eher einen unori­gi­nel­len Anstrich, weil es immer wie­der zu ver­krampft prä­sen­tiert wird. Was genau­so für jene Dia­log gilt, die sich ein­fach zu gezwun­gen um die X‑Men dre­hen. Das ist kei­nes­wegs homo­gen, und ist viel zu for­ciert und kei­nes­wegs natür­lich. Ein Blick zu DEADPOOL wäre hilf­reich gewesen.
Das sind in der Tat immer nur Klei­nig­kei­ten, für man­che viel­leicht sogar Nich­tig­kei­ten. Aber es fehlt den NEW MUTANTS ein­deu­tig an insze­na­to­ri­scher sowie opti­scher Ori­gi­na­li­tät, im Design wie im struk­tu­rel­len Auf­bau. Und die­se Klei­nig­kei­ten, oder Nich­tig­kei­ten, häu­fen sich zu einem unbe­frie­di­gen­dem Gan­zen, von dem man ein­fach mehr erwar­tet hat. NEW MUTANTS soll­te auch nie das gro­ße Action-Aben­teu­er sein, in der die Welt geret­tet wird, son­dern eben eine Kam­mer­spiel-arti­ge Varia­ti­on, wo das Übel im Inne­ren der Figu­ren herrscht und bewäl­tigt wer­den muss. Dies kann der Film nur bedingt befrie­di­gend umset­zen, weil er auf Gedeih und Ver­derb immer wie­der aus­bricht, um in eine ande­re Rich­tung aus­zu­schla­gen, oder auch sei­ne düs­te­re  Atmo­sphä­re nie rich­tig zu gebrau­chen versteht.

Ob das nie­der­träch­ti­ge Maus-Haus oder der weich­ge­spül­te Regis­seur, ob Nach­drehs oder Umschnit­te. Natür­lich alles Hirn­für­ze, aber wor­an es letzt­end­lich wirk­lich gele­gen hat, dass NEW MUTANTS nicht funk­tio­niert wie gedacht, wird man auch in naher Zukunft nicht wirk­lich nach­voll­zie­hen kön­nen. Viel­leicht for­der­ten die Erwar­tungs­hal­tun­gen von soge­nann­ten Fans und angeb­li­chen Film­ken­nern die in alle Rich­tun­gen von Ver­un­glimp­fun­gen und Beschimp­fun­gen gin­gen, die­se end­gül­tig schei­nen­de Reso­nanz auch her­aus. Eine Chan­ce hät­te der Film kaum gehabt, weil anschei­nend kei­ner der sich laut äußern konn­te, ihm die­se Chan­ce noch geben woll­te. Was trau­ri­ger macht, als das End­pro­dukt selbst. So oder so, die NEW MUTANTS sind da, sind ange­kom­men, und müs­sen abwar­ten. Ein finan­zi­el­ler Erfolg ist nie aus­zu­schlie­ßen. Bes­ser macht das den Film aber nicht. Leider.

THE NEW MUTANTS
Dar­stel­ler: Anya Tay­lor-Joy, Char­lie Hea­ton, Blu Hunt, Mai­sie Wil­liams, Hen­ry Zaga, Ali­ce Bra­ga u.a.
Regie: Josh Boone
Dreh­buch: Josh Boo­ne, Kna­te Lee
Kame­ra: Peter Deming
Bild­schnitt: Andrew Buck­land, Matthew Run­dell, Robb Sullivan
Musik: Mark Snow
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Mol­ly Hughes
94 Minuten
USA 2020

Bild­rech­te: The WALT DISNEY Com­pa­ny (Ger­ma­ny)

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