Bandit bespricht: NEUES AUS DER WELT

NEWS OF THE WORLD – Net­flix ab 10.02.2021

Es ist ein zufrie­de­ner Blick, der durch die Run­de geht. Kei­ne Über­heb­lich­keit, son­dern ein wenig Stolz, gepaart mit Hoff­nung. Her­un­ter­ge­kom­me­ne Cow­boys, ver­arm­te Far­mer, sie sind gekom­men um ihn zu hören. Es ist nicht so, dass Tom Hanks die­se Figur spielt, son­dern sie ist Tom Hanks. Cap­tain Jef­fer­son Kyle Kidd reist durch Texas und trägt aus ver­schie­de­nen Zei­tun­gen die wich­tigs­ten oder amü­san­tes­ten Nach­rich­ten vor. Seit dem Bür­ger­krieg sind fünf Jah­re ver­gan­gen, und die süd­lich gele­ge­nen Staa­ten lei­den noch unter den Nach­we­hen. Die Men­schen haben kei­ne Zeit oder kein Geld Zei­tung zu lesen, wobei die meis­ten über­haupt nicht lesen kön­nen. Es ist schwer vor­stell­bar, dass es NEUES AUS DER WELT geben wür­de, wenn nicht Tom Hanks die­se Rol­le über­nom­men hät­te. Geschwei­ge denn, dass man sich für die­sen Film inter­es­sie­ren wür­de. Cap­tain Jef­fer­son Kyle Kidd ist ein beson­ne­ner Mensch, Rea­list mit Güte und Ver­stand. So einen Men­schen fast zwei Stun­den der­art prag­ma­tisch und gleich­zei­tig emo­tio­nal zu ver­kör­pern, ohne der Ver­su­chung zu erlie­gen ihn mit dra­ma­tur­gi­schen Schwan­kun­gen mehr Tie­fe zu geben, das ist nicht ein­fach Schau­spiel­kunst, son­dern Charisma.

Bestimmt wur­de Regis­seur Paul Gre­en­grass schon mehr­mals die Fra­ge gestellt, war­um er aus­ge­rech­net einen Wes­tern gemacht hat. Die Ant­wort wäre wie aus dem Buch für mar­ke­ting­tech­ni­sche Inter­view­fra­gen. Weil es schon immer sein Traum war, könn­te er ant­wor­ten, oder anders for­mu­liert, weil jeder Regis­seur ein­mal mit die­sem Gen­re arbei­ten müss­te. Jetzt hat er zusam­men mit Autor Luke Davies die­sen Traum ver­fasst und insze­niert. Wobei die Ant­wort und der Traum natür­lich wei­ter­hin spe­ku­la­tiv sind. Aber sieht man Gre­en­grass‘ bis­he­ri­ge Arbei­ten und ver­gleicht deren Art, The­men und Umset­zung mit NEUES AUS DER WELT, dann muss man an die­sen Traum glauben.

Der Wes­tern war tat­säch­lich nie tot, wie es manch­mal hieß, als man mit SILVERADO und noch ver­stärk­ter mit DER MIT DEM WOLF TANZT eine Renais­sance her­bei reden woll­te. Sei­ne The­men hat­ten sich nur ver­än­dert. Und weil es schick­lich ist, heu­te alles mit sozio­po­li­ti­schen Gehalt recht­fer­ti­gen zu wol­len, über­rascht die klas­si­sche Struk­tur und ein­fa­che Erzähl­form von NEUES AUS DER WELT durchaus.

So könn­te man Cap­tain Kidd als das mah­nen­de Gewis­sen gegen eine kaput­te Welt, ein gebro­che­nes Ame­ri­ka, den Nie­der­gang des Gesell­schaft ver­ste­hen. Aber genau das ist weder die Figur, noch will der Film etwas ähn­li­ches als Kon­text ver­stan­den wis­sen. Es ist eine sehr gerad­li­ni­ge Geschich­te zwei­er Men­schen, die noch nicht wis­sen, wo ihre Bestim­mung liegt.

Dabei kann Hele­na Zen­gel mit ihrer Dar­stel­lung der von Kio­was ent­führ­ten Deut­schim­mi­gran­tin Johan­na, das Publi­kum nicht so über­zeu­gend für sich ein­neh­men. Das liegt nicht an ihrer Leis­tung, son­dern weil ihre Cha­rak­ter­zeich­nung eben­so, wie der Film als sol­cher, dem klas­si­schen Pro­fil unter­wor­fen wird. Sie schlägt um sich, kratzt, beißt und grunzt abwei­send, wenn ihr eigent­lich jemand etwas Gutes tun will. Es soll zuerst nach­voll­zieh­bar wir­ken, irri­tiert anfangs aller­dings, weil es in einem zu star­ken Kon­trast zu Hanks gefass­tem und für das Gen­re unge­wöhn­lich empa­thi­schen Cha­rak­ter steht.

In alter Tra­di­ti­on gönnt Dari­usz Wol­ski dem Zuschau­er wun­der­ba­re Land­schafts­to­ta­len von ein­sa­men Step­pen, fel­si­gen Höhen­zü­gen und kar­gen Wald­be­stän­den. Es erweist sich als klu­ge künst­le­ri­sche Ent­schei­dung, dass Paul Gre­en­grass auf den ver­wa­ckel­ten Hand­ka­me­ra-Stil sei­ner sons­ti­gen Kol­la­bo­ra­teu­re Bar­ry Ack­royd oder Oli­ver Wood ver­zich­tet hat.

Aller­dings gelingt es der Bild­füh­rung nicht, für die ein­zel­nen Set­tings unter­schied­lich cha­rak­te­ris­ti­sche Züge zu fin­den. Nach der Hälf­te sei­ner Lauf­zeit, haben sich auch die Aus­wahl dif­fe­ren­zier­ter Lang­schaf­ten erschöpft, und die Umge­bung unter­schied­li­cher Sze­nen wird belie­big, somit auch weni­ger inter­es­sant. Doch so wie man anneh­men könn­te, NEUES AUS DER WELT wür­de zu einem belang­lo­sem Wes­tern, der sich in bewähr­ten Ver­satz­stü­cken ver­liert, soll­te man als geneig­ter Zuschau­er den Blick fürs Detail nicht verlieren.

Es steckt mehr in die­sem Film als nur die unge­bro­chen cha­ris­ma­ti­sche Aura eines Tom Hanks, der mitt­ler­wei­le alles spie­len kann, ohne dass man dar­über nach­den­ken muss, oder an ihm zwei­feln wür­de. Getra­gen von einer unheim­lich beherrsch­ten Hele­na Zen­gel, gewinnt Johan­na als Figur ganz sub­til an Augen­hö­he mit Cap­tain Kidd. Im letz­ten Vier­tel schließ­lich, wech­selt die trei­ben­de Kraft in der Füh­rungs­rol­le. Ein Moment der wegen sei­nes mys­ti­schen Augen­blicks und der kraft­vol­len Optik fast unbe­merkt bleibt.

Was NEUES AUS DER WELT aus sei­ner nur schein­ba­ren Bana­li­tät her­aus hebt, sind die vie­len Details, mit denen Kon­ven­tio­nen aus­ge­he­belt wer­den. Da ist die Rol­le von Urein­woh­nern die nur in unwirk­li­chen Bil­dern Gestalt anneh­men. Es sind für den Stan­dard-Wes­tern unüb­li­che, aber rea­le, Stadt­ku­lis­sen. Die­se Sequenz in einem Arbei­ter­la­ger, wel­che eher unauf­dring­lich eine aktu­el­le Medi­en­kri­tik ins Visier nimmt, aber zurück­hal­tend unpo­li­tisch ist. Auch der Trick mit Mün­zen als Patro­nen­er­satz, den man tat­säch­lich nach­le­sen kann. Über­haupt die noch nie behan­del­te Pro­fes­si­on des Nach­rich­ten­ver­le­sers und sei­ne Bedeutung.

Paul Gre­en­grass hat einen sehr gerad­li­ni­gen Wes­tern insze­niert, der sich nicht als sozio­po­li­ti­sche Kri­tik ver­steht, oder als auf­dring­li­che Meta­pher den Zeit­geist wie­der­spie­geln will. Sei­ne See­le spie­gelt sich in zwei sich gegen­sei­tig tra­gen­den Figu­ren, die ihr Schick­sal erst begrei­fen müs­sen. Kidd ist ver­wirrt über sei­nen abwe­gi­gen Drang der ver­lo­re­nen Johan­na zu hel­fen, wie die­se sich nicht mit der für sie unver­ständ­li­chen Situa­ti­on arran­gie­ren will.

Das ist nichts Neu­es in der Welt, aber die Lie­be steckt eben im Detail. In die­ser Bezie­hung, wie in all den Klei­nig­kei­ten mit denen Paul Gre­en­grass über­zeugt, ohne das man es als auf­dring­lich wahr­nimmt. Was in die­ser Form viel­leicht gar nicht mög­lich gewe­sen wäre, ohne die ein­neh­men­de Prä­senz von Hele­na Zen­gel und Tom Hanks. Und um den klas­si­schen Vor­bil­dern gerecht zu wer­den, nimmt man das Ende mit Wohl­wol­len auf, wel­ches man­che kit­schig und sen­ti­men­tal nen­nen wür­den. Ande­re nen­nen es stim­mig und notwendig.

NEWS OF THE WORLD – NEUES AUS DER WELT
Dar­stel­ler: Tom Hanks, Hele­na Zen­gel, Micha­el Covi­no, Mare Win­ning­ham, Fred Hechin­ger, Bill Camp, Neil San­di­lands, Ray McK­in­non u.a.
Regie: Paul Greengrass
Dreh­buch: Paul Gre­en­grass, Luke Davies
nach dem Roman von Pau­let­te Jiles
Kame­ra: Dari­usz Wolski
Bild­schnitt: Wil­liam Goldberg
Musik: James Newton-Howard
Pro­duk­ti­ons­de­sign: David Crank
118 Minuten
USA 2020

Bild­rech­te: UNIVERSAL PICTURES / NETFLIX

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