CURON – Netflix seit 10.06.2020
Es sind junge, ambitionierte Filmemacher. Autoren die etwas wagen. Und es gibt Darsteller die charismatisch, begabt und unverbraucht sind. Das gesamte kreative Team ist international noch vollkommen unbekannt, hat sich höchstens im Heimatland Italien bisher einen zweiten Blick erarbeitet. Und es gibt einen Sender, der geradezu nach Potential für Serien mit eventuellem Kultcharakter und mystisch, fantastischen Einschlägen lechzt. Es ist natürlich Netflix – mit soviel Unverfrorenheit und Selbstbewusstsein, dass diese Brutstätte von Innovation innerhalb kürzester Zeit die eisernen Strukturen des unbezwingbar scheinenden Kolosses an Filmindustrie aufriss. Dass unmittelbar so kurz nach dem Instant-Kult STRANGER THINGS ausgerechnet eine deutsche Serie wie DARK produziert werden konnte, ist klares Indiz, dass das gesamte Konzept und die Bücher von selbiger bereits in den Schubladen vor sich hingammelten. Es bedurfte nur einer Initialzündung. DARK hat bei weitem nicht die Qualitäten von STRANGER THINGS, aber es gab ein heißgelaufenes Publikum. Und dass die erste italienische Netflix-Serie CURON diesem Trend folgen soll, war schon beim ersten Vorgucker unübersehbar.
Nach 17 Jahren kehrt Anna mit ihren Zwillingen Daria und Mauro in ihr Heimatdorf Curon in Südtirol zurück. Gerade schwanger und vom Kindsvater verlassen, schickte ihr Vater Thomas sie damals fort. Die Freude über ihre Rückkehr hält sich – gelinde gesagt – sehr in Grenzen. Dass damals etwas Unheilvolles und Unerklärliches passiert ist, erfährt der Zuschauer schon mit den ersten Bildern. Die Feindseligkeit im Dorf gegenüber Thomas, Anna und den Kindern machen auch schnell klar, dass die unbestimmten Vorgänge vor siebzehn Jahren noch immer die Gesellschaft in der abgeschiedenen Gemeinde beherrschen. Der Zuschauer wird von da an aber sehr viel länger brauchen, um einzelne Hinweise und Vorkommnisse richtig zuordnen zu können. Jedes gelöste Rätsel wirft noch mehr Fragen auf. Der außereuropäische Zuschauer wird gleich einmal unterwiesen, dass Südtirol einmal zu Österreich gehörte. Das macht die originale Sprachfassung schon mal ein wenig spannender, weil sich die italienisch sprechenden Charaktere immer wieder akzentfreier, deutscher Floskeln bedienen.
Benjamin Maiers aufdringliche Farbgestaltung ist das Erste, was fast wortwörtlich ins Auge sticht. Kalte kontrastreiche Blautöne, abwechselnd mit schmutziger Orangeoptik. Das ist stimmungsvoll gemeint und funktioniert anfangs sogar ganz gut. Das Farbkonzept hat sich allerdings bereits nach der ersten Episode selbst überholt. Doch die Macher rücken auch in der verbleibenden Spielzeit nicht davon ab. Da wird aus der Stimmung schnell Ermüdung. Noch dazu, wo Maier leider sehr wenig mit den Möglichkeiten von Bildgestaltung anzufangen weiß. Selbst die bedrohlich Szenerie mit dem aus dem See ragenden Kirchturm des gefluteten Dorfes, hat sich schnell verflüchtigt.
Dass aufkommende Stimmungen und gruselige Atmosphäre keinen durchgängigen Bestand haben, ist aber der halbherzigen Dramaturgie geschuldet, welche die Drehbücher darlegen. CURON ist Psychothriller, Gruselserie, Coming-of-Age-Drama und Milieustudie zugleich. Das alles zusammen sehr unausgewogen, manchmal nicht stimmig, und nur sehr selten im Kontext zueinander. Ein vermeintlich übernatürliches Phänomen wird, sobald als solches erkannt, einfach für gegeben hingenommen, um sich anderen Problemen zu widmen. Man merkt, dass sich die beiden Regisseure Lyda Patitucci und Fabio Mollo viel lieber mit den zwischenmenschlichen Problemen ihrer Figuren auseinandersetzen, anstatt sich mit Grusel-Atmosphäre und Horror-Elementen zu befassen. Schwer vorstellbar, dass der geneigte Zuschauer wirklich so viel Freude an der Serie haben wird, wie man mit den Trailern versprochen bekam.
Verdenken kann man es auf der einen Seite der Regie aber auch nicht. Besonders Frederico Russo und Margherita Morchio spielen sich in Authentizität und Eindringlichkeit in eine ganz hohe Liga. Überhaupt ist das gesamte Ensemble an Jugenddarstellern phänomenal und spielt seine älteren, erfahreneren Kollegen einmal ganz locker unter die Oberfläche des verwunschenen Sees. Das hilft aber nicht darüber hinweg, dass CURON in erster Linie immer noch eine Gruselserie mit Horrorelementen ist. Die Serie hätte keine Schwierigkeiten, wären diese Handlungsteile als extravaganter Hintergrund konzipiert. Aber das Übernatürliche steht klar als treibende Geschichte und verkümmert oftmals an langen Durststrecken, wonach es, wenn benötigt, nur schwer wieder die notwendige Kraft findet.
CURON ist weder misslungen, noch eine schlechte Serie. Leider muss man ihr aber zusprechen, lediglich ein netter Zeitvertreib zu sein. Das geringe Budget (offiziell nicht bekannt) schlägt sich besonders auf die Szenen im Dorf mit ihren Bewohnern nieder. Auch manch holprige Szenenwechsel lassen vermuten, dass man einen Erklärungsnotstand innerhalb der Erzählung umgehen wollte, oder das Budget eine erklärende Auflösung bestimmter Sequenzen nicht zuließ. Da Serien einer anderen Dynamik gehorchen als in sich abgeschlossene Filme dürfte CURON dennoch eine nicht unbedeutende Zahl an Zuschauern erreichen, die Gefallen an dem stark von der Erwartung abweichenden Stil finden. Das schon brachial auf eine zweite Staffel hin inszenierte Ende ist allerdings dennoch sehr mutig und vielleicht nicht unbedingt mit Glück gesegnet.
CURON
Darsteller: Valeria Billelo, Luca Castellano, Luca Lionello, Federico Russo, Margherita Morchio, Anna Ferzetti, Alessandro Tedeschi, Max Malatesta, Salvatore De Santis u.a.
Regie: Fabio Mollo, Lyda Patitucci
Drehbuch: Ezio Abbate, Ivano Fachin, Giovanni Galassi, Tommaso Matano
Kamera: Benjamin Maier
Bildschnitt: Luca Montanari, Filippo Maria Montemurro, Mirko Platania
Musik: Giorgio Giampà, Ginevra Nervi, Carmelo Emanuele Patti
eine Staffel, 7 Episoden
Je circa 43 Minuten
Italien 2020
Bildrechte: NETFLIX