Bandit bespricht: THE LAST DAYS OF AMERICAN CRIME

THE LAST DAYS OF AMERICAN CRIME – Net­flix-Pre­miè­re 05.06.2020

Wenn das Ende jeder kri­mi­nel­len Akti­vi­tät bevor­steht, dann wird man nicht zur Legen­de mit dem Ver­bre­chen, wel­ches man begeht. Man wird zur Legen­de das wirk­lich letz­te Ver­bre­chen in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten began­gen zu haben. Das hört sich nach einer Geschich­te an, die äußerst viel­ver­spre­chend sein muss. Das gan­ze setzt man vor einem Hin­ter­grund der zwi­schen STRANGE DAYS und THE PURGE ange­sie­delt ist, das macht es viel span­nen­der. Zuge­ge­ben, die Gra­phic Novel als Vor­la­ge für die­sen Film wur­de vier Jah­re vor THE PURGE publi­ziert, span­nend bleibt es den­noch. THE LAST DAYS OF AMERICAN CRIME hat so vie­les, aus ver­schie­dens­ten Gen­res, dass er ein­fach ein lau­ni­ger Zeit­ver­treib sein muss. Dabei hat die­ser Film so vie­les, aus ver­schie­dens­ten Gen­res, mit dem er nichts anzu­fan­gen weiß.

Auf den Stra­ßen herrscht pure Anar­chie. Dage­gen hat die Regie­rung ein Radio­si­gnal ent­wi­ckeln las­sen, das im Hirn bestimm­te Syn­ap­sen anspricht, wel­che einen Men­schen dahin­ge­hend blo­ckie­ren, Ver­bre­chen irgend­ei­ner Art zu bege­hen. Die Gren­zen sind geschlos­sen. Noch zwei Wochen bis das Signal lan­des­weit in Betrieb genom­men wird. Nur der durch­ge­knall­te Kevin Cash, Sohn eines der größ­ten Syn­di­kats­bos­se, hät­te eine Mög­lich­keit, das Signal für drei­ßig Minu­ten zu ver­zö­gern. Genug Zeit, um das aller­letz­te Ver­bre­chen zu bege­hen und abschlie­ßend über die nahe kana­di­sche Gren­ze zu flüch­ten. Dazu braucht Kevin aller­dings einen ganz har­ten Kerl, einen wie Gra­ham Bri­cke. Dass Bri­cke kurz vor­her die attrak­ti­ve, und unglaub­lich frei­zü­gi­ge Shel­by ken­nen­ler­nen darf, ist also kein Zufall.

Die gesam­te Insze­nie­rung von Regis­seur Oli­vi­er Mega­ton ist über­spitzt Tes­to­ste­ron-gesteu­ert. Sogar die Frau­en, denen gera­de ein­mal zwei Sprech­rol­len zuge­stan­den wur­den, die von inhalt­li­cher oder aus­schmü­cken­der Rele­vanz sind. Die Geschich­te beginnt mit einem furio­sen Start, der Freun­den über­zeich­ne­ter Gewalt Wohl­be­ha­gen berei­ten dürf­te. Aller­dings kann der Film die­se eige­ne Vor­la­ge nicht wie­der­ho­len, oder gar stei­gern. Zudem braucht es noch drei­ßig sehr lan­ge Minu­ten, bis das ers­te mal von jenem letz­ten aller ame­ri­ka­ni­schen Ver­bre­chen gespro­chen wird. Es folgt die Aus­ar­bei­tung des Pla­nes. Irgend­wann nach sehr lan­ger Zeit schließ­lich der Raub. Und am Ende der alles erklä­ren­de Show­down. Dazwi­schen gibt es immer wie­der Sze­nen mit har­ten Män­nern, die in Zei­ten wie die­sen eben ganz har­te Din­ge tun. Und weil das nicht genug scheint, ist da noch eine Neben­hand­lung mit einem cha­rak­ter­lich unde­fi­nier­ba­ren Poli­zis­ten, die es ein­fach nur um ihrer selbst wil­len gibt.

Jetzt gibt es Unmen­gen von Gangs­ter- und Action­fil­men, die gar kei­nen Wert auf Sinn und Logik legen. Und das ist durch­aus in Ord­nung und legi­tim. Doch die­se Geschich­te ist so voll­ge­la­den mit Bil­dern, Bedeu­tung, Meta­phern, Moral, Ehre und auch Lebens­fra­gen, das man dahin­ter ein­fach ein gro­ßes Epos über eine frag­wür­di­ge Gesell­schaft ver­mu­ten muss. Doch nichts davon, nichts was die­ser Film an viel­schich­ti­gen Erzäh­lun­gen anbie­tet, fügt sich in irgend­ei­ner Art zusam­men. Das geht sogar soweit, dass ein­zel­ne Hand­lungs­frag­men­te dar­an ein­fach zer­fal­len. Das fängt bei den Moti­va­tio­nen ein­zel­ner Figu­ren an. War­um muss Shel­by mit Bri­cke vögeln, wenn er ohne­hin beim Raub mit­ge­macht hät­te? Nur als exem­pla­ri­sches Bei­spiel. Der ein­zig stim­mi­ge Cha­rak­ter ist Micha­el Pitt als Kevin Cash, der einen Sozio­pa­then spielt wie man ihn eigent­lich schon zig-mal gese­hen hat. Aber Pitt, hier in sicher­lich einer sei­ner kraft­volls­ten Rol­len, spielt mit soviel Ener­gie und unbe­schwert extro­ver­tiert, dass er allein in posi­ti­ver Erin­ne­rung bleibt.

Edgar Ramí­rez sowie Anna Brews­ter sind eigent­lich sehr cha­ris­ma­ti­sche Lein­wand­prä­sen­zen. Doch wenn ein Mann wie Oli­vi­er Mega­ton nach einem unin­spi­rier­ten Dreh­buch von Karl Gaj­du­sek nichts mit sei­nen Dar­stel­lern anzu­fan­gen weiß, dann nüt­zen weder Talent noch Hin­ga­be dem Film etwas. Jetzt wäre die viel­ver­spre­chen­de Mischung von anar­chis­ti­schem Gesell­schafts­sze­na­rio, leich­ten Sci­ence Fic­tion Ele­men­ten, Gangs­ter­film und detail­ver­ses­se­nem Raub­über­fall der idea­le Nähr­bo­den für etwas wirk­lich Beson­de­res. Viel­leicht funk­tio­nier­te das in der Gra­phic Novel, doch ist Film ein Medi­um das ganz ande­ren Geset­zen und Ansprü­chen gehorcht. Da nützt es auch nichts, dass Bild­ge­stal­ter Dani­el Aranyó alles in schmut­zi­ge Braun­tö­ne legt. Mit ledig­lich zwei kur­zen Sequen­zen hebt sich die Kame­ra­ar­beit von einer obli­ga­to­ri­schen Bild­füh­rung ab und schaf­fen kurz das fil­mi­sche Äqui­va­lent zu einem gezeich­ne­ten Bild. Eine davon ist zum Bei­spiel die Faust-Tira­de gegen den Hauptprotagonisten.

Zwei auf­ein­an­der­fol­gen­de Action-Sze­nen, der bren­nen­de Trai­ler und eine Auto­ver­fol­gung, sind der­art unver­hält­nis­mä­ßig insze­niert, dass sie schon an der Gren­ze zur Lächer­lich­keit ent­lang krat­zen. Die Vor­be­rei­tun­gen für den Ein­bruch sind alles ande­re als ein gutes Abbild von OCEANS ELEVEN, son­dern lau­fen neben­her und ver­lie­ren sich in über­ra­schungs­lo­ser Nich­tig­keit. Der Raub­über­fall bleibt ohne einen Fun­ken Span­nung, weil das gan­ze Set­ting kei­nen raf­fi­nier­ter Plan hat, kei­nen Aha-Effekt, nicht den Hauch von Adre­na­lin, und vor allem mar­schie­ren die Anti-Hel­den da durch, als wür­den sie in eine Bäcke­rei ein­bre­chen. Dass zudem jeder Schritt der Aus­füh­rung nicht nach Plan, son­dern auf Zufäl­lig­kei­ten beruht, min­dert eine even­tu­el­le Rest­span­nung. Die anschlie­ßen­de Flucht ist gera­de­zu gro­tesk naiv.

Dass natür­lich in so einem Plot die berühm­ten Dop­pel­spie­le nicht feh­len, ver­steht sich fast von selbst. Was man aller­dings nicht ver­steht ist: war­um? Jeder betrügt jeden, aber das aus kei­nem Grund. Für jede noch so über­ra­schend gemein­te Wen­dung besteht über­haupt kei­ne Not­wen­dig­keit. Was THE LAST DAYS OF AMERICAN CRIME aller­dings am schwers­ten ver­mis­sen lässt, das sind Zusam­men­hän­ge. Kein Hand­lungs­ele­ment ist für das ande­re von Bedeu­tung. Die gesell­schaft­li­chen Zustän­de der Grund­ge­schich­te sind für den eigent­li­chen Raub als Ele­ment voll­kom­men uner­heb­lich, genau wie das stän­di­ge gegen­sei­ti­ge Hin­ter­ge­hen kei­nen Ein­fluss auf irgend­ei­nen ande­ren Hand­lungs­teil hat. Nichts greift dra­ma­tur­gisch inein­an­der, oder macht aus den vie­len ein­zel­nen Stü­cken etwas raf­fi­niert kom­ple­xes. Manch­mal ist die­ser Film schön anzu­se­hen. Manch­mal erfreut man sich an der über­zeich­ne­ten Non­cha­lance der Figu­ren. Manch­mal über­rascht er mit ein­dring­lich erschre­cken­den Momen­ten. Manch­mal hofft man auf eine span­nungs­tech­ni­sche Kehrt­wen­de. Oft­mals erkennt man das Poten­zi­al, wel­ches ver­schenkt wurde.

THE LAST DAYS OF AMERICAN CRIME
Dar­stel­ler: Edgar Rami­rez, Anna Brews­ter, Micha­el Car­men Pitt, Sharl­to Cop­ley, Sean Came­ron Micha­el, Alon­so Gran­dio, Dani­el Fox, Inge Beck­man u.a.
Regie: Oli­vi­er Megaton
Dreh­buch: Karl Gajdusek
Nach der Gra­phic Novel von Greg Toc­chi­ni & Rick Remender
Kame­ra: Dani­el Aranyó
Bild­schnitt: Micka­el Dumontier
Musik: David Men­ke, The Limiñanas
Pro­duk­ti­ons­de­sign: Sébas­ti­an Inizan
148 Minuten
USA 2020

Bild­rech­te: NETFLIX

AutorIn: Bandit

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