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Manchmal sind die Geschichten hinter den Filmen viel interessanter. Aber nur manchmal. Oftmals sind die Geschichten hinter den Filmen so bizarr, dass sie eigentlich nur zu interessanten Filmen werden können. Regisseur Ant Timpson hatte so eine Geschichte und als etablierter Produzent von Genre-Extravaganzen wie zum Beispiel ABCs OF DEATH weiß er das Potential von guten Geschichten zu erkennen. So war es auch, als Timpsons verstorbener Vater für eine Woche zuhause im offenen Sarg aufgebahrt war. Nach seiner Inspiration befragt, erzählt der Neuseeländer in diversen Interviews, zusehen auf YouTube, dass in jener Woche immer wieder wildfremde Menschen erschienen, dem Verstorbenen Respekt zu zollen. Niemand kannte die Leute, aber sie erzählten Geschichten über Ants Vater. Und diese Geschichten wollten so ganz und gar nicht zum Charakter und Lebenslauf seines Vaters passen. So setzte sich Ant Timpson mit Kumpel und Drehbuchschreiber Toby Harvard zusammen, und herausgekommen ist COME TO DADDY.
Mit fünf Jahren wurden Norval Greenwod und seine Mutter vom Vater verlassen. Dreißig Jahren später bittet dieser überraschend um einen Besuch. In der Hoffnung, mit seinem Vater wieder aufholen zu können, reist Norval an den Rand von Nirgendwo, zu einem obskuren, heruntergekommenen Haus am Meer. Doch das Wiedersehen entwickelt sich sehr verhalten. Warum Gordon seinen Sohn in diese Einsiedelei gebeten hat wird in Streitgesprächen immer unklarer. Norval hat sich dieses Wiedersehen wahrlich anders vorgestellt, denn es biegt unvermittelt in eine falsche Richtung ab. Und eine Kurskorrektur macht alles nur noch schlimmer und verfahrener. Dem verwunderten Zuschauer ergeht es ganz genauso. Man sieht einfach nicht kommen wie sich die Geschichte entwickelt. Wenn man glaubt, die Ereignisse zu durchschauen, ergeben sich neue Wendungen. Wer diese Wendungen allerdings glaubt kommen zu sehen, der wird mit deren Ausgang überrascht.
Niemand muss jetzt denken, man hat es mit einem verworrenen Labyrinth an absurden Geistesspielen zu tun. Im Grunde ist COME TO DADDY sogar eine sehr geradlinige Geschichte und auch genauso erzählt. Doch Ant Timpson beginnt seine Inszenierung schon so leicht eigenartig mit einem optisch sehr schrägen Elijah Wood, dass von vornherein auch alles möglich scheint. So wechselt zudem ständig die Stimmung. Denkt man zuerst noch an eine David Lynch-ähnliche Atmosphäre, befindet man sich plötzlich in einem Vater-Sohn-Drama, welches wiederum in einen Psychothriller mündet, der dann … Toby Harvard und Ant Timpson haben aber kein Flickwerk an Genres, oder Versatzstücken zusammengehirnt. Auf fast unerklärliche Weise macht alles Sinn – und es macht noch viel mehr Spaß. Zarte Gemüter seien deshalb an dieser Stelle gewarnt.
Auf diversen Festivals wurde der Film durchaus wohlwollend aufgenommen. Zu einem Publikumsliebling wurde er allerdings nicht so richtig. Obwohl gerade Genrefreunde eine skurrile Geschichte meist zu schätzen wissen. Online und auf Scheibe könnte sich dass jetzt durchaus noch ändern, denn COME TO DADDY ist einfach sehenswert. In vielerlei Hinsicht. Die Handlung ist herrlich schräg, das Tempo genau richtig, die technischen Aspekte sind auf den Punkt und die Besetzung der Schauspieler ebenso überraschend wie ausgezeichnet. Gerade Elijah Wood hat ja seine Vorliebe für etwas andere Erzählungen wie zum Beispiel GOOD SON oder THE WAR schon vor dem internationalen Krawall der Ring-Trilogie gefunden. Und auch danach ließ er die Typisierung des liebenswerten Frodo erst gar nicht an sich heran, wie er am krassesten in Alexandre Ajas MANIAC verdeutlichte. Und wie wohl sich Wood in absonderlichen Rollen bei absonderlichen Filmen fühlt merkt man hier nicht nur ihm, sondern der Atmosphäre des Films im allgemeinen an.
Für ein Spielfilmdebüt hat Ant Timpson bewiesen, dass er in seiner langen Zeit im Filmgeschäft viel gelernt hat. Aber Timpson hat dabei ebenso verstanden wie man Standards, Rhythmen und diverse Genres gelungen mischen und erfolgreich neu gestalten kann. Dieser Film ist nicht die Entdeckung schlechthin, keine Offenbarung, und wird auch nicht unbedingt als Klassiker eingehen. Dafür bietet er reuelose Unterhaltung auf gehobenen Niveau, mit viel Spaß, Spannung, Überraschungen und deftigen Effekt-Einlagen. Und zurückblickend ist die Geschichte zur Idee dieses Filmes dann noch das Sahnehäubchen.
COME TO DADDY
Darsteller: Elijah Wood, Stephen McHattie, Madeleine Sami, Martin Donovan, Michael Smiley, Simon Chin, Garfield Wilson u.a.
Regie: Ant Timpson
Drehbuch: Toby Harvard
Kamera: Daniel Katz
Bildschnitt: Dan Kircher
Musik: Karl Steven
Produktionsdesign: Zosia Mackenzie
96 Minuten
Irland – Kanada – Neuseeland – USA / 2019
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