BARBIE – Deutschlandstart 20. Juli 2023
Der Titel dieser Besprechung ist keine Kritik am Film. Das ist ein Satz der fällt, während irgendeine Wand durchbrochen wird (also eine metaphysische, die vierte kann es nicht gewesen sein, denn es ist die Erzählerin die diesen Satz sagt, als Barbie sich während einer schweren Sinnkrise für hässlich hält).
Und das ist auch schon äußerst bezeichnend für diesen völlig abgefahrenen Film, zu dem, als ich den Saal verließ, zwei Gedanken sofort in meinem Kopf manifestierten:
Was zur Hölle habe ich da gerade gesehen?
und
Wie soll ich das denn besprechen?
Eins möchte ich gleich von vorneweg von der Brust haben, damit das geklärt ist und ich mich nicht später in der Rezension nochmal aufregen muss: Ich beschwere mich ja oft über schlechte Synchronisationen, aber was hier abgeliefert wurde, kann ich nur als eine Frechheit bezeichnen. Die Übersetzungen sind so oft hart daneben, die Gags schlecht als recht übersetzt. Wenn man nicht ahnen würde, was da in Wirklichkeit gesagt wird und wenn man nicht wüsste, dass man sich den noch mal im Original wird ansehen können, könnte man über das Abgelieferte schier verzweifeln.
Glücklicherweise kann der Film selbst das mehr als auffangen.
Ich weiß, ich bin spät dran, aber aufgrund misslicher Umstände konnte ich den Barbie-Film, der gerade mehr Rauschen im rosafarbenen Internet-Blätterwald auslöst, als man gedacht hätte, leider erst jetzt sehen. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich mir jemals einen Barbie-Film ansehen würde. Aber erstens hat der gerade mehr Rauschen im rosafarbenen Internet-Blätterwald ausgelöst, als man jemals gedacht hatte, und zweitens hatten die mir das im Prinzip schon erfolgreich verkauft, als ich den Trailer vor INDIANA JONES gesehen hatte. Den Trailer, in dem unter anderem die Introsequenz aus 2001 mit den Affen, den Knochen und dem Monolithen nachgestellt wurde.
In dem Moment hatte ich schon so eine gewisse Ahnung, dass dieser Film nach der Mattel-Spielzeugikone vielleicht ganz anders werden könnte, als man erwarten würde. Ich habe mich in den letzten Wochen erfolgreich dagegen gewehrt, gespoilert zu werden. Wogegen ich mich nicht wehren konnte, waren die Meldungen darüber, dass auf der ganzen Welt selbsternannte Alphamännchen sich aufdiebrustklopfenderweise über BARBIE echauffierten. Ich konnte mich also darauf vorbereiten, dass Männer hier vielleicht nicht ganz so gut wegkommen.
Tatsächlich ist das aber gar nicht so. Zum einen werden nur Wahrheiten verbreitet und zum anderen ist das Ende ziemlich versöhnlich, nachdem Machos, deren dicke Karren und ähnliche Höhlenmenschen-Versatzstücke ordentlich auf die Schippe genommen wurden.
Ebenfalls ordentlich auf die Schippe genommen wird übrigens Spielzeugkonzern Mattel. Die bekommen in einer Tour ihr Fett weg, obwohl sie als Rechteinhaber und Produzenten im Vorspann stehen. Es geht um abgesetzte Spielzeugpuppen, um Geschmacksverirrungen und es geht um eine komplett volltrottelige Chefetage, angeführt von einem gutgelaunten Will Farrell in einer für ihn sehr typischen Rolle (mit einigen der besten Sprüche des Films). Auch an der Barbie-Erfinderin arbeitet man sich ab.
Worum geht es hier denn eigentlich? Das verrate ich nicht. Es mag ja Menschen geben, die ihn noch nicht gesehen haben und die will ich nicht spoilern. Was ich aber sagen kann ist, dass ich selten einen dermaßen skurrilen, knallbunten und abgefahrenen Film gesehen habe. Es ist nicht so, dass man die ganze Zeit schenkelklopfend im Kino sitzt. Dafür hatte zumindest ich während der gesamten Laufzeit ein Grinsen im Gesicht. Das muss ein Film auch erstmal schaffen. Die Skurrilität wird noch potenziert durch die Einbrüche von Realität in die quietschrosafarbene Barbie-Welt.
Ja, an ein paar Stellen schrammt das nicht nur haarscharf am Klamauk vorbei, sondern touchiert ihn ganz gewaltig. Das nimmt man ihnen aber merkwürdigerweise nicht übel, ebenso wenig ein paar Ken-Szenen die völlig drüber sind. Aber was ist angesichts des Barbielands schon »völlig drüber«? Auch wenn Barbie sich ein Glas Wasser ins Gesicht schüttet, weil … ach, seht es euch einfach an, denn ist das ein Gag, den man kommen sah. Der aber auch irgendwie konsequenterweise sein muss.
Es ist mir völlig schleierhaft wie Regisseurin Greta Gerwig es geschafft hat, BARBIE so zu inszenieren, dass der Film sich gleichzeitig nicht ernst und ernst nimmt. Schrödingers BARBIE-Film, quasi. Das strotzt zudem dermaßen von Ostereiern, dass man ihn sich nicht allein wegen der Originalfassung mehrfach ansehen muss.
Margot Robbie ist natürlich rein optisch ein Idealbesetzung für die Spielzeugikone, erst recht für eine »stereotypische Barbie«. Außer vielleicht, wenn sie sich aufgrund einer Sinnkrise … aber das hatten wir schon. Robbie hat sichtlich Spaß und es macht genauso viel Spaß ihr dabei zuzusehen, wie sie durch verschiedene Stadien von Barbietum und Erkenntnis morpht. Ganz grandios.
Ryan Gosling muss man großen Respekt dafür zollen, wie er den Volltrottel Ken (also einen davon) spielt und dabei erhebliches komödiantisches Talent beweist. Und das in einer Form, dass er einem am Ende trotz all seiner Aktionen irgendwie ans Herz gewachsen ist.
Meine große Favoritin in diesem Film ist aber sicher eine grandiose Kate McKinnon als kaputte Barbie, die ein Feuerwerk an Irrsinn zündet, dass es eine helle Freude ist. Das erinnerte mich in Teilen an GHOSTBUSTERS (2016) wo sie mir ebenfalls ausgesprochen gut gefallen hatte (und der deutlich besser ist, als sein Ruf – der hatte aber ein ähnliches Problem wie BARBIE, mit sich selbst hochgradig überschätzenden Alphamännchen).
Sing- und Tanzeinlagen komplettieren einen völlig irrsinnigen, knallbunten (oder vielleicht eher: knallrosa) und hochgradig unterhaltsamen Film, der sich einer ordentlichen Schubladisierung irgendwie maximal entzieht.
Ja, BARBIE macht sich ausgiebig über Alphamännchentum (Einschub: Es gibt in der Tierwelt keine Alphamännchen. Der Erfinder der These hat inzwischen widerrufen und versucht seinen Fehler seit Jahren zu korrigieren, es hört ihm nur keiner zu, weil Alphamännchen eben viel zu gut in ein männlich geprägtes Weltbild passen) und klassische Männertropes wie überflüssige übergroße Karren, Bro-tum, realweltliches Deppen-geführtes Patriarchat und verwandte Tropes lustig. Dass der Film dabei genau vor die richtigen Schienbeine und bisweilen auch in Gemächte tritt, sieht man an den oben bereits angedeuteten Reaktionen der Personengruppen, die hier gemeint sind. Und genau deswegen ist der überragende Erfolg dieses vermeintlichen Mattel-Werbefilms auch gesellschaftlich so wichtig.
Machen wir uns aber keine Illusionen: Mattel ist kein Haufen von Vollidioten, wie im Film dargestellt, sondern eine knallharte Megacorp, deren Chefetage dafür bekannt ist, ebenso knallharte und turbokapitalistische Entscheidungen zu treffen. Bei aller Freude über einen grandios unterhaltsamen und stellenweise sogar tiefgängigen BARBIE-Film, sollte man dennoch nicht vergessen, dass das am Ende auch eine gigantische Werbekampagne für Mattel ist. Die wussten mit Sicherheit schon sehr genau, was sie hier taten und das Image ordentlich umkrempelten. Was sind gegen den grandiosen Erfolg von BARBIE schon ein paar Gags auf eigene Kosten?
Eben.
p.s.: Und was müssen die Warner-Gebrüder froh sein, nach all den Schlappen um DC-Superhelden endlich einen Blockbuster zu haben. Ich würde darauf wetten, dass die Chefetage dabei nicht gerade auf BARBIE gesetzt hätte.
BARBIE
Besetzung: Die Barbies: Margot Robbie, Issa Rae, Kate McKinnon, Alexandra Shipp, Emma Mackey, Hari Nef, Sharon Rooney, Ana Cruz Kayne, Ritu Arya, Dua Lipa, Nicola Coughlan. Ein paar Kens: Ryan Gosling, Simu Liu, Kingsley Ben-Adir, Ncuti Gatwa, Scott Evans, John Cena. Sonst so: Will Ferrell, Emerald Fennell, Michael Cera, America Ferrera, Ariana Greenblatt, Rhea Perlman u.v.a.m.
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig & Noah Baumbach
Produzent°Innen: Tom Ackerley, Robbie Brenner, Margot Robbie
Ausführende Produzent°Innen: Cate Adams, Noah Baumbach, Richard Dickson,Toby Emmerich, Greta Gerwig, Ynon Kreiz, Josey McNamara, Michael Sharp, Courtenay Valenti
Kamera: Rodrigo Prieto
Schnitt: Nick Houy
Musik: Mark Ronson, Andrew Wyatt
Produktionsdesign: Sarah Greenwood
Casting: Lucy Bevan, Allison Jones
114 Minuten
USA 2023
Promofotos Copyright Warner Bros.