Dass es sich dabei allerdings um ein Vorurteil handeln kann und keinesfalls eine Konstante, beweist Anja Bagus in ihrem Steampunk-Roman AETHERHERTZ auf eindrucksvolle Weise, denn der ist qualitativ fraglos auf Verlagsniveau und in Sachen Ideen Thema und inhaltlicher Umsetzung sogar darüber. Wo die Publikumsverlage nur Zahnräder und Zeppeline auf eine beliebige Geschichte kleben und sie dann – oftmals fälschlich – als Steampunk deklarieren, ist hier tatsächlich auch lupenreiner und zudem noch origineller Steampunk drin, der viele schnell zusammen geschusterte Pseudo-Genre-Geschichten weit hinter sich lässt.
Kurzzusammenfassung meiner Besprechung für Eilige: Kaufen! Lesen!
Klappentext:
Ein Annabelle Rosenherz Roman: Seit der Jahrhundertwende steigt grüner Nebel über den Flüssen auf. Æther ist für die Industrie ein Segen, für die Menschen ein Fluch. Luftschiffe erobern den Himmel, Monster bevölkern die Auen.
Wir schreiben das Jahr 1910: Im mondänen Baden-Baden scheint die Welt noch in Ordnung. Doch während die Kurgäste aus aller Welt durch die Alleen und den Kurpark flanieren, sterben junge Frauen an einer mysteriösen Vergiftung. Das Fräulein Annabelle Rosenherz versucht die Ursache herauszufinden und gerät dabei selbst in große Gefahr, denn sie hat schon lange ein Geheimnis. Als sie der Wahrheit zu nahe kommt, nimmt man sie gefangen. Auf den finsteren Höhen des Schwarzwalds verliert sie fast ihren Verstand und es entscheidet sich, ob Annabelle sich selbst akzeptieren kann, und ihre erste Liebe stark genug ist, den Widerständen der Gesellschaft zu trotzen.
Und damit wären die Bedingungen für den sagenhafte 432 Seiten starken Roman auch schon umschrieben. Die Autorin schafft sich ein Universum, das vom Aether geradezu durchdrungen, oder besser: erschaffen wird, diese geheimnisvolle Substanz ist der Ausgangspunkt aller Geschehnisse, die umwälzende Veränderung, die zu dieser parallelen Historie geführt hat. Anja Bagus hat hier zweifellos ein neues Subgenre geschaffen, eines, das ich als »Aetherpunk« bezeichnen möchte; denn auch wenn Charaktere deutlich um Mittelpunkt der spannenden Geschichte stehen, Auslöser für Geschenisse des Buches ist der Aether. Ohne zu viel verraten zu wollen, denn das wäre äußerst schade, kehrt mit dem Aufkommen der Substanz um das Jahr 1900 eine Art Magie zurück in die Welt, auch wenn die meisten ihrer Bewohner das nicht wahrhaben wollen. Der Aether, der irgendwann über den Flüssen entstand, kann zudem aber auch vielfältig technisch genutzt werden, führt jedoch weiterhin dazu, dass die Menschen sich … verändern, und diese Veränderungen werden von einer konservativen Gesellschaft verdrängt, obwohl – oder vielleicht gerade weil – Arbeiter in den Fabriken und Bewohner der Flussregionen diesem Stoff ausgesetzt sind. Und manch einer verwandelt sich in einen »Verdorbenen« …
Das Szenario ist derart brilliant, man könnte darin aufgrund der Konzeption jede Menge weltweite Abenteuer verfassen. Allein die merkwürdigen Andeutungen zum offenbar arg veränderten Köln würden schon mehr als reichlich Stoff für weitere Geschichten liefern.
Entgegen anderen Genre-Romane handelt AETHERHERTZ nicht irgendwo in Großbritannien oder dessen Kolonien, sondern in Deutschland. Und dort nicht in Berlin, Hamburg oder München, sondern in Baden-Baden. Allein das schon eine erfreuliche Abwechslung. Die Beschreibungen der Szenarien sind überaus plastisch und lassen diese vor dem inneren Auge entstehen, seien es nun die Kaffeehäuser der Stadt, oder eine Berghütte im Schwarzwald. Und auch die Sitten und Gebräuche der wilhelminischen Zeit sind meiner Ansicht nach glaubwürdig und treffend dargestellt. Aber eben mit neuen Aspekten, die in der realen Historie nicht vorkamen.
Ähnlich ist es mit den Charakteren. Die sind vortrefflich umschrieben und charakterisiert; manch einer mag bei ein paar davon etwas von »Klischee« murmeln, aber das gehört selbstverständlich zum Genre wie das Luftschiff und man kann sogar bei den ansatzweise stereotypen Protagonisten eine deutliche Entwicklung der Charaktere feststellen, als Beispiel nenne ich hier den Soldaten und »Blitzmann« Friedrich Falkenberg (Blitzmänner sind eine Spezialeinheit, die mit Aetherwerfern ausgestattet sind, um »Verdorbene« zu fangen), der am Anfang als eingebildeter, flacher Angeber und Frauenheld daher kommt, bei dem man aber später feststellen muss, dass er das nicht ist. Sogar Nebencharaktere sind oft auf den Punkt beschrieben.
Die Geschichte ist eigentlich eine klassische Kriminal- und Verschwörungsstory, die allerdings mit mystischen Elementen und Aether angereichert wurde. Dabei spart die Autorin nicht mit überraschenden Wendungen, ist aber zugleich fair mit ihren Lesern, denn sie wirft ihnen genug Brocken hin, aufgrund derer man sich selbst ein Bild von dem machen kann, was vermitlich vor sich geht. Trotzdem kann man an den Abenteuern der Protagonisten weiterhin teilnehmen, denn man weiß lange Zeit nicht, ob man sich das Richtige zusammenreimt. Und es kommt ein paar Mal anders, als man gedacht hätte.
Ja, es geht auch um Liebe in diesem Roman, und um die Schwierigkeiten, die man im Jahr 1910 damit haben kann, erst recht, wenn man eine verwaiste junge Frau ist. »Echte Kerle« werden jetzt vielleicht abwinken, das sollten sie aber nicht, denn die Romantik passt sich in das komplexe Themengeflecht nahezu perfekt ein und ohne sie würde etwas fehlen und AETHERHERTZ wäre nicht vollständig. Und schließlich umschifft die Autorin auch noch souverän eine Klippe, auf die viele andere auflaufen: sie schafft es, zwei Sexszenen zu beschreiben, die nicht peinlich sind. Chapeau!
Wenn dann beim Showdown Luftschiffe mit Aetherkanonen aufeinander schießen, Helden und Feinde darin hektisch agieren und darunter in einem geheimen Bergstützpunkt kaiserliche Truppen gegen Verschwörer kämpfen, dann fühlt man sich wie in einen INDIANA JONES-Film versetzt. Überhaupt ist Anja Bagus´ Art des Erzählens über weite Strecken äußerst cinematisch – und das meine ich ausdrücklich positiv, ich mag das und es ist überaus unterhaltsam! Übrigens bin ich der Ansicht, dass dieser Roman auch verfilmt eine richtig gute Figur machen würde, er ist eigentlich wie geschaffen dafür (angesichts des traurigen Zustands des phantastischen Films in Deutschland sehe ich allerdings leider schwarz …). Dennoch sollte man nicht glauben, dass AETHERHERTZ durch diese Anlehnungen flach ist, es ist auch noch genug Platz für Reflektion und Philosophie. Dennoch sollte man im Klaren sein, worauf man sich einlässt: die Pulp-Anleihen sind unübersehbar.
Ich bin arg enthusiastisch, meint ihr? Das könnt ihr wohl glauben, dass ich das bin. AETHERHERTZ ist schlichtweg der Hammer, ein lupenreiner Steampunk-Roman mit Urban Fantasy-Einschlägen, einem gerüttelten Maß an Magie, die sich dennoch fein im Hintergrund hält und einem hochinteressanten Aether-Unterbau. Auch wer kein Steampunk-Anhänger ist, sollte unbedingt einen Blick darauf werfen, denn wer das nicht liest, der verpasst etwas.
Das Ganze ist gekennzeichnet als »Roman eins« aus der »Annabelle Rosenherz-Serie«. Ich freue mich auf die nächsten!
Fazit: Ganz! Großes! Kino! Volle Punktzahl. Leseempfehlung. Und der Beweis, dass Selbstpubliziertes nicht nur gegen die Veröffentlichungen von Publikumsverlagen anstinken, sondern bisweilen sogar besser sein kann. Gerade, wenn es um Steampunk geht.
Weiterführender Artikel: Interview mit der Autorin
Homepage von Anja Bagus
Anja Bagus auf Facebook-Seite
Amt für Aetherangelegenheiten
[cc]
AETHERHERTZ
Annabelle Rosenherz 1
Anja Bagus
Steampunk-Roman
Taschenbuch und eBook
6. Mai 2013
432 Seiten, 20,2 x 13,2 x 3,2 cm
Taschenbuch:
11,02 Euro
ISBN-10: 1484903536
ISBN-13: 978–1484903537
eBook (Kindle):
5,16 Euro
ASIN: B00CP6V0D8
Selbstverlag / CreateSpace / KDP
Cover AETHERHERTZ und Bild Anja Bagus Copyright Anja Bagus
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