Die Besprechung bezieht sich auf die amerikanische Originalfassung im Rahmen des Fantasy Filmfest
Noch bevor Simon Barrett an der Tastatur und Adam Wingard vom Regiestuhl aus, Horrorfreunde mit zwei Teilen V/H/S und dem ABC OF DEATH erfreuten, war da ein besserer, weit unterhaltsamerer Film von ihnen, der allerdings verkümmernd auf Halde lag. YOU’RE NEXT war bereits 2011 produziert, und fand lediglich auf dem Toronto International Film Fest und dem Fantastic Fest ein begeistertes Publikum. Lionsgate hatte zwar umgehend die Rechte erworben, ließ sich aber trotz vehementer Nachfrage und einhergehenden Protesten zwei Jahre lang Zeit. Dabei waren die Macher mit A HORRIBLE WAY TO DIE bei Genre-Freunden schon vorher längst bekannt geworden, so wäre YOU’RE NEXT eigentlich schon damals eine sichere Sache gewesen. Dafür ist die Freude nun umso größer, dass dieses durchaus ansehnliche Blut-Fest nun endlich doch den Weg in die Multiplexe weltweit findet. Nicht weil er den Slasher-Film neu erfindet, aber sich weit vom Horror-Einerlei im Allgemeinen abhebt.
Die Familie Davison versammelt sich im Landhaus für einen angedacht vergnüglichen Hochzeitstag der Eltern Paul und Aubrey. Von den fünf Pärchen zeigt sich lediglich Erin, die neue aber wesentlich jüngere Freundin von Sohn Crispian, sehr entspannt. Die Spannung zwischen den Familienmitgliedern ist unverkennbar, doch bevor klärende Wort eventuelle Probleme lösen könnten, löst sich vor dem Haus ein Pfeil aus einer Armbrust und tötet den Ersten im Inneren. Drei mit Waffen und Tiermasken ausgestattete Männer versuchen jeden im Haus zu eliminieren. In der allgemeinen Panik bewahrt lediglich Erin stets einen klaren Kopf, und was für die Angreifer wie eine einfache Sache begann, wird zum blutigen Spießrutenlauf auf beiden Seiten.
Der Home-Invasion-Thriller, den man weniger originell mit Hausfriedensbruch übersetzen müsste, ist ein Sub-Genre mit unglaublich vielen Gestaltungsmöglichkeiten. Der Psychothriller findet darin ebenso Platz, wie das einfache Drama, oder eben der Überbegriff Horror. Bemerkenswerte Beispiele in jüngster Zeit waren da die beiden FUNNY GAMES Varianten oder THE STRANGERS. Doch auch aus älteren Kinojahren blieben Thriller wie DU LEBST NOCH 105 MINUTEN oder AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE im Gedächtnis. Adam Wingard und Simon Barrett verstehen sich auf raffinierten Slasher, und konzipierten sie eben auch dementsprechend ihren Film in diese Richtung. Dabei finden sie genau den richtigen Ton und Rhythmus. Nach einem eher herkömmlichen Prolog, der nur scheinbar unmotiviert eingefügt wurde, geht es über zu Familie Davison, die sich nach und nach im Landsitz einfindet. In diesem Rahmen kommt es tatsächlich zum einzigen Spannungsmoment, der wirklich unoriginell und überstrapaziert ist, wenn sich dem angespannt suchenden Vater unvermittelt von hinten die Hand des Sohnes auf die Schulter legt.
Dass der für den Zuschauer unbekannte, schwelende Konflikt der Familie nicht offen ausbricht, gibt der Handlung im Verlauf noch einmal extra spannende Momente. Nach einer geruhsamen, aber stimmungsvollen Einleitung beginnt Wingard nach und nach, das Tempo anzuheben. Immer brutaler, immer verworrener wird die Situation im Haus, und wer es nach draußen schafft, wird nicht unbedingt Erfolg mit seinen Absichten haben. Der Film folgt einem kontinuierlichen Rhythmus, der nichts übereilt, aber den Zuschauer auch nicht warten lässt, sondern immer auf Spannung hält. Dazu gibt es im letzten Drittel eine nicht überraschende, aber originelle Wende. Am Ende noch einmal eine Überraschung, die von Genre-Kennern vielleicht schon vorher durchschaut wird, die einem aber auch durch den stetigen Thrill entgangen sein könnte, und dafür umso mehr blutige Freude bereitet. Wingard und Kameramann, sprich Bildgestalter Andrew Droz Palermo, haben sich für leicht entsättigte Farben und eine eher weiche Ausleuchtung entschieden, die weniger Authentizität vermittelt, als vielmehr den Look von düsteren Grusel-Filmen der 1970er und –80er, wie WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN, oder die WIEGE DES BÖSEN Respekt zollt. Natürlich war das damals dem Farbspektrums des Filmmaterials geschuldet und nicht einer beabsichtigten Stimmung, und vergleichen kann man YOU’RE NEXT ebenso wenig mit diesen Klassikern, aber als Reminiszenz funktioniert es atmosphärisch hervorragend.
Ein ganz großes Extra sind die relativ unbekannten Darsteller, bis auf vielleicht Barbara Crampton als Mutter Aubrey, die Genre-Affinen hier und da aufgefallen sein dürfte. Die Australierin Sharni Vinson meistert ihre Rolle mit beharrlicher Glaubwürdigkeit. Angst, Wut und Entschlossenheit bilden bei ihr eine fließende Einheit, und passen sich nicht erst den jeweiligen Gegebenheiten an. Sie ist es auch, von der man unbedingt mehr sehen möchte, so unbeirrt wie sie ihre Situationen meistert. Was sich in einem weiteren großen Plus des Films wiederspiegelt, das die mordlüsternen Maskenträger nicht als unempfindliche Übermenschen präsentiert. Was sich zuerst als ausweglose Gegebenheit präsentiert, wird, mit leicht gegen das Klischee gebürsteten Charakterzeichnungen, zu einem blutigen Wettstreit welcher sich plausibel erklärt.
Das Ensemble ist im Allgemeinen mit den unverbrauchten Gesichtern sehr gut gewählt. Zudem trübt es, wie bei ähnlich mit unbekannten Schauspielern besetzten Filmen, die Vorhersehbarkeit, welche Figur für den weiteren Verlauf noch wichtig sein könnte. Denn das ist was der Hardcore-Fan liebt, während des Films schon das Ende vorherzusagen. Da wird es dieser Fan mit YOU’RE NEXT nicht so einfach, dafür aber seine zufriedenstellende Freude haben. Eigentlich ein Film ohne wirklichen Makel, mit nicht übersteigerten, aber originellen Slasher-Effekten, und einer Frau, die bei Gefahr natürlich die Treppe im Haus hinauf rennt. Aber hier macht es einmal Sinn. Und das macht YOU’RE NEXT nicht nur für eingefleischte Fans schmackhaft, sondern unterhält das allgemeine Publikum gleichermaßen, nicht weil er den Slasher-Film neu erfunden hat, sondern sich künstlerisch und spannungstechnisch wohltuend vom Horror-Einerlei abhebt.
YOU´RE NEXT
Darsteller: Sharni Vinson, Nicholas Tucci, Wendy Glenn, AJ Bowen, Joe Swanberg, Margaret Laney, Amy Seimetz, Simon Barrett u.a.
Regie: Adam Wingard
Drehbuch: Simon Barrett
Kamera: Andrew Droz Palermo
Bildschnitt: Adam Wingard
Musik: Mads Heldtberg, Jasper Justice Lee, Kyle McKinnon
Produktionsdesign: Thomas S. Hammock
zirka 94 Minuten
USA 2011
Promofotos Copyright Lionsgate / Splendid Films